Kaltes Gold - Kriminalroman

Kaltes Gold - Kriminalroman

von: Cilla Börjlind, Rolf Börjlind

btb, 2020

ISBN: 9783641248949 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

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Kaltes Gold - Kriminalroman


 

Olivia Rönning war glücklich.

Glücklich, verliebt und braun gebrannt. Sie hatte Rückenwind, und das sah man ihr an, als sie, frisch von einem Urlaub in Mexiko zurückgekehrt, an ihrem Arbeitsplatz in der NOA, der Nationalen Operativen Abteilung, im Polizeipräsidium Stockholm einschwebte. Sie grüßte fröhlich alle Kollegen, denen sie auf dem Flur begegnete, und es strahlte dermaßen um sie herum, dass einige von ihnen stutzig wurden. Hatte sie etwas geraucht? So konnte man völlig grundlos doch nicht einfach aussehen, schon gar nicht in diesen Zeiten. Als sie schließlich die Tür zum gemeinsamen Büro mit Lisa Hedqvist öffnete, empfing sie sofort der fragende Blick ihrer geschätzten Kollegin.

»Warum bitte siehst du so glücklich aus? Hast du gar kein schlechtes Gewissen? Wo bleibt deine Flugscham?«

Olivia grinste, hob die Hände und klopfte sich leicht auf die Ohren.

»Entschuldige, aber ich höre nicht so gut. Schlechter Empfang hier drinnen.«

»Wahrscheinlich ist dir so ein Korallentier ins Ohr geraten. Das soll lebensgefährlich sein, habe ich gehört. Aber zumindest siehst du gut aus.«

Lisa erhob sich von ihrem Stuhl und wickelte Olivia in eine große Umarmung ein, zusammen mit einer Wolke Parfüm, das sie sich offenbar neu zugelegt hatte. Vielleicht hatte sich auch eine leichte Spur Schweiß daruntergemischt. Was nicht weiter erstaunlich schien, denn die Luft im Raum war alles andere als kühl. Die Sonne knallte durch die ziemlich schmutzige Fensterscheibe, und der Luftzug der Umarmung ließ kleine Staubkörnchen auf den Strahlen tanzen. Olivia versuchte, ein Niesen in Lisas Ohr zu unterdrücken, was ihr nicht ganz gelang.

»Gesundheit und willkommen zurück. Hattet ihr es schön? Du warst supermies im Posten von Bildern.«

Lisa lockerte ihren Griff um Olivia, zog ihr Shirt nach unten und setzte sich wieder. Olivia hängte ihre Tasche an den Haken und rückte die Haarklammer zurecht, die ihr dunkles Haar in einem lässigen Knoten hielt.

»Es war einfach nur magisch«, sagte sie. »Und ja, ich weiß. Ich habe Insta ziemlich vernachlässigt, aber ich hätte massenhaft Bilder auf meinem Handy, mit denen ich dich quälen könnte.«

Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen, der plötzlich zu einem Fahrstuhl nach unten wurde, sodass sie mit dem Kinn fast auf die Tischkante knallte.

»Verdammt!«

Olivia sah zu Lisa hinüber, die sich vor Lachen krümmte.

»Du hast irgendwas losgeschraubt!«

»Nein!«

Lisas prustendes Lachen erfüllte den tristen grauen Raum, die Staubkörnchen, die zuvor getanzt hatten, sausten jetzt wie kleine Starfighter durch die Luft.

»Ich hab den Stuhl nicht angerührt, ich schwöre es.«

Olivia rappelte sich aus ihrer entwürdigenden Lage hoch und untersuchte den Bürostuhl, doch keiner der Hebel funktionierte. Am Ende gab sie es auf, schob ihn zur Seite und nahm sich einen Klappstuhl, der an der Wand lehnte. Der war etwas zu hoch, aber so musste es jetzt erst mal gehen. Lisa hatte sich von ihrem Lachanfall erholt und wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.

»Das war genau das, was ich gebraucht habe. Du hättest dein Gesicht sehen sollen!«

»Wie schön, dass ich dein freudloses Dasein ein wenig aufhellen konnte. Ist es hier drin nicht unglaublich heiß?«

»Der Hades ist nichts dagegen. Irgendwas stimmt mit der Klimaanlage nicht.«

Olivia trat ans Fenster und streckte die Hand nach dem Griff aus.

»Vergiss es«, sagte Lisa. »Das lässt sich nicht öffnen.«

»Was ist denn los hier? Kaum ist man mal weg, verfällt alles?«

»Yep.« Lisa lächelte. »Es war schließlich Ferienzeit, nicht nur für dich.«

»Ich weiß. Wie war es denn bei dir?«

»Doch, ganz gut, oder na ja, erst war ich bei meiner Mutter auf Åland, wo es ununterbrochen geschüttet hat, also habe ich mich dann für Malaga entschieden. Last Minute, zusammen mit einer Freundin.«

»Nett.«

»Ja, oder? Allerdings bei brütender Hitze. Fünfundvierzig Grad. Ich lag mehr oder weniger die ganze Woche über keuchend im Hotelzimmer, während es hier zu Hause dreißig Grad hatte und strahlenden Sonnenschein. Woran uns aber auch alle ständig mit geposteten Bildern von herrlichen Tagen am Steg, wundervollen Grillabenden und unglaublich leckeren Drinks im Gegenlicht erinnert haben.«

Um Olivias Mund zuckte es.

Lisa erhob drohend einen Stift gegen sie. »Das nennt man Schadenfreude.«

»Überhaupt nicht. Es ist einfach so wahnsinnig schön, dich wiederzusehen«, sagte Olivia. »Du hast mir gefehlt.«

Und das war die Wahrheit. Lisa war nicht nur ihre Kollegin, sondern auch eine Freundin geworden. Sie hatten ihre Kämpfe ausgefochten, die aber hinter sich gelassen. Jetzt, da Mette nicht mehr im Haus war, war Lisa für Olivia ein verlässlicher Anker bei der Arbeit, und nicht nur dort. Sie wusste, dass sie sich auf Lisa absolut verlassen konnte, das war Gold wert.

»Und wie läuft es hier so?«

»Na ja. Ich bin seit voriger Woche wieder da und hatte sofort Stress. Die Mordermittlungen zu der zerstückelten Leiche in Vårberg.«

»Ja, davon habe ich gelesen. Widerlich. Aber ihr habt ihn, oder?«

»Ja, er hat ja von sich aus angerufen. Nach der psychologischen Begutachtung kriegt er jetzt eine riesige Untersuchung auf Zurechnungsfähigkeit. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er bei den ganzen anderen Bekloppten in der Forensischen Psychiatrie landen wird.«

Lisas Blick flackerte. Olivia wusste, was sie dachte. Lukas Bengtsson, inzwischen ihr Lukas, hatte ebenfalls eine Reihe von psychologischen Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen. Und war bei den anderen »Bekloppten« in Karsudden gelandet. Aber da hörten die Parallelen auch schon auf. Lukas war unschuldig verurteilt worden, und seine psychischen Störungen waren inzwischen unter Kontrolle.

»War nicht so gemeint …« Lisa biss sich auf die Lippe.

»Schon klar.«

»Geht es ihm immer noch gut?«

»Ja.«

»Und ihr habt es schön? Also, zusammen?«

Olivia lächelte. »Wir haben es sehr schön. Und selbst?«

Lisa entfuhr ein leichter Seufzer. »Frag nicht. Nee, das Thema habe ich fast schon aufgegeben. Du hättest mein letztes Date sehen sollen, er hatte …«

»Olivia Rönning.«

Olivia kannte die Stimme. Sie kam von der offenen Tür her und gehörte Klas Hjärne, ihrem neuen Chef. Nicht gerade ihr Favorit auf dem Posten. Aber die Lücke auszufüllen, die Mette Olsäter hinterlassen hatte, war auch keine Kleinigkeit.

»Haben Sie einen Moment Zeit?«, fragte Hjärne.

Olivia sah zu Lisa, die mit dem Rücken zu Hjärne ihr Gesicht verzog. Ihr Favorit war er auch nicht.

»Ja, natürlich. Hier, oder?«

Offensichtlich nicht. Hjärne hatte schon kehrtgemacht. Olivia erhob sich und folgte ihm.

Als sie sein Büro betrat, saß er bereits und wies auf den Stuhl ihm gegenüber. Hjärne war klein und fast kugelrund, nicht sonderlich durchtrainiert. Zur Polizei war er über die akademische Laufbahn gekommen. Olivia setzte sich. In diesem Raum war die Temperatur entschieden angenehmer, wofür es auch eine Erklärung gab: Ein kleiner Ventilator blies kühle Luft über den Schreibtisch.

»Ein langer Urlaub.«

Hjärne lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zupfte auf Taillenhöhe an seinem Hemd, um es langzuziehen, sodass der Bauch nicht so sichtbar wäre, was ein sinnloses Unterfangen war.

»Ja?« Olivia wusste nicht recht, was er damit sagen wollte.

»Schön, sehr schön. Aber jetzt ist es an der Zeit, die Ärmel wieder hochzukrempeln.«

»Absolut.«

Olivia ging davon aus, dass sie bei derselben Ermittlung mitarbeiten würde wie Lisa. Das passte ihr wunderbar für den Einstieg nach dem Urlaub. Ein Fall, der schon lief und zu dem es außerdem schon einen Täter gab. Sie würde ihre Abende und Nächte nichts anderem widmen müssen als Lukas. Der perfekte sanfte Start.

»Ich möchte, dass Sie sich eines Falles oben im Fjäll bei Arjeplog annehmen«, sagte Hjärne.

»Was?«

Der Chef lächelte angesichts ihrer bestürzten Reaktion, wahrscheinlich, weil die genau so ausfiel, wie er sie haben wollte. Davon war zumindest Olivia überzeugt. Er beugte sich vor, legte die Arme auf den Schreibtisch und gestikulierte wie ein mediengeübter Fernsehmoderator, als er sagte: »Man hat in einer Bergregion dort eine Leiche gefunden, und ich möchte, dass Sie sich die mal ansehen.«

Als er »Sie« sagte, deutete er auf Olivia und lehnte sich dann schnell wieder zurück.

»Aha«, sagte Olivia. »Allein?«

»Ist das ein Problem?«

Auf Hjärnes Stirn tauchte eine Falte auf.

»Nein. Nur ein bisschen ungewöhnlich.«

»Sie werden Informationen und Unterstützung von der Polizei vor Ort erhalten, das sollte also in Ordnung gehen. Wir haben gerade ohnehin wenig Leute, und ich kann nicht rechtfertigen, dass wir noch mehr Mitarbeiter wegen eines alten Falls da raufschicken.«

»Ein alter Fall?«

»Ja, hatte ich das nicht gesagt?«

»Nein.«

»Offensichtlich lag das Opfer schon etliche Jahre da oben unter dem Schnee begraben.«

»Klingt, als wäre das eher etwas für die Cold-Case-Abteilung.«

»Da hat man alle Hände voll zu tun, die stehen nämlich kurz vor einem Durchbruch im Väsby-Mord, und davon abgesehen haben sie noch 193 weitere Fälle auf dem Tisch. Außerdem ist...