Primäre Insomnie - Ein Gruppentherapieprogramm für den stationären Bereich

von: Tatjana Crönlein

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2013

ISBN: 9783840924071 , 103 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 28,99 EUR

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Primäre Insomnie - Ein Gruppentherapieprogramm für den stationären Bereich


 

Kapitel 2 Psychophysiologische Insomnie

Die psychophysiologische Insomnie (PPI) beschreibt verhaltenstherapeutisch gesehen den Prototyp der behandelbaren Insomnie . In den verschiedenen Krankheitsmodellen (Belanger et al ., 2006; Harvey, 2002) lassen sich deutlich Grundelemente erkennen, die die PPI letztendlich als phobische Reaktion auf gestörten Schlaf verstehen lässt .

2.1 Entstehungsmodell der psychophysiologischen Insomnie

Auf den ersten Blick ist die PPI von den anderen Insomnieformen schwer abzugrenzen . Allen Insomnieformen ist letztendlich eine anhaltende Sorge um die Schlaffähigkeit gemeinsam, am ehesten ist die PPI jedoch durch die aufrechterhaltenden Faktoren zu verstehen . Während die Insomnie bei mangelnder Schlafhygiene durch schlafbezogenes Fehlverhalten aufrechterhalten wird oder die psychoreaktive Insomnie durch einen psychischen Konflikt, wird die PPI durch einen Teufelskreis aus gestörtem Schlaf, Angst, erhöhter Selbstbeobachtung und Anspannung aufrechterhalten (vgl . Abb . 1) . Anhand dieser Abbildung ist die PPI vor allem auch für Patienten sehr anschaulich erklärbar . Die Abbildung sollte daher auch bei der Psychoedukation in der Therapie verwendet werden (vgl . Kap . 5 .7 und Vorlage auf der CD-ROM) .

Theoretischer Ausgangspunkt ist die Erfahrung, schlecht zu schlafen . Diese kann punktuell einmalig sein oder auch mehrere Nächte hintereinander anhaltend passieren . Die dadurch erlebten Konsequenzen am Tage sind in der Regel Müdigkeit, Minderbelastbarkeit, eine erhöhte Fehlerquote und/oder Lustlosigkeit . Diese Phänomene machen jedoch noch keine psychophysiologische Insomnie aus! Diese beginnt mit der Angst, die Kontrolle über den Schlaf verloren zu haben und somit den Folgen der Schlaflosigkeit schutzlos ausgeliefert zu sein . Die Folgen der Schlafstörung werden meist irrational überhöht, d .h . katastrophisiert . Hierzu gehören die verminderte Leistungsfähigkeit („Ich werde meinen Job verlieren“ oder „Ich kann meine Kinder nicht mehr versorgen“) oder die Sorge um die Gesundheit . Wenn Schlaf als Bedingung für Gesundheit und Leistungsfähigkeit gesehen wird, wird die Störung des Schlafs bedrohlich empfunden, in irrationaler Überhöhung auch lebensbedrohlich . „Das kann doch nicht gesund sein, so wenig zu schlafen“ oder „Irgendwann wird mein Körper doch krank davon“ sind häufig geäußerte Befürchtungen, die nicht selten durch Ärzte verstärkt werden . Espie (2006) bietet ein gutes Erklärungsmodell für diese Zentrierung anhand der bekannten Bedürfnispyramide von Maslow . Je nachdem, wo wir Schlaf in seiner Relevanz für die Aufrechterhaltung unserer Lebensqualität verorten, bekommt die Störung eine andere Bedeutung . Ein Manager sieht unter Umständen Schlaf als Zeitverschwendung an und versucht, mit so wenig Schlaf wie möglich auszukommen . Seine Erfahrung, auch mit wenigen Stunden Schlaf sehr leistungsfähig zu sein, macht ihn sozusagen immun gegen die Entwicklung einer PPI . Wiederum jemand, der guten Schlaf als unabdingbare Bedingung für körperliche Gesundheit sieht, reagiert auf Schlafstörungen empfindlich . Schlaf ist für ihn eine der basalen Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen .

Angst führt in der Regel zu einer verstärkten Beobachtung der bedrohlichen Reize und somit zu einer Fokussierung auf den Schlaf . Insomniepatienten sind immer dabei, die äußeren und inneren Bedingungen für ihren Schlaf zu prüfen . Dazu gehören die Beobachtung von äußeren Faktoren, wie z .B . Lärmverhältnisse, und auch innere Befindlichkeiten, wie z . B . Müdigkeit oder wahrgenommener Stress . Dieses prüfende Beobachten kann in einigen Fällen auch übersteigerte Formen annehmen, wie z . B . die Vermutung von Wasseradern als Ursache von gestörtem Schlaf .

Eine Folge der vermehrten Selbstbeobachtung bezüglich der Schlaffähigkeit ist der Verlust der „Natürlichkeit“ . Espie hat dies sehr anschaulich in seinem Modell beschrieben: „The argument is that sleep normally is a relatively automatic process . Consequently, it is vulnerable, and may be inhibited, by focused attention and by direct attempts to control its expression“ (Espie, 2006, S . 215) . Die Erfahrung, dass normale Prozesse wie z . B . Gehen bei verstärkter Aufmerksamkeit und Kontrolle auf einmal zum Balancieren werden können, ist nachvollziehbar . Bei der Insomnie steigt durch die Selbstbeobachtung und verstärkte Aufmerksamkeit die kognitive und körperliche Anspannung und erschwert so das entspannte Einschlafen . Ein besonderes Symptom der Selbstbeobachtung ist folgende häufig berichtete Erfahrung: Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie sehr die Selbstbeobachtung eine Erwartungshaltung („Ich bin doch müde, jetzt müsste es doch eigentlich klappen!“) produziert, die dann die Entspannung, das „Sich-Fallenlassen“ und somit das Einschlafen unmöglich macht . Aus diesen und ähnlichen Erfahrungen entstehen dysfunktionale Kognitionen, wie z . B . „Egal wie müde ich bin, ich kann nicht schlafen“ . Morin entwarf einen Fragebogen zur Messung vorhandener dysfunktionaler Einstellungen (Morin et al ., 2007) . In Kapitel 5 .8 . wird näher darauf eingegangen .

Der Zusammenhang zwischen gestörtem Schlaf und Folgen für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit ist für die Patienten offensichtlich und wird in seinem Wahrheitsgehalt nicht hinterfragt . sich kaum wach halten kann. Sie beeilt sich dann, rasch ins Bett zu kommen. Sobald sie ihren Kopf auf das Kopfkissen legt, ist sie wieder hellwach und kann dann nicht einschlafen.

Exkurs: Die Grenze zwischen dysfunktionalen Kognitionen und Aberglauben ist manchmal verschwommen. Ein gutes Beispiel ist der Glaube an den schlafstörenden Effekt von Vollmond auf gestörten Schlaf. Auch viele Schlafgesunde sind der Meinung, dass ihre schlechten Nächte dem Vollmond geschuldet sind. Die Erklärung dafür ist recht einfach: Besondere Ereignisse im zeitlichen Zusammenhang mit Befindlichkeitsstörungen werden eher abgespeichert als banale. Man kann sich also eher an drei durchwachte Vollmondnächte erinnern als an 20 Nächte, in denen man „nur“ wach gewesen ist. Der kausale Zusammenhang ist also v. a. ein Effekt verstärkter Aufmerksamkeit und wird – wie in diesem Fall – sogar gesellschaftlich akzeptiert.

Die beschriebenen Faktoren, Selbstbeobachtung und dysfunktionale Kognitionen, führen zu einer negativen Erwartung bezüglich des eigenen Schlafes . Insomniepatienten nehmen sich diesbezüglich oft als Versager wahr, sie sind subjektiv sozusagen „unfähig“, normal zu schlafen . Diese Selbstsicht führt im Zusammenhang mit den befürchteten Konsequenzen zu einer erhöhten Anspannung, in der Fachliteratur auch als Hyperarousal bezeichnet . Diese Anspannung kann Schlaf trotz:großer Müdigkeit verhindern . Das schlechte Einschlafen ist somit also vorprogrammiert . Der Teufelskreis schließt sich . Die Zentrierung auf den gestörten Schlaf führt in der Regel dazu, dass andere Problemfelder als Folge davon gesehen werden (z .B . schwierige Partnerschaft oder Probleme bei der Arbeit) . So muss zunächst gut geschlafen werden, bevor man sich Gedanken über die Zukunft, schwierige Arbeitsbedingungen oder die Lösung von Eheproblemen machen kann . Die Überwertigkeit des Schlafes kann so weit gehen, dass bestehende psychosoziale Belastungsfaktoren als solche nicht mehr wahrgenommen werden können . Dies ist auch der Grund, warum viele Patienten zu Beginn der Therapie nicht über ihre sonstigen Probleme sprechen wollen . Ein etwaiger Zusammenhang ist für sie nicht transparent .

Bei längerer Dauer der Insomnie kann eine Art Habituation stattfinden . Die Patienten berichten dann, keine Angst mehr davor zu haben, nicht richtig schlafen zu können, dies sei nur „am Anfang so gewesen“ . Die Angst wird jetzt nur noch als Daueranspannung erlebt .

Sicht an den Konsequenzen dieser Schlafstörung zu leiden . Alle Symptome, so wie sie im Folgenden beschrieben werden, sind aus dieser Grundangst verständlich und ableitbar . Die Wirksamkeit der Verhaltenstherapie besteht genau darin, diese Angst abzubauen und dem Patienten die Kontrolle über den Schlaf wieder zu geben .

In der ICSD-2 sind die Symptome für die psychophysiologische Insomnie beschrieben (vgl . Kasten) .