Meine Reden

von: Rosa Luxemburg

Jazzybee Verlag, 2012

ISBN: 9783849631000 , 311 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 0,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Meine Reden


 

Zur Frage des politischen Massenstreiks


 


Die Rede von Legien war geradezu ein klassisches, typisches Muster für die Haltung, die gewisse Gewerkschaftsführer in der letzten Zeit gegenüber der Sozialdemokratie und gegenüber den wichtigsten Parteifragen eingenommen haben. Erst hat er eine ganze Stunde lang die Jenaer Resolution aufs schärfste kritisiert und die Unmöglichkeit und die Verderblichkeit der Idee des Massenstreiks nachgewiesen, uns davor gewarnt, und am Schlusse kam dann natürlich die herzerquickende und beruhigende Versicherung: Wir sind ja alle ein Herz und eine Seele! Also wir haben gar nicht nötig, irgendwie Streitigkeiten auszutragen; wir können uns vereinigen auf eine Resolution. Und diese Einigkeit wird in der merkwürdigsten Weise hergestellt, daß man die Kölner Resolution, die schon die bloße Diskussion des Massenstreiks als verderblich hinstellt, mit der Resolution von Jena für identisch erklären soll. Als ich hörte, daß Legien diesen Antrag gestellt hat, sagte ich mir, es gehört eine gehörige Portion Mut und Dreistigkeit dazu, uns zuzumuten, wir hätten dem Antrag zuzustimmen. Und ich war nicht wenig erstaunt zu hören, daß der Parteivorstand darauf eingegangen ist. ("Hört! Hört!" "Sehr richtig!") Einige Worte über die Kritik von Legien an dem Jenaer Beschluß! Charakteristisch ist sein Appell an die Tradition: Wir seien alle in dem Begriff aufgewachsen, daß der Generalstreik, den er ohne weiteres mit dem Massenstreik identifiziert, Generalunsinn sei. Ja, wir wären schöne Sozialdemokraten, wenn wir es nicht verständen, uns von Ideen zu emanzipieren, die man als kleines Kind hat. Wir sind doch dazu eine Partei der historischen Entwicklung, damit wir aus der Geschichte lernen. ("Sehr richtig!") Wenn man heute angesichts der großartigen russischen Revolution, die auf Jahrzehnte hinaus die Lehrmeisterin der revolutionären Bewegungen des Proletariats sein wird, das Problem des Massenstreiks hauptsächlich an der Hand der Vorgänge in Italien und Frankreich studiert, so beweist man damit, was eben Legien mit seinem Appell an die Tradition bewiesen hat, daß man nichts zu lernen und nichts zu vergessen versteht. (Unruhe. – Zustimmung.) Jawohl, Sie verstehen nichts zu lernen aus der russischen Revolution. (Legien: "Sehr richtig!") Sonst würden Sie nicht den Mut haben zu behaupten, die Massenstreikbewegung wäre die äußerste Gefahr für den Bestand der Gewerkschaften. Sie haben offenbar keine Ahnung davon, daß die gewaltige russische Gewerkschaftsbewegung ein Kind der Revolution ist. ("Sehr richtig!" und Widerspruch.) Das russische Proletariat ist in die Revolution ohne die Spur einer Organisation eingetreten, und heute ist das ganze Land mit kräftigen Organisationsansätzen bedeckt. Das ist eben die alte verknöcherte englische Auffassung, daß die Gewerkschaften nur bei ruhiger Entwicklung gedeihen können. Die russische Revolution hat bewiesen, daß vielfach aus dem Kampf die kräftigsten proletarischen Organisationen geboren werden und gedeihen können. David hat wiederum von seinem speziellen Mainzer gesetzlichen Standpunkt aus an der Idee des Massenstreiks Kritik geübt. Er hat uns als Popanz die Maschinengewehre vorgeführt. Auch er hat keine Ahnung davon, was in Rußland vorgeht (Lachen), er vergißt, daß die Maschinengewehre von lebendigen Leuten, von Soldaten bedient werden und daß sie, wenn die Zeit reif ist, ihre Wirksamkeit nicht verlieren. Sie bleiben ebenso tödlich, sie werden nur angelegt gegen das herrschende Regime. (Lebhafter Beifall.) Ein letztes Argument von Legien war so beschaffen, daß es beweist, daß Legien wirklich in manchen Beziehungen in den Begriffen der Kindlichkeit geblieben ist. (Lachen.) Er sagte, wir hätten durch die Annahme der Jenaer Resolution eine unvorsichtige Handlung begangen; wir hätten den Feinden unsere Pläne verraten. Seit wann werden denn große geschichtliche Bewegungen, große Volksbewegungen auf dem Wege heimlicher Abmachungen in geschlossenem Zimmer abgewickelt? (›Sehr gut!‹) Das ist eine kindliche Vorstellung vom Generalstreik, wenn man glaubt, sein Schicksal hänge davon ab, was die Generalkommission sogar mit dem Parteivorstand in stiller Kammer beschließt. (Lebhafte Zustimmung und Lachen.) Ich wollte noch ein paar Worte zur Rede Bebels äußern, nur bin ich nicht sicher, daß ich sie richtig erfaßt habe, denn ich saß auf der linken Seite, und er hat heute immer nach rechts gesprochen. (Große Heiterkeit.) Einen markanten Widerspruch habe ich aber doch entdeckt. Er sagte einmal: Es bleibt selbstverständlich bei der Jenaer Resolution. Wenn uns das allgemeine Wahlrecht genommen werden sollte, dann müßten wir es selbstverständlich mit allen Mitteln verteidigen, und sollten wir auf der Strecke bleiben. Die Worte habe ich mir gemerkt, sie haben mein Herz erquickt und erfrischt, dann aber zum Schluß kam das, was in Deutschland geschehen könnte und müßte, wenn wir durch eine Intervention Preußens in einen Krieg mit Rußland gebracht würden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Bebel da richtig verstanden habe, und ich würde es für gut halten, wenn er im Schlußwort allen Mißdeutungen vorbeugen würde. Soviel ich ihn verstehen konnte, war der Sinn der, falls wir vor den Krieg gebracht werden, können wir nichts machen. Unsere Freunde in Frankreich wären in schöner Verlegenheit, wenn die Bebelsche Rede so gedeutet werden könnte, denn dort haben unsere tapferen und mutigen Genossen durch Vaillant erklärt: wenn es zum Krieg mit Rußland käme, dann würden sie ihr Veto einlegen. Von unseren Freunden ist das geflügelte Wort geprägt: plutôt l'insurrection que la guerre. Lieber einen Volksaufstand als den Krieg. – Das war die männliche Sprache des französischen Proletariats, und ich hoffe, auch das deutsche wird Mut genug finden, zu sagen: "Es darf nicht gegen unseren Willen geschehen." (Lebhafter Beifall.) Bebel hat gesagt: Denkt ihr, der Massenstreik könne vom Parteivorstand gemacht werden? Nein, der Parteivorstand muß von der Masse geschoben werden. Nun, wenn der Parteivorstand seine Rolle nicht anders auffaßt, soll und wird er geschoben werden, und ich bitte Sie, in diesem Sinne die Abmachungen des Vorstandes mit der Generalkommission, die hinter unserm Rücken getroffen sind, abzulehnen und dem Antrag Kautskys zuzustimmen. (Lebhafter Beifall.)

 

Zum Verhältnis von Partei und Gewerkschaften


 


Parteigenossen! Ich glaube, es wird sich unter uns wohl keiner finden, der nicht mit dem Grundgedanken der Resolution des Parteivorstandes einverstanden wäre. Wir stehen ja hoffentlich allesamt auf dem Standpunkt, daß die Zentralorganisation die geeignetste Form für den modernen gewerkschaftlichen Kampf ist und daß der Anarchismus heutzutage in Deutschland wie in der gesamten kapitalistischen Welt höchstens als eine Folge der geistigen Verirrung und geistigen Dekadenz der Arbeiter betrachtet werden muß. Trotz alledem aber würde ich die Annahme der vom Parteivorstand vorgelegten Resolution als einen großen Mißgriff betrachten. (›Sehr richtig!‹) Vor allem kann ich mir in meinem beschränkten Untertanenverstand (Heiterkeit) nicht klarmachen, wie die Stellungnahme der Vertreter der Zentralverbände zu dieser Resolution mit ihrer Haltung zu der vorhergehenden Resolution Kautskys in Einklang gebracht werden kann. Dort, wo es sich um die selbstverständlichste Sache in der Welt handelte, daß jeder Sozialdemokrat auch innerhalb der Gewerkschaft als Sozialdemokrat handeln und die Beschlüsse der Parteitage respektieren soll, sträubte man sich mit Gewalt dagegen, weil das nach außen hin den Eindruck hervorrufen müßte, die Gewerkschaften wären ganz am Gängelbande der Sozialdemokratie. Hier aber ist man ganz damit einverstanden, daß die Sozialdemokratie eine scharfe Aktion zugunsten einer bestimmten Organisationsform der Gewerkschaft unternimmt. Ich befürchte, daß bei einer solchen Doppelstellung das Verhältnis der Gewerkschaften zu der Sozialdemokratie sich etwa im Sinne jenes bekannten bäuerlichen Ehevertrages gestaltet, wo die Frau dem Manne sagte: "Wenn wir in einer Frage einverstanden sind, so soll dein Wille geschehen; wenn wir auseinander gehen, soll nach meinem Sinne gehandelt werden." (Heiterkeit.) Ferner finde ich es unverantwortlich, wenn hier die Partei gewissermaßen als Zuchtrute gegen eine bestimmte Gruppe von Gewerkschaftlern gebraucht werden soll, daß wir uns damit innerhalb der Parteireihen Zank und Zwist auf den Hals laden sollen. Es ist doch kein Zweifel, daß unter den Lokalorganisierten sehr viele brave Genossen vorhanden sind, und es wäre unverantwortlich, wenn wir, um den Gewerkschaften in dieser Frage direkt zu dienen, den Zwist in unsere Reihen hineintrügen. Wir respektieren die Ansicht, daß die Lokalisten nicht den Zwist in den gewerkschaftlichen Organisationen so weit treiben sollen, daß sie die gewerkschaftliche Organisation dadurch unterbinden; aber im Namen der so viel gepriesenen Gleichberechtigung muß man doch mindestens dasselbe für die Partei anerkennen. Wenn wir die Anarchosozialisten, wie der Parteivorstand vorschlägt, aus der Partei direkt ausschließen, so geben wir damit ein trauriges Beispiel dafür, daß wir nur Energie und Entschlossenheit finden, um unsere Partei nach links abzugrenzen, daß wir nach rechts aber die Tore nach wie vor sehr weit offenlassen. ("Sehr richtig!")

 

Von Elm hat hier angeführt als ein Beispiel des anarchistischen Unsinns, daß in der "Einigkeit" oder in einer Konferenz der Lokalorganisierten ausgesprochen sei, der Generalstreik wäre als das einzige Mittel des wirklichen revolutionären Klassenkampfes zu betrachten. Nun ist das selbstverständlich ein Unsinn und nichts anderes. Aber, werte...