Spätmoderne - Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I

von: Alfrun Kliems, Ute Raßloff, Peter Zajac (Hrsg.)

Frank & Timme, 2006

ISBN: 9783865960207 , 445 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 34,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Spätmoderne - Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I


 

Ernõ Kulcsár-Szabó
Dichtungsgeschichte und mediale Kulturtechniken (S. 23-24)

Jedes Wort ist eine Augenblicksverbindung eines Klanges mit einem Sinn, die in keiner Entsprechung zueinander stehen. (Paul Valéry Poésie et pensée abstraite) Farben und Klänge gibt es in der Natur, Worte nicht. (Gottfried Benn Probleme der Lyrik)

Der Einzug kulturwissenschaftlicher Verfahren selbst in den engeren Bereich der einzelnen Philologien hat zwar seine Gründe, die sich von mehreren diskursiven Positionen beleuchten lassen. Dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass die ins Netzwerk von Kulturwissenschaften extensiv eingefügte Literaturwissenschaft – bloß, weil ohne ihren Gegenstand, die Literatur, kaum irgendeine kulturelle Form der Welt zu denken wäre – Fragerichtungen und Einsichten gewinnen könnte, die (von der jeweiligen Partialität des Verstehens bis hin zur „Unlesbarkeit" der Texte) nicht im Horizont der beiden letzten großen Paradigmen der Textdeutung bereits vorhanden gewesen wären. Friedrich Nietzsche ebnete nämlich einer Kritik der Kulturalität gerade durch die Erschließung des ideologischen Ursprungs jenen kulturellen Techniken den Weg, die – von der „heilsgeschichtlichen" Anthropologie bis zur These von einer mit der rationalen Struktur der Welt „in eins fallenden" (vernünftigen) sprachlichen Form – der Erfahrung vom befristeten menschlichen Dasein wohl den Zwang ständiger Bedeutungsbildung auferlegt haben: „Die ,Vernunft‘ in der Sprache", lesen wir in der „Götzen-Dämmerung", „oh was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben [...]."

Die Möglichkeiten dieser obigen disziplinären Eingliederung sind freilich nicht ganz zeitgenössischer Herkunft: Der Reiz einer kulturwissenschaftlichen Integration erwächst vor allem aus dem Paradigmenwechsel um die Jahrhundertwende, der die mit kritischer Intention erneut aktualisierten Frageinteressen der Kant’schen Wahrnehmungsphilosophie auch auf den „Gegenstand" der Geisteswissenschaften erweiterte. Dabei handelt es sich nicht nur um die von Ernst Cassirer eingeleitete Wende, welche die Funktionen der symbolischen Formen (Sprache, Kunst, Religion usw.) mit einer im erweiterten Sinne kulturellen Konstitution der Lebenswelt in Zusammenhang brachte. Denn als mindestens genauso bedeutend erwies sich auch die – nicht weniger antipositivistisch ausgerichtete – geisteswissenschaftliche Er kenntnis (1904), der zufolge den Arbeitsgebieten der Wissenschaften „nicht die ,sachlichen‘ Zusammenhänge der ,Dinge‘, sondern die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme [...] zugrunde [liegen]". Und zwar deshalb – und an Hand ihres so aufgefassten Gegenstandes wurde der Literaturwissenschaft so zum ersten Mal gewährt, sich mit anderen Disziplinen an der umfassenden Erfahrung von der Möglichkeit einer kulturwissenschaftlichen Integration zu beteiligen –, weil in Max Webers Auffassung Wirklichkeit und Reflexion der Kultur nun in einer völlig neuen Kontamination in Erscheinung traten, die (damals natürlich noch mit den erheblichen Einschränkungen der Rickert’schen Wertemetaphysik) im Prinzip geeignet war, die volle „Archäologie" der geschaffenen („wertvollen") kulturellen Welt in den Horizont der geisteswissenschaftlichen Untersuchungen mit einzubeziehen:

„Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ,Kultur‘, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfasst diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden, und nur diese."

Angesichts der individuellen Vielfalt sozial- und geisteswissenschaftlicher Phänomene erkannten diese geistigen Positionen – von Heinrich Rickert bis Ernst Cassirer und von Werner Sombart bis Oskar Walzel – zwar zahlreiche fragliche und unhaltbare Elemente des erkenntnistheoretischen Erbes vom methodologischen Universalismus, waren aber nicht darauf bedacht, Ambivalenzen dieser Erfahrung kraft einer sich von Friedrich Schleiermacher bis Wilhelm Dilthey herausbildenden – und im autozentrischen Wirkungszusammenhang der historisch-sozialen Welt begründeten – hermeneutischen Konsistenz aus der Welt zu schaffen.