Wasser Energie Verkehr - Vergaberecht für Praktiker - Eine Einführung anhand von Fällen

von: Dieter B. Schütte, Michael Horstkotte, Olaf Hünemörder, Jörg Wiedemann

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170307469 , 206 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 39,99 EUR

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Wasser Energie Verkehr - Vergaberecht für Praktiker - Eine Einführung anhand von Fällen


 

A.Grundlagen des Vergaberechts in den Bereichen Trinkwasser, Energie und Verkehr


I.Gegenstand des Vergaberechts


1Gegenstand des Vergaberechts ist die Beschaffung von Liefer-, Bau- und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand.1

Da die Vergabe öffentlicher Aufträge2 bis heute einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellt,3 ist sie für Wettbewerbsverzerrungen anfällig. Aufgrund dessen muss der Staat dafür Sorge tragen, eine sachwidrige Ungleichbehandlung potenzieller Auftragnehmer zu verhindern.4 Die öffentlichen Auftraggeber sind daher zu einer transparenten und diskriminierungsfreien Beschaffung im Wettbewerb nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit verpflichtet.5 Da die Vergabe im Wettbewerb zugleich dem Ziel einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung dient, trägt das Vergaberecht trotz seiner Ausgliederung aus dem Haushaltsrecht weiterhin auch den Zielen des HGrG und der Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder sowie ihrer jeweiligen Gemeindehaushaltsverordnungen Rechnung.6

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber verbindliche Vorgaben geschaffen, die die öffentliche Auftragsvergabe regeln. Die Gesamtheit dieser Vorschriften, die Träger öffentlicher Verwaltung bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die sie zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben benötigen, anzuwenden haben, bilden das Vergaberecht.7

II.Rechtsgrundlagen


2Das Vergaberecht folgt einem mehrstufigen Aufbau, der sich in den vielfältigen Regelungen auf europäischer und nationaler Ebene niederschlägt.

Entsprechend dem Rangverhältnis der Rechtsnormen finden sich auf höchster Stufe die Vorgaben des Europäischen Rechts, welche die Ausgestaltung des nationalen Rechts prägen. Hier ist zunächst der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als EU-Primärrecht zu nennen, auf dessen Grundlage8 die EG-Vergaberichtlinien erlassen worden sind.9 Zu diesen zählen die Vergabekoordinierungsrichtlinie,10 welche die zuvor gültige Baukoordinierungsrichtlinie, Lieferkoordinierungsrichtlinie und Dienstleistungsrichtlinie zusammengefasst hat, die Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe sowie die am 17.4.2014 in Kraft getretene und bis zum 18.4.2016 umzusetzende Sektorenvergaberichtlinie11, welche die Sektorenkoordinierungsrichtlinie12 ersetzt. Zudem sind die Rechtsmittelrichtlinien der EG13 zu beachten.

Der deutsche Gesetzgeber setzt die EU-Richtlinien in nationales Recht um. Während sich die grundsätzlichen Bestimmungen im 4. Teil des GWB finden, hat die Bundesregierung von dessen Ermächtigung, nähere Bestimmungen über das Vergabeverfahren durch Rechtsverordnung zu treffen, durch Erlass der Vergabeverordnung (VgV) Gebrauch gemacht. Die Vergabeverordnung verweist ihrerseits auf die Teile A der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) sowie auf die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF), innerhalb jener bis zur Umsetzung der Sektorenkoordinierungsrichtlinie ins nationale Recht auch das Sektorenvergaberecht verankert war.14

Das nationale Vergaberecht ist somit traditionell dreistufig aufgebaut; für diesen Aufbau hat sich die Bezeichnung „Kaskadenprinzip“ durchgesetzt.15 Zugleich ist es einer Zweiteilung16in ein Vergaberecht oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte unterworfen, die bis heute fortdauert und sich auch auf den Sektorenbereich erstreckt.

III.Sektorenvergaberecht als Sonderrecht


3Die Vorschriften über die Vergabe von Aufträgen im Sektorenbereich – Energie, Trinkwasser und Verkehr – verschafften den öffentlichen Auftraggebern seit Inkrafttreten der ersten Sektorenrichtlinie17 eine Reihe von Privilegien, die das Vergaberecht in diesen Bereichen liberaler gestalten.18

Das Sektorenvergaberecht stellt somit einen Sonderbereich des Vergaberechts für die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge dar.19 Da die Aufgabe der Daseinsvorsorge zu den Kernaufgaben der öffentlichen Hand gehört und damit bis heute weitgehend vom Staat oder durch von diesem beherrschte (und so dem öffentlichen Zweck verpflichtete) Privatunternehmen erfüllt wird, hielt man es für geboten, den Sektorenbereich gesondert vom restlichen Vergaberecht zu regulieren.20

Eine Ursache für die geringere Regulierung des Sektorenbereichs wird in der besonderen Natur der Versorgungsunternehmen gesehen, die teils öffentlich-, teils zivilrechtlich handeln, und daher lange Zeit nicht dem europäischen Vergaberecht unterfielen.21 Die Einbindung der Sektorenauftraggeber in den Geltungsbereich des Vergaberechts erfüllte vor allem den Zweck, die im Sektorenbereich weitestgehend abgeschotteten Märkte für den Wettbewerb zu öffnen.22 Die Leitungsgebundenheit und damit einhergehende Örtlichkeit der von den Versorgungsunternehmen zu erbringenden Leistungen hatte die betreffenden Unternehmen nicht selten dazu animiert, auch bei Auftragsvergaben an andere Unternehmen nur regionale Bieter in die Auswahl zu ziehen. Darüber hinaus wollte der europäische Gesetzgeber mit dem Sektorenvergaberecht die unterschiedlichen Regulierungen in den Einzelstaaten vereinheitlichen.

IV.Neustrukturierung des Sektorenvergaberechts


4Das deutsche und europäische Vergaberecht sind seit dem Erlass der Richtlinie 90/531/EWG und ihrer Umsetzung starken Änderungen unterworfen.23

So ist am 24.4.2009 eine grundlegende Neuregelung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft getreten, die für alle an diesem Tag oder später begonnenen Verfahren maßgeblich ist (§ 131 Abs. 8 GWB).24

Mit dem darauf folgenden Inkrafttreten der Sektorenverordnung (SektVO) am 29.9.2009 sind die Abschnitte 3 und 4 der VOB/A, VOL/A und die §§ 8 und 9 VgV a. F. ausgegliedert und in der SektVO zusammengefasst worden,25 die nunmehr für alle ab diesem Tag begonnenen Verfahren Geltung beansprucht (§ 34 SektVO). Die SektVO setzt damit die Sektorenkoordinierungsrichtlinie26 in deutsches Recht um. Infolge der Trennung des Sektoren- vom sonstigen Vergaberecht ist die VgV nicht mehr auf den Sektorenbereich anwendbar, § 2 Nr. 1, §§ 7 und 12 VgV a. F. wurden aufgehoben.

Mit Wirkung vom 29.9.2009 wurden daher erstmals eigene und einheitliche Vergabevorschriften für alle Auftraggeber der Bereiche

–  Trinkwasserversorgung

–  Energieversorgung (Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeversorgung) und

–  Verkehr

geschaffen.27 Die Reichweite der Änderungen wird deutlich, wenn man die nachfolgenden Schaubilder betrachtet:

Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte
vor dem 29.9.2009

nach dem 29.9.2009

Die Einheitlichkeit der Vergabevorschriften bedeutet, dass Vergaben von Sektorenaufträgen durch Sektorenauftraggeber ausschließlich nach der SektVO erfolgen, gleichgültig, ob es sich um Vergaben von Bauaufträgen handelt, die außerhalb des Sektorenbereichs nach der VOB/A vergeben werden müssten, Leistungen im Sinne der VOL/A oder freiberufliche Leistungen i. S. d. VOF.28

Der Gesetzgeber hat die Umstrukturierung des Vergaberechts genutzt, um auch die verbliebenen Teile der VOB/A, VOL/A, VOF und der VgV zu verschlanken und zu vereinheitlichen. Diese folgen nun – wie die SektVO – dem Ablauf des Vergabeverfahrens und sind nach dem in Deutschland üblichen Standard in Paragraphen, Absätze und Sätze gegliedert. Damit wurde auf die bisherige Trennung von Basisparagraphen a-, b- und SKR-Paragraphen verzichtet. Die SektVO erhält zudem eigenständige Regelungen zu den Schwellenwerten und zur Schätzung der Auftragswerte (§ 1 Abs. 2 und § 2 SektVO). Sie gilt gemäß § 1 Abs. 2 im SektVO ausschließlich für Beschaffungsvorgänge, die die Schwellenwerte überschreiten. Hieraus ergibt sich, dass die Vergaben von Stadtwerken, Energieversorgungs- und Verkehrsunternehmen sowie Kommunen, die die Trinkwasser- oder Energieversorgung über einen Eigenbetrieb oder Regiebetrieb betreiben, künftig nach der SektVO zu erfolgen haben.

Durch die Reform des europäischen Vergaberechts (s. o.) sollen die SektVO und das GWB bis 2016 erneut „effizienter, einfacher und flexibler“ gestaltet sowie die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und der sozialen, ökologischen und anderer vergabefremder Ziele verbessert werden.29 Ferner soll die Reform der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche Rechnung tragen.

V.Aufbau der Sektorenverordnung


5Die SektVO ist in sieben Abschnitte untergliedert und um drei Anhänge erweitert: Die Abschnitte 2­­ bis 5 geben den Ablauf des Vergabeverfahrens wieder (Abschnitt 2: Vorbereitung des Vergabeverfahrens, 3: Bekanntmachungen und Fristen,...