Die Gnosis - Texte und Kommentar

von: Johanna Brankaer

marixverlag, 2010

ISBN: 9783843800587 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Die Gnosis - Texte und Kommentar


 

GRUNDZÜGE GNOSTISCHER MYTHOLOGIE


In diesem Kapitel werden einige Züge der gnostischen Mythologie behandelt. Dabei muss man aber den Vorbehalt machen, dass es nicht eine einheitliche Mythologie gibt. Es gibt verschiedene Themen und Motive, die in unterschiedlichen Varianten begegnen. Es gibt keinen ursprünglichen Mythos, von dem die bezeugten Mythen abgeleitet wären. Es gibt eher einen Komplex von mythologischen Elementen, die von den gnostischen Mythopoeten frei kombiniert wurden.

DAS PLEROMA UND DER KOSMOS


In allen gnostischen Systementwürfen gibt es einen Kontrast zwischen dem Pleroma, der überweltlichen Fülle von Äonen, und dem Kosmos, der erschaffenen Welt. Dieses Gegenüber ist aber kein Dualismus im eigentlichen Sinne. Kosmos und Pleroma sind nicht gleichursprünglich. Das Pleroma ist ewig und unvergänglich. Es ist die göttliche, immaterielle Wirklichkeit. Der Kosmos ist nach dem Pleroma entstanden, durch einen Fehler innerhalb des Pleromas – meistens durch den Fall der Sophia. Er ist also sekundärer Natur. Er ist entstanden und wird auch wieder vergehen. Das Pleroma ist die Entfaltung der höchsten Gottheit, während der Kosmos das Produkt eines niederen Schöpfergottes ist. Das Pleroma besteht aus Äonen, Ewigkeiten, die als persönliche Entitäten erscheinen. Die ursprünglichste Entität ist der Vater, der bei den Valentinianern auch „Bythos“ („Tiefe, Urgrund“) und im Sethianismus „Unsichtbarer Geist“ genannt wird7. Sowohl im Valentinianismus als auch im sethianischen System gibt es ein weibliches Wesen, mit der der Vater die anderen Äonen zeugt. Im Valentinianismus geht es um „Sige“ („Stille“) bzw. „Ennoia“ („Gedanke“). Im Sethianismus heißt diese Figur Barbelo – diese stellt auch den ersten Gedanken des Vaters da. Das weibliche Prinzip ist also vom Vater abgeleitet: Es ist sein (erster) Gedanke, der hypostasiert, d.h. zu einer selbständigen Entität wird. In einer Reihe von sethianischen Schriften ist die Barbelo in drei Subäonen aufgeteilt: „Kalyptos“ („Verborgener“), „Protophanes“ („Ersterschienener“) und „Autogenes“ („Selbstentstandener“). Diese stellen die Entwicklung des ersten Gedankens aus dem Vater dar: Zuerst ist das Gedachte noch verborgen, dann erscheint es, und dann bringt es sich selbst hervor. Es gibt sethianische Texte, in denen es noch den „Dreifach Kräftigen“ gibt, zwischen der Barbelo und dem Vater. Dieser ist die Hypostase – Verselbständigung – der Kräfte des Vaters. Die Barbelo und der Vater bringen den Sohn, den „Monogenes“ („Einiggeborenen“), hervor. Dieser wird auch „Autogenes“ („Selbstentstandener“) genannt. Der Autogenes bringt die vier Erleuchter hervor: Harmozel, Oroiael, Daveithe und Eleleth. Der himmlische Adam gehört zum Äon des Harmozel, Seth wird im Äon des Oroiael platziert, zum Äon des Daveithe gelangt der Same des Seth. Im Äon des Eleleth schließlich befinden sich die Seelen, die sich nach einer Zögerung umkehren. Jeder Erleuchter ist mit drei Äonen verbunden, was dazu führt, dass es insgesamt 12 Äonen gibt, von denen die Sophia der letzte ist. S. Figur 1.

Das valentinianische Pleroma kommt auch aus dem Vater hervor. Dieser wird auch „Bythos“ („Tiefe, Urgrund“) genannt. Aus ihm und der Ennoia („Gedanke“) bzw. „Sige“ („Stille“) kommen drei Äonenpaare hervor: der Monogenes („Einiggeborener“) und die Wahrheit, der Logos („Wort“) und das Leben und der Mensch und die Ekklesia („Kirche“). Zusammen bilden sie die Ogdoas („Achtheit“). Zudem gibt es noch eine Zehnheit, fünf Äonenpaare, die aus dem Logos und dem Leben stammen, und eine Zwölfheit, sechs Äonenpaare, die aus dem Menschen und der Ekklesia („Kirche“) stammen. Insgesamt gibt es also 30 Äonen im Pleroma, von denen die Sophia das unterste Wesen ist. S. Figur 2.

Der erschaffene Kosmos ist nach dem Bild des Pleromas kreiert, aber in unvollkommener Weise. Herrscher des Kosmos ist der Demiurg, der die anderen kosmischen Kräfte erschaffen hat, d.h. die Archonten, die Engel und weitere Kräfte und Mächte. Diese werden z.B. von den sieben Planeten symbolisiert oder von den zwölf Zeichen des Tierkreises. Planeten und Sterne determinieren das Geschick von allem, was es in der Welt gibt. Die Archonten halten die Welt in ihrer Macht und führen ihr eigenes Gesetz ein. Die Welt ist weithin vom Pleroma abgeschnitten.

Figur 1: Das Pleroma der sethianischen Gnosis (nach dem Apokryphon des Johannes)

Figur 2: das valentinianische Pleroma (nach Irenäus, Adversus Haereses I,1-3)

DIE SOPHIA


Die Geschichte der Sophia findet man sowohl in sethianischen als auch in valentinianischen Schriften. Die Sophia ist der letzte bzw. unterste Äon des Pleromas. Der Übergang vom Pleroma zum Kosmos wird in „gnostischen“ Schriften des Öfteren mit der Vorstellung eines „Falles“ eines femininen Wesens verbunden. Anlass und Umstände dieses „Falles“ und darüber hinaus die Rolle und die Funktion der Sophia sind dabei in den einzelnen Schriften teilweise sehr unterschiedlich beschrieben. Man sollte unterscheiden zwischen Mythen, wo die Sophia selbst, durch ihr eigensinniges Auftreten, aus der Einheit des Pleromas heraus bricht und so (zwar unfreiwillig) eine niedere Wirklichkeit hervorbringt, und wo der Abstieg der Sophia (in die schon vorgegebene Materie, Welt, usw.) unfreiwillig ist. In beiden Fällen kann die Motivation des Handelns der Sophia in verschiedener Weise erklärt werden, wobei nicht alle Versionen des Mythos jeweils alle Elemente dieser Motivationen enthalten. Die wichtigsten Beweggründe der Sophia sind ihr Verlangen nach dem Vater bzw. dem Licht, ihr Wunsch, ebenso wie der Vater, selbst – und allein – etwas hervorzubringen, die Abwesenheit eines Paargenossen (die Äonen sind immer in Paaren zusammengesetzt), das Aufhören mit ihrer eigentlichen Beschäftigung.

Es gibt verschiedene Metaphern, die den „Fall“ der Sophia ausdrücken. Die sexuelle Metapher verbindet das Verlangen der Sophia mit der Kraft, etwas hervorzubringen, die eigentlich für den Vater reserviert ist. Die intellektuelle Metapher besteht in der Vorstellung, dass die Sophia durch ihre Denkaktivität ein Produkt hervorbringt. Beide Metaphern drücken das Verlangen oder den Willen der Sophia aus. In vielen Schriften wird betont, dass die Sophia hier ohne Übereinstimmung ihres Paargenossen bzw. des Geistes aktiv wird. In beiden Fällen ist das Hervorgebrachte seiner Mutter unähnlich und minderwertig.

Das Produkt der Sophia ist minderwertig, weil sie es ohne Zustimmung ihres Paargenossen oder des Geistes hervorgebracht hat. Das Hervorgebrachte wird manchmal als Fehlgeburt beschrieben oder als eine Gestalt mit tierischen Zügen. Es geht hierbei meistens um den Demiurgen, der in der sethianischen Gnosis Jaldabaoth genannt wird. Die Sophia wirft das Produkt ihres Verlangens aus dem Pleroma, damit die Unsterblichen es nicht sehen, weil sie es in Unwissenheit hervorgebracht hat, oder sie hüllt ihr Produkt in eine Lichtwolke – mit einem Thron –, damit niemand es sehen kann.

Der Demiurg entnimmt der Sophia einen Teil ihrer Kraft und wird so selbst mächtig. Die Sophia gelangt nicht in das Pleroma zurück. Sie erkennt ihren Fehler an und gibt sich der Reue hin. Sie schreit zum Pleroma hinauf. Die Äonen des Pleromas hören sie und haben Mitleid. Sie bitten den Vater, ihr zu helfen. Ihr ursprünglicher Paargenosse – in bestimmten Texten ist er Christus – wird zu ihr gesandt und erhöht sie, aber nicht zu ihrem ursprünglichen Platz. Sie bleibt wegen ihrer Unwissenheit in einem Zwischenort, der in sethianischen Texten auch die Reue genannt wird, bis die ganze Welt erlöst ist.

DIE SCHÖPFUNG UND DIE PARADIESGESCHICHTE


Die Gnostiker interpretieren das alttestamentliche Buch Genesis in ganz einzigartiger Weise. Nicht der höchste Gott, sondern das Produkt des Falles der Sophia ist der Schöpfer des Kosmos. Dieser ist ein niedriger Gott, der keine Ahnung von dem hat, was im Pleroma existiert. Er richtet seinen eigenen Machtbereich mit ihm untergeordneten Archonten und Engeln ein und sagt in seiner Unwissenheit, dass er der einzige Gott ist, dass es neben ihm keinen anderen gibt. Als Antwort auf diese Selbstüberhebung kommt ein Signal aus dem Pleroma. Dies kann eine Stimme sein, oder ein Bild, das im Wasser erscheint. So lernt der Demiurg, dass es den – himmlischen – Menschen gibt. Um ihn beherrschen zu können, will er selbst einen Menschen hervorbringen. Er erschafft Adam nach dem Gleichnis von dem, was er gesehen hat. Das Abbild, das er gemacht hat, kann sich aber nicht bewegen. Er haucht den Geist, der die gestohlene Kraft der Sophia ist, in das Gebilde und verliert sie somit selbst. Die Kraft der Sophia ermöglicht es Adam, aufzustehen und sich zu bewegen....