Physiotherapie in der Orthopädie

von: Antje Hüter–Becker, Mechthild Dölken

Georg Thieme Verlag KG, 2009

ISBN: 9783131510228 , 697 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

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Preis: 37,99 EUR

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Physiotherapie in der Orthopädie


 

8 Charakteristika der Physiotherapie in der operativen Orthopädie (S. 531-532)

In der operativen Orthopädie behandeln Physiotherapeuten Patienten mit gelenkerhaltenden, -ersetzenden, -versteifenden oder -resezierenden Operationen, von denen die gelenkerhaltenden und -ersetzenden den größten Anteil ausmachen. Während das Arbeitsfeld der konservativen Orthopädie in erster Linie Rehabilitationszentren und freie Praxen umfasst, erfolgt die operative Orthopädie vor allem in Akutkliniken.

Die operative Orthopädie und die Traumatologie sind in den meisten Kliniken zu gemeinsamen Abteilungen zusammengefasst. Neben den vielen Gemeinsamkeiten gibt es auch gewisse Unterschiede, die für die physiotherapeutische Behandlung Konsequenzen haben. Gemeinsamkeiten bestehen darin, dass die behandelnden Therapeuten gute anatomische Kenntnisse und biomechanisches Wissen besitzen müssen, um sie bei den einzelnen Operationen zu nutzen und die verletzten Körperstrukturen in angepasster Art und Weise zu belasten. Unterschiede ergeben sich auf der Ebene des Verhaltens und Erlebens der Patienten. In der Orthopädie werden sie meist mental auf die Operation vorbereitet, d.h. die Implantation einer Hüftendoprothese bei einer Koxarthrose wird nicht plötzlich vorgenommen.

Oft müssen die PatientenWochen oder gar Monate auf die Operation warten. Obwohl sie aufgrund der zunehmenden Schmerzen den Zeitpunkt der Operation herbeisehnen, haben viele Patienten trotzdem große Angst davor. Sie befürchten durch falsches Bewegungsverhalten etwas zu zerstören oder Schmerzen auszulösen. Da starke Bewegungsangst die postoperative Rehabilitation sehr negativ beein.ussen kann, muss die behandelnde Physiotherapeutin bei der Therapie bestimmte Verhaltensstrategien einsetzen (Kap. 2.1). In der Traumatologie erfolgt die Operation in der Regel unvorbereitet, wenn z.B. nach einem Verkehrsunfall eine Fraktur operativ versorgt werden muss. Die Betro.enen weisen neben den üblichen postoperativen Leitsymptomen zusätzlich Zeichen der Traumaverarbeitung auf (siehe physiolehrbuch Physiotherapie in der Traumatologie, Kap. 1.5).

Nach einem Trauma oder einer Operation gehen die verschiedenen Muskelfunktionen praktisch verloren. Infolge der veränderten Biomechanik sowie der gestörten oder fehlenden sensorisch-a.erenten Inputs ist das Bewegungssystem in seinen neuromuskulären Basisfunktionen beeinträchtigt. Untersuchungen zeigten, dass nach Traumen oder Operationen periphere Nervenleitgeschwindigkeit, Reflexe und zentrale Antworten nach peripherer Reizung im Normbereich bleiben (Engelhardt 1997).

Somit kann von intakten zentralen und peripheren Bahnen und Verschaltungen ausgegangen werden. Freiwald et al. (1998) nehmen als mögliche Ursache der vorhandenen Koordinationsprobleme eine phylogenetische Strategie des menschlichen Organismus an, d.h. der Betroffene entwickelt Schonund Kompensationsmechanismen. Bereits geringe Veränderungen der Sensomotorik können aufgrund eines zentralen Ansteuerungsdefizits zu ausgeprägten Veränderungen in der Motorik führen. Nach Traumen und Operationen ist der propriozeptive Informations.uss (z.B. durch Umbauprozesse im Weichteilgewebe) gestört.

Wichtige Aufgabe der Physiotherapeuten ist daher, dieses Problem in der Rehabilitation so früh wie möglich anzugehen, um den Informations.uss wiederherzustellen (Hauser-Bischof 2003). Koordinierte geschickte Bewegungen verlangen eine aufgabenspezi.sche Aktivierung der Muskulatur sowie eine angepasste Rekrutierung der Agonisten. Bei veränderter kortikaler Repräsentation infolge Nichtgebrauchs ist dies vielleicht nicht möglich. Als Kompensationsstrategie mit der Absicht, mehr Kontrolle zu gewinnen, kann es zu übermäßiger Kokontraktion kommen. Die Folge sind weiterer Verlust der motorischen Kontrolle und vermehrte Muskelsteifigkeit.