Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter - Die Schulungsprogramme OBELDICKS Light und OBELDICKS für übergewichtige und adipöse Kinder und Jugendliche

von: Thomas Reinehr, Michael Dobe, Mathilde Kersting

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2010

ISBN: 9783840922619 , 297 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 32,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter - Die Schulungsprogramme OBELDICKS Light und OBELDICKS für übergewichtige und adipöse Kinder und Jugendliche


 

Kapitel 2 Das Schulungsprogramm OBELDICKS (S. 28-29)

2.1 Allgemeine Hinweise zur Durchführung der Schulung OBELDICKS

a) Voraussetzungen der Teilnehmer

Zielgruppe der Schulung sind motivierte adipöse Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 14 Jahren sowie ihre Familien mit ausreichenden Sprachkenntnissen, die regelmäßig an der Schulung teilnehmen können. Weitere Voraussetzungen sind ein Besuch der Regelschule sowie die Gruppenfähigkeit der Kinder. Nicht Erfolg versprechend ist die Teilnahme von Kindern mit psychischen Grunderkrankungen oder einer extremsten Adipositas. Für eine Kostenübernahme der Schulung durch die gesetzlichen Krankenkassen nach den Kriterien des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales (BMGS) gelten daneben folgende Voraussetzungen:

– Eigene Versuche der Familie zusammen mit Kinderarzt das Übergewicht des Kindes zu reduzieren waren erfolglos.
– Eine Motivation liegt vor (Motivationsüberprüfung siehe Kapitel 2.2. Erstkontakt).

– Ausreichendes Ausmaß des Übergewichts bzw. Folgeerkrankungen:
–– Extreme Adipositas (BMI > 99.5 Perzentile) oder
–– Adipositas (BMI >97. Perzentile bis 99.5 Perzentile) mit Risikofaktoren oder Folgeerkrankungen: Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck, Pubertas praecox, polyzystisches Ovarsyndrom, orthopädische Erkrankungen, pathologische Glucosetoleranz, Diabetes mellitus Typ 2, Insulinresistenz, familiäre Belastung wie Diabetes mellitus Typ 2 bei den Eltern, Herzinfarkt oder Schlaganfall vor dem vollendeten 55. Lebensjahr bei Verwandten 1. und 2. Grades oder
–– Übergewicht (BMI > 90. bis 97. Perzentile) mit Folgeerkrankungen: Pubertas praecox, polyzystisches Ovarsyndrom, orthopädische Erkrankungen, pathologische Glucosetoleranz, Diabetes mellitus Typ 2.

Kapitel 2 Das Schulungsprogramm OBELDICKS

b) Voraussetzungen der Therapeuten

Der Ernährungsteil der Schulung sollte von Diätassistenten oder Oecothrophologen, der (Ess-)Verhaltenskurs von Psychologen, die Bewegungstherapie von Motopäden und die ärztliche Eingangsuntersuchung von einem Kinderarzt durchgeführt werden. Die Familiengespräche sollten von Psychologen angeboten werden. Bei den 11- bis 14-jährigen Kindern und Jugendlichen sind gleichgeschlechtliche Therapeuten von Vorteil. Hilfreich ist in allen Bereichen eine entsprechende Berufserfahrung mit adipösen Kindern und ihren Familien. Regelmäßige Teambesprechungen dienen dem gegenseitigen Austausch, wie auch eine Hospitation der Teammitglieder in den jeweils anderen Bereichen nützlich ist.

Alle Therapeuten sollten die adipösen Kinder und Jugendlichen sowie ihre Familien einfühlend behandeln. Geduld, Verständnis, Kontaktfähigkeit, Empathie und Humor sind dabei hilfreiche Eigenschaften. Generell sollten die Therapeuten ermutigen und nicht kritisieren. Therapeuten, die sich bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas oder deren Eltern ärgern oder vielleicht frustriert sind, sollten diese Patienten nicht behandeln. Alle Therapeuten sind vor allem Moderatoren. Bei Aufgaben oder in Gesprächen werden das Engagement und nicht die Richtigkeit der Antworten bewertet, z.?B.: „Ja, das ist schon prima, wer kann noch etwas zu der Idee von xy sagen?“ oder: „O.K., wer kennt das auch bei sich oder bei wem ist das völlig anders?“ Meistens sind ein bis zwei Kinder dabei, die sich eher aus der Diskussion heraushalten. Diese können direkt angesprochen werden, z.?B. mit den Worten: „Du hast jetzt schon viele Ideen gehört. Was meinst du zu der Idee von xy?“

Bei älteren Kindern ist die Kopplung von Selbstwert und Aussehen häufig sehr eng. Meist existieren schon frustrierende Erfahrungen durch erfolglose Diäten und häufig sind Auseinandersetzungen mit den Eltern zum Thema Essen an der Tagesordnung. In der Pubertät ist die kritische Auseinandersetzung mit Autoritäten (dazu gehört auch der Therapeut) ein wichtiger Lernschritt. Gepaart mit einem meist sehr niedrigen Selbstwert stellt dies eine emotional hoch brisante Situation dar. Entsprechend sind patzige, freche oder witzige Antworten an der Tagesordnung. Der Therapeut sollte nachsichtig reagieren und die einzelnen Meldungen würdigen und diese pointiert wieder in den Zusammenhang stellen (z.?B.: „Du siehst auch aus wie ein Trauerkloß“, sagt X zu Y, nachdem Y gerade Trauer als seinen Hauptauslöser für Verlangen nach Schokolade genannt hat. Daraufhin könnte der Therapeut zu X erwidern: „Schön, dass du uns gezeigt hast, dass das Hänseln auch eine Quelle für Frustration sein kann. Kennst du weitere Auslöser?“). Da die adipösen Kinder und Jugendlichen ihren Selbstwert häufig von ihrem äußeren Erscheinungsbild abhängig machen und Fragen, die in diese Richtung zielen, als potenzielle Bedrohung ihres möglicherweise ohnehin schon geringen Selbstwerts ansehen, sollten z.?B. patzige, aggressive, verweigerte oder gestammelte Antworten als ein Zeichen der Notwehr bezüglich einer unsensiblen Herangehensweise gewertet werden.

Hilfreich zur Erlangung spezifischer Kenntnisse in der Behandlung und Führung adipöser Kinder und ihrer Eltern sind Trainerseminare für Therapeuten, die regelmäßig an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln angeboten werden (siehe www. kinderklinik-datteln.de/obeldicks.htm oder www. obeldicks.de).

c) Strukturelle Voraussetzungen

Bauliche Voraussetzungen für die Schulung sind eine Turnhalle, eine Küche und ein Raum für eine Gruppe von 6 bis 8 Kindern bzw. Jugendlichen. Günstig ist, neben der Schulung ein Netzwerk mit Adipositassportgruppen und Elternselbsthilfegruppen zu errichten sowie eine weitere ambulante Betreuung nach Ende der Schulung anzubieten.

d) Aufteilung der Gruppen

Die Kinder und Jugendlichen sollten nach Alter (7 bis 10 und 11 bis 14 Jahre) getrennt werden. Wünschenswert sind noch engere Altersgruppen. In der Altersgruppe 11 bis 14 Jahre ist es sinnvoll die Jugendlichen nach Geschlecht zu trennen. Als praktikabel hat sich eine Gruppengröße von 6 bis 8 Kindern erwiesen, wobei für die Bewegungstherapie jeweils zwei alters- und geschlechtshomogene Gruppen zusammengefasst werden können. e) Ablauf der Schulung Der zeitliche Ablauf der Schulung kann Abbildung 7 auf Seite 18 entnommen werden. Die einzelnen Therapiebausteine sind im Folgenden detailliert beschrieben. Pro Kurseinheit (Kinder/Jugendliche oder Eltern) sind circa 90 Minuten sowie pro Familiengespräch circa 30 Minuten einzuplanen. Die Reihenfolge der Einheiten ist prinzipiell austauschbar. Eine Aufteilung des Ernährungskurses mit jeweils drei Stunden vor und nach dem (Ess-) Verhaltenskurs bietet den Vorteil, dass die Kinder die im (Ess-)Verhaltenskurs gelernten Essverhaltensregeln beim gemeinsamen Kochen praktisch unter Supervision anwenden können. Die 6. Einheit des Essverhaltenskursus kann auch mit Abstand zu den vorherigen Einheiten durchgeführt werden, da in dieser Einheit vor allem Inhalte wiederholt werden. Die Elternabende sollten nicht zeitgleich zu den Gruppenveranstaltungen für die Kinder und Jugendlichen stattfinden, da sich die Eltern bei den Veranstaltungen für die Kinder untereinander austauschen können. Das Schulungskonzept ist bisher als Gesamtheit evaluiert worden und hat sich in dieser Form als erfolgreich erwiesen.

Jede Kurseinheit beginnt mit der Besprechung der Übungen und den Erfahrungen der letzten Einheit (ausgenommen erste Kurseinheit). Alle Arbeitsmaterialien sollten die Kinder und Jugendlichen in einer Mappe sammeln. Zum Abschluss einer Einheit kann eine Bewertung durch die Gruppe angeboten werden. Der Therapeut verlässt dabei den Raum. Auf einem Plakat kann mit einer Smiley- Skala jedes Kind die Bewertung vornehmen und zusätzlich anmerken, was verbesserungswürdig ist und was ihm gut gefallen hat. Durch die Abwesenheit des Therapeuten sind die Rückmeldungen valider und der Status der Gruppe wird aufgewertet. Für den gesamten Bewertungsprozess sollten etwa 10 Minuten eingerechnet werden. Jede Kurseinheit endet jeweils mit der Verteilung der Stempelpunkte (Belohnungssystem) und der Vorstellung der Hausaufgabe.