Gesundheitspolitik und Politikberatung - Eine vergleichende Analyse deutscher und kanadischer Erfahrungen

von: Falko Brede

DUV Deutscher Universitäts-Verlag, 2007

ISBN: 9783835091443 , 411 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 44,95 EUR

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Gesundheitspolitik und Politikberatung - Eine vergleichende Analyse deutscher und kanadischer Erfahrungen


 

Teil I: Politikberatung und gesundheitspolitischer Wandel (S. 7)

1. Policy-Lernprozesse und politischer Wandel

In der wissenschaftlichen Debatte über die Reform(un)fähigkeit moderner westlicher Gesellschaften rückte in den vergangenen Jahren vermehrt die Sozialpolitik ins Zentrum des Erkenntnisinteresses. In zahlreichen Abhandlungen über die historische Entwicklung der Sozialpolitik bzw. sozialpolitischer Institutionen wird hierbei auf das hohe Maß institutioneller Stabilität dieser Einrichtungen auch über fundamentale Umbrüche in politischen Systemen hinweg verwiesen.

Diese Rigidität wird in einigen Abhandlungen auch mit dem Begriff der Pfadabhängigkeit institutioneller Entwicklungsprozesse umschrieben (vgl. Pierson 2000c, Mahoney 2000 und Thelen 1999). Mit der Betonung der Bedeutung „ererbter" Prozeduren und Institutionen (vgl. auch Scharpf 2000a: 768) verweist das Pfadabhängigkeitskonzept insbesondere auf die unzureichende Erklärungsreichweite rein funktionalistischer Deutungen.

Jedoch existieren derzeit nur wenige Ansätze, die eine Erklärung dafur liefern können, unter welchen Bedingungen bestimmte „Erblasten" oder Pfade eine dominierende Wirkung im jeweiligen Politikfeld ausüben. Die Analyse sozialer Lernprozesse kann diesbezüglich nützliche Anregungen liefern (vgl. Hall 1990 und 1993).

Geht man davon aus, dass die historische Entwicklung eines Politikfeldes die bestehende Bandbreite möglicher Reformoptionen beeinflusst, so fällt der Blick unweigerlich auf die Rolle von Lernprozessen. Hall hat in Anknüpfung an Ausführungen von Heclo (vgl. Heclo 1974) zur Analyse dieser Prozesse das Konzept des social learning entwickelt. Als social learning bezeichnet Hall „[...] a deliberate attempt to adjust the goals or techniques of policy in response to past experience and new information.Learning is indicated when policy changes as the result of such a process." (Hall 1993: 278)

Folglich lsst sich etwa die gesamte Geschichte der Sozialpolitik als institutioneller Lernprozess auffassen (vgl. Wiesenthal 2003: 35). Ganz allgemein geht es beim policy-Lernen um die Beantwortung der Frage, wie Erfahrungen und Informationen policy-relevantes Verhalten der Akteure in einem Politikfeld verändern. Hierbei sind die Möglichkeiten des policy-Lernens selbstverständlich stark von den Eigenheiten des Themas bzw. des Problems abhängig (vgl. Sabatier 1988: 135).

Hall unterscheidet zwecks einer differenzierten Analyse des Einflusses von social learning zwischen Wandlungsprozessen erster, zweiter und dritter Ordnung. Diese Prozesse unterscheiden sich insbesondere durch die Tiefe der Lernerfahrungen. Während bei Wandel erster Ordnung lediglich die Instrumente zur Durchsetzung von Politik durch Erfahrungen verbessert werden, werden bei Wandel zweiter Ordnung auch die Instrumente der Politikdurchsetzung hinterfragt und im Lernprozess einer kritischen Überprüfung unterzogen. In den Worten von Hall:

„We can call the process whereby instrument settings are changed in the light of experience and new knowledge, while the overall goals and instruments of policy remain the same, a process of first order change in policy. [...] when the instruments of policy as well as their settings are altered in response to past experience even though the overall goals of policy remain the same, might be said to reflect a process of second order change." (Hall 1993: 278f).

In beiden Fällen werden zwar die Instrumente der Politikfeldgestaltung einer Überprüfung unterzogen (bei Wandel erster Ordnung werden sie weiterentwickelt bzw. ihre Anordnung verändert, bei Wandel zweiter Ordnung werden neue Steuerungsinstrumente gewählt, jedoch findet nur bei Wandel dritter Ordnung ein radikaler Bruch mit bisherigen Traditionen und eine tief greifende Neugestaltung im jeweiligen Politikfeld statt (vgl. Schultze/Zinterer 1999: 883).