Die Spur der Scheine - Nachrichten zur Plage der Nation

von: Heinrich Pachl

Heyne, 2009

ISBN: 9783641037499 , 191 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Die Spur der Scheine - Nachrichten zur Plage der Nation


 

Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit. ANGELA MERKEL

Krise? Welche Krise, bitte? Ich höre immer Krise! Die Finanzkrise? Gab's die eigentlich? Gibt's die etwa immer noch? Oder fängt die erst so richtig an?
Tut mir leid, ich persönlich kann das Wort »Krise« nicht mehr hören. Und, entschuldigen Sie bitte, aber so wie diese Krise benimmt sich eine anständige Krise einfach nicht! In einer anständigen Krise bleibt der Mittelstand stabil - hier geht er den Bach runter. In einer anständigen Krise rettet uns der Export, und der Binnenmarkt geht in die Binsen - hier bricht der Export zusammen, der Binnenmarkt aber soll's bringen und wird dazu mit Abwrackprämien, Konsumreizen und anderen Aufputschmitteln gedopt. In einer anständigen Krise taucht das Klein- und Kleinstwagensegment ab - hier bleiben die obere Mittelklasse und die Edelkarossen auf der Halde.
Aber der Hammer kommt noch! In einer anständigen Krise werden die Armen unterstützt - hier gehen Hunderte Milliarden Euro als Schutzschirme, Deckungsfonds, Treuhandbürgschaften, Halteprämien (auch Boni genannt) ausnahmslos und immer an die Besser- und Bestverdienenden. Unerhört und unanständig! So hat sich eine Krise einfach nicht zu benehmen. Und weit und breit keine Supernanny in Sicht, die für Anstand sorgt und Regeln setzt.
Das kann es doch nicht gewesen sein!

Finanz-Krise
Also überall Krisen, unüberschaubar viele Krisen! Vor allem die sogenannte Finanzmarkt- oder auch Finanzkrise.
Eine Krise schockt, aber eigentlich sollte man sie genießen. Das geht. Ja, auch eine Krise kann man genießen. In beschränktem Maße jedenfalls. Auch die jetzige Finanzkrise, warum denn nicht! Zum Beispiel der Kölner - der macht das mit großem Können vor. Ich, der ich schon seit Jahren in Köln wohne, kann das einigermaßen beurteilen. Wo sich Bewohner anderer Städte aufregen, wenn sie betrogen und belogen werden, genießt der Kölner bei vollem Bewusstsein geradezu, wie mit ihm Schlitten gefahren wird - ein Vergnügen, das hier eine relativ hohe Kulturstufe erklommen hat. Man nennt es in Köln auch Spaß an der Freud, oder, um mit Tünnes und Schäl zu sprechen: Gestern hat mich eine Dampfwalze überfahren - was war ich platt!
Man muss, um eine Krise genießen zu können, natürlich ein bisschen was von dem miesen Krisenspiel verstehen, das da getrieben wird, also zumindest einige der Spielregeln kennen. Wie beim Fußball, wo man sich auch nur so richtig vehement über einen nicht gegebenen Strafstoß aufregen kann, wenn man eine gewisse Ahnung davon hat, nach welchen Regeln gepfiffen wird.
Wie jede Krise hat auch die jetzige gigantische Finanzkrise ihr schlichtes Grundrezept, das im Mischungsverhältnis von »gefühlt« und »echt« verborgen liegt. Diesen Unterschied kennen Sie im Alltag von der Kälte, bei der man ebenfalls zwischen der echten und der gefühlten unterscheidet.
Gegen echte Kälte kann man sich wappnen, auch wenn das Thermometer auf vierzig Grad unter null fällt - man geht halt nicht raus. Aber gegen gefühlte Kälte sind Sie machtlos, auch wenn Sie Ihr Rheumakissen auf 280 Grad schrauben, bis es Flammen wirft. Sie bibbern trotzdem durch alle Ritzen. Manchmal treffen »gefühlt« und »echt« auch zusammen, etwa wenn man in der richtigen Situation im richtigen Etablissement aus dem richtigen Automaten mit dem richtigen Kleingeld das Richtige zieht - dann hat man's gefühlsecht ... Aber das ist eine andere Baustelle.
Zurück zur großen Finanzkrise. Je gefühlter, desto dramatischer wirkt sie, je echter, desto gefährlicher scheint sie. Die Mischung macht's. Gegenüber der echten ist die gefühlte Krise deutlich im Vorteil: Man kann an ihr fummeln, man kann sie manipulieren, das Gefühl für sie hochdrehen oder abdimmen, die Stimmung anheizen, flach halten oder abkippen lassen. Während an der echten Krise echt was getan werden muss. Müsste ...

Gefühltes Geld
Es geht, worum sonst, ums Geld. Also um Kies, Schotter, Mammon, Moos, Marie, Penunzen. Normalerweise muss Geld arbeiten und darf nicht auf der faulen Haut liegen. Aber Geld ist bekanntlich scheu, - wie ein Reh hüpft es nachts über die Grenze nach Luxemburg oder Liechtenstein. Dann rast der deutsche Steuerfahnder auf seinem rostigen Moped hinterher. Dem hat man, irgendwo muss der Staat schließlich sparen, vorne die Karbidlampe weggespart, und so knallt er gegen die letzte unbeleuchtete Fichte neben der deutschen Autobahn. Oder das Geld wandert gleich ganz aus, dahin, wo so gut wie immer die Sonne scheint und es endlich auch herzlich aufgenommen wird.
Doch unser Geld, dieses scheue Reh, dieses Bambi, könnte man sagen, das Helmut Kohl früher mit dem Billigausdruck
»Bimbes« belegte und beleidigte, was unserem Geld gegenüber nicht besonders sensibel war - dieses scheue Reh also schien auf einmal hysterisch geworden zu sein. Unser Bambi lief geradezu Amok. Aus Geldscheinen, die jahrelang unter der Matratze zins- und freudlos in einem alten Strumpf gefoltert worden waren, aus herrenlosen Guthaben, die auf öden Postsparbüchern herumgegammelt hatten, in enger Käfighaltung in Bausparverträgen und Rentenkassen dahinvegetierten und in kleinlichen Zinserzielungsanstalten gefangen gehalten worden waren - aus all diesen Schläfern waren, passend zum Raubtierkapitalismus, urplötzlich Bestien geworden. Unser Bambi mutierte quasi zum Killer-Kitz! Zum Kannibalen, der sich selbst auffraß - beziehungsweise bereits aufgefressen haben musste. Denn das Geld war ja einfach nicht mehr da! Hunderte von Milliarden Euro, Yen, Dollar vor allem - futsch! Gekidnappt! Verschwunden! Wie in einem Banken-Bermuda-Dreieck verschollen, aufgelöst und weg!
Doch dann diese wahnsinnige Leistung der deutschen Regierung, auf einmal Hunderte von Milliarden Euro hervorzuzaubern und aufzutischen. Wie viel davon nun wieder echt und wie viel gefühlt war? Egal! Nur, wie hat man das auf einmal hingekriegt?
Im Grunde nicht anders als beim stinknormalen Zaubertrick im Zirkus, im Varieté oder im Tingeltangel: Man lässt sich was vormachen und zahlt dafür. Jeder Zaubertrick, also auch dieser funktioniert nach dem bekannten Grundmuster, dass der Magier, der Hexer oder Illusionist hier etwas hervorzaubert, was er gerade eben noch dort hat verschwinden lassen, ganz egal ob es sich dabei um Elefanten handelt oder um Taschentücher oder um Ihr Portemonnaie. In jedem Fall wird uns was vorgemacht. Wichtig ist die Illusion. Wenn die Illusion, also die Täuschung, nicht funktioniert oder zerstört wird, ist der Zauber futsch.