Kurzlehrbuch Rechtsmedizin

von: Burkhard Madea, Frank Mußhoff, Brigitte Tag

Hogrefe AG, 2012

ISBN: 9783456949765 , 343 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,99 EUR

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Kurzlehrbuch Rechtsmedizin


 

2.1.4 Strafrecht

Das deutsche und auch das schweizerische Kernstrafrecht (Strafgesetzbuch, StGB) bedrohen medizinisches bzw. ärztliches Fehlverhalten unter bestimmten Voraussetzungen mit Strafe. Das Nebenstrafrecht, das sich aus vielen Spezialgesetzen zusammensetzt, wie z.B. dem Transplantationsrecht, dem Bereich der Fortpflanzungsmedizin oder auch dem Betäubungsmittelrecht, ahndet auch Verstöße von medizinisch tätigen Personen mit Strafe. Weniger gravierende Fälle werden in Deutschland als Ordnungswidrigkeit geahndet, in der Schweiz sind vergleichbare Delikte oftmals als Übertretung oder über das Verwaltungsstrafrecht geregelt. Anders als beipielsweise Österreich kennen Deutschland und die Schweiz keinen Sonderstraftatbestand der eigenmächtigen und fehlerhaften Heilbehandlung. Vielmehr sind dafür die allgemeinen Körperverletzungsund Tötungsdelikte heranzuziehen. Im Medizinstrafrecht können namentlich folgende Tatbestände des Kernstrafrechts relevant werden: vorsätzliche bzw. fahrlässige Körperverletzung und Tötung inklusive Tötung auf Verlangen, Schwangerschaftsabbruch, unterlassene Hilfeleistung bzw. Unterlassen der Nothilfe, Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, Störung der Totenruhe bzw. des Totenfriedens, Betrug, Untreue, Bestechungsdelikte, Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht, gegen das Arzneimittelund das Medizinprodukterecht, gegen das Transplantationsgesetz und Transfusionsrecht (s. Tab. 2-1).

Die Gerichte, welche diese Tatbestände im Medizinstrafrecht anwenden, berücksichtigen bei deren Auslegung die Besonderheit der medizinischen bzw. ärztlichen Tätigkeit. Dies zeigt sich z.B. bei der Interpretation der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten im Rahmen einer medizinischen Behandlung, der Arbeitsteilung, dem Umgang mit Geräten etc.

2.1.5 Beweislast

Werden Ansprüche geltend gemacht, so ist im Medizinrecht für einen allfälligen Prozessausgang die Beweislast von erheblicher Bedeutung. Hierbei ist zu unterscheiden: Die Feststellungslast bestimmt, wer das Risiko der Nichterweislichkeit einer Beweisbehauptung trägt, die Beweisführungslast, wem es obliegt, Beweis für die Behauptung anzubieten. Im streitigen Zivilprozess trägt grundsätzlich derjenige die Beweislast für die Tatsachen, die zum Tatbestand einer ihm günstigen Rechtsnorm gehören, z.B. muss der Patient das Bestehen des Behandlungsvertrages beweisen. Der Anspruchsgegner muss dagegen behaupten und beweisen, dass ihm etwaige Gegenrechte oder Einwände (z.B. die vertragsgemäße Erfüllung und das Vorliegen der wirksamen Einwilligung erfolgen durch den Arzt) zustehen. Von einer Beweislastumkehr spricht man, wenn nicht der Anspruchsinhaber die Voraussetzungen seines Anspruchs beweisen muss, sondern der Gegner deren Fehlen. Dies gilt beispielsweise hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und Gesundheitsschaden, wenn die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt.

Im Verwaltungsprozess und auch im Strafverfahren gilt i. d. R. der Amtsermittlungsgrundsatz. Hier gewinnt die Feststellungslast besondere Bedeutung. Im Strafrecht trägt sie der Staat, es gilt der Grundsatz «In dubio pro reo», d. h. im Zweifel für den Angeklagten.

2.1.6 Rechtsweg

a) Rechtslage Deutschland
Je nach Rechtsgebiet bestehen für geltend zu machende Ansprüche unterschiedliche Rechtswege: In Deutschland gehören vor die ordentlichen Gerichte die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie grundsätzlich die Strafsachen. Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind, § 40 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dies ist z. B. bei den Sozialgerichten der Fall. Die Regelungen im Sozialgesetzbuch (SGB) sind ebenfalls Teil des öffentlichen Rechtes. Insbesondere das SGB V regelt das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland, aber auch Grenzen der Leistungspflicht von Krankenkassen, Mitwirkungsrechte und Mitwirkungspflichten von Patienten und Kontrollmöglichkeiten, z. B. über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK).

Der Instanzenzug ist i.d.R. mehrstufig, d.h. es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die getroffene Entscheidung durch ein Gericht höherer Instanz überprüfen zu lassen. Rechtsmittel sind im deutschen Recht Berufung, Revision und Beschwerde. Grundrechtsverletzungen durch letztinstanzliche Urteile können mittels Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden. Der Weg zu den allgemeinen Verwaltungsoder auch Sozialgerichten setzt vielfach ein verwaltungsinternes Vorverfahren voraus, ein sogenanntes Widerspruchsverfahren, in dem die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes überprüft wird.

Für Streitigkeiten im Zivilrecht ist i. d. R. das Amtsgericht (AG) erste Instanz, wenn der Streitwert 5000 Euro nicht überschreitet, § 23 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Berufungsinstanz ist grundsätzlich das Landgericht (LG), § 72 GVG, zum Teil auch das Oberlandesgericht (OLG). Liegt der Streitwert über 5000 Euro, so ist regelmäßig das LG erste Instanz, Berufungsinstanz ist dann das Oberlandesgericht (OLG). Die Revisionsinstanz ist der Bundesgerichtshof (BGH). In Familien-, Kindschaftsund Betreuungssachen ist das AG erste Instanz, Berufungsinstanz das OLG und Revisionsinstanz der BGH. Findet das Strafverfahren vor dem AG statt, d.h. dem Strafrichter oder dem Schöffengericht, § 24 f. GVG, so ist das LG Berufungsinstanz, § 74 Abs. 3 GVG, und Revisionsinstanz ist das OLG, §121 GVG. Ist jedoch das LG erstinstanzlich zuständig, § 74 GVG, besteht nur die Revisionsmöglichkeit zum BGH, § 135 GVG.

Besteht die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ist der Instanzenzug: Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht (OVG) bzw. Verwaltungsgerichtshof (VGH) und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Ähnliches gilt für die Sozialgerichte: Sozialgericht (SG), Landessozialgericht (LSG) und Bundessozialgericht (BSG).

b) Rechtslage Schweiz
In der Schweiz findet sich ebenfalls eine Aufteilung des Rechtswegs. Die zum 1.1.2011 in Kraft getretene eidgenössische Zivilprozessordnung (ZPO) regelt unter anderem das Verfahren vor den kantonalen Instanzen für streitige Zivilsachen, gerichtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, gerichtliche Angelegenheiten des Schuldbetreibungsund Konkursrechts und die Schiedsgerichtsbarkeit, Art. 1 ZPO. Die Organisation der Gerichte und der Schlichtungsbehörden ist grundsätzlich Sache der Kantone. Sie können auch ein Gericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem KVG zuständig ist, Art. 7 ZPO. Die Verwaltungsgerichte nehmen die richterliche Kontrolle über hoheitliche Akte wahr. Nach Maßgabe der jeweiligen kantonalen Bestimmungen bzw. Bundesgesetze können Verfügungen, aber auch Gesetze, Verordnungen oder schlichtes Verwaltungshandeln verwaltungsgerichtlich überprüft werden. In allen Kantonen und auf der Ebene des Bundes sind Verwaltungsgerichte eingerichtet. Bisweilen setzt die Anrufung eines Verwaltungsgerichts das vorherige Durchlaufen eines verwaltungsinternen Beschwerdeverfahrens voraus.

Dem Bundesverwaltungsgericht (BVGer) obliegt die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verfügungen aus dem Zuständigkeitsbereich der Bundesverwaltung. Das Gericht behandelt auch Beschwerden gegen bestimmte Beschlüsse der Kantonsregierungen, wie etwa im Bereich der Krankenversicherung. In etlichen Gebieten ist das BVGer Vorinstanz des Bundesgerichts. In diesen Fällen kann dort Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten oder Beschwerde in Zivilsachen erhoben werden. Ob dies in einem bestimmten Sachgebiet möglich ist, bestimmt sich nach Art. 82 ff. bzw. Art. 72 f. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG). Bei sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten führt der ordentliche Rechtsweg – seit dem Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) über die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten – zum Bundesgericht als letzte Instanz.

Seit dem 1.1.2011 bestimmt sich der Strafprozess einheitlich nach der eidgenössischen Strafprozessordnung, welche die kantonalen Strafprozessordnungen ablöste. Gerichtliche Befugnisse im Strafverfahren haben das Zwangsmaßnahmengericht, das erstinstanzliche Gericht, die Beschwerdeinstanz und das Berufungsgericht, wobei den Kantonen weitgehend die Gerichtsorganisation obliegt. Mit der Strafrechtsbeschwerde steht zudem der Gang ans Bundesgericht offen, Art. 78 BGG. Bei medizinischen Zwischenfällen kann der Patient sich zudem außergerichtlich an die Gutachterstelle der FMH wenden.

2.2 Entwicklungsstadien des Menschen bzw. sein Lebensalter und deren Bedeutung im Medizinrecht

Zahlreiche rechtliche Vorgaben, nicht nur im eigentlichen Medizinrecht, erlangen ihre Bedeutung in Abhängigkeit vom biologischen Entwicklungsstadium bzw. dem Lebensalter des Menschen. Die Tabellen 2-2 und 2-3 sollen hierzu Hinweise für die in den nachfolgenden Kapiteln besprochenen Fragen geben.