Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3 - Vergütung

Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3 - Vergütung

von: Holger Dahl, Holger Dahl

Fachmedien Recht und Wirtschaft, 2020

ISBN: 9783800592852 , 286 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 144,99 EUR

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Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3 - Vergütung


 

Einführung: Ausgestaltung zeitgemäßer Vergütungssysteme


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Die Gestaltung von Vergütungssystemen spielt sich heutzutage in einem komplexen Spannungsfeld aus Unternehmensstrategie, konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen und den Interessen der Betriebsparteien ab. Agile Arbeitsformen, VUCA-Welt und Digitalisierung erhöhen die Dynamik unserer Umwelt und haben zusätzlichen Einfluss auf die Ausgestaltung solcher Modelle. Aber was genau sind die Merkmale eines adäquat ausgestalteten Vergütungssystems? An was sollten Unternehmen und Arbeitnehmervertretungen denken, wenn es an die Neu- oder Umgestaltung des eigenen Modells geht? Und welche Elemente machen eine zeitgemäße Vergütungsgestaltung aus? Die Eckpfeiler, die im Rahmen der Etablierung eines Vergütungssystems relevant sind, lassen sich als Prozess beschreiben und werden im Folgenden vorgestellt.

I. Zielsetzungen festlegen


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Der erste Schritt bei der Ausgestaltung eines Vergütungsmodells sollte darin bestehen, sich genau über die jeweiligen Zielsetzungen im Klaren zu werden. Die Verständigung auf Ziele ist unverzichtbar, weil diese einerseits bei der konkreten Ausarbeitung handlungsleitend sind und andererseits ein Kernelement im Kommunikationsprozess mit Mitarbeitern und Führungskräften darstellen. Was diese Zielsetzungen anbelangt, so können sie bei den unterschiedlichen Interessengruppen in einer Organisation (Geschäftsleitung, Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebsräte) durchaus voneinander abweichen: Gerade deshalb ist es umso wichtiger, sich von Beginn an ein klares Bild der Ziele aller Beteiligten zu erarbeiten. Interviews oder Workshops sind dafür geeignete Formate. Insbesondere bei Beteiligung von Mitbestimmungsgremien sollte auf diesen Schritt ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Nur wenn der Arbeitgeberseite die Ziele und Motive der Betriebsräte klar sind, kann es gelingen, in den mitbestimmten Tatbeständen zeitnah zu einer Verständigung und Einigung zu kommen. Ziele, die bei der Gestaltung von Vergütungssystemen häufig ganz oben auf der Agenda stehen und realisiert werden sollen, sind beispielsweise: Fairness, Transparenz und Nachvollziehbarkeit, Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten, Attraktivität und Bindung von Mitarbeitern, Honorierung von Leistungsträgern, aber auch Kostensteuerung und Kostenflexibilität.

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Der Prozess zur konkreten Entwicklung eines Vergütungssystems umfasst fünf Elemente, wobei jedes auf unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet werden kann (vgl. Abb. 1). Welche der Ausgestaltungvarianten für ein Unternehmen jeweils die passende ist, hängt einerseits von den schon erwähnten Zielsetzungen ab, wird aber auch noch von anderen Faktoren beeinflusst. So prägen beispielsweise Erfahrungen aus der Vergangenheit und Unternehmenshistorie die Wahleiner Variante genauso wie der Reifegrad und die Kultur einer Organisation. Bei der konkreten Ausgestaltung von Instrumenten tut man gut daran, diesen Umständen Rechnung zu tragen. Und nur weil irgendwelche Ideen gerade Trend sind und es andere tun, müssen sie noch lange nicht für das eigene Unternehmen passen.

Abb. 1: Elemente zur Ausgestaltung eines Vergütungssystems. Quelle: Lurse AG

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Eine Reihe von Leitfragen, die nachfolgend aufgeführt werden, kann bei der Wahl des passenden Systems unterstützen.

II. Die Funktions- und Stellenstruktur


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Die Funktions- und Stellenstruktur ist eines der zentralen Elemente eines Vergütungssystems und häufig der Ausgangspunkt für die Gestaltung weiterer Systeme. In der Regel verknüpfen Unternehmen mit der Funktions- und Stellenstruktur die Vergütungsstruktur. Die Anforderungen an Stellen definieren den Maßstab für die Bewertung von Personen im Rahmen des Performance Managements und zusätzlich differenziert nicht selten das variable Vergütungsmodell nach unterschiedlichen Funktionen oder auch Job Leveln.

Abb. 2: Die Funktions- und Stellenstruktur ist ein zentraler Anker für zahlreiche personalwirtschaftliche Instrumente. Quelle: Lurse AG

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Bei der Ausgestaltung der Stellenstruktur geht es um die Frage, nach welchem Verfahren Funktionswertigkeiten ermittelt werden. Grundsätzlich kennt die betriebliche Praxis zwei unterschiedliche Verfahren für diese Ermittlung, die Analytik und die Summarik. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass sie auf Basis definierter Kriterien zu einer Aussage über die Wertigkeit einer Stelle gelangen. Typische Kriterien, die zur Bewertung einer Stelle herangezogen werden, sind beispielsweise die Anforderungen an das zur Ausübung der Stelle notwendige Fachwissen, die Fähigkeit, Probleme zu lösen und Komplexitäten zu beherrschen oder auch das Ausmaß des Einflusses und die Freiheitsgrade, die mit der Ausübung der Stelle verbunden sind. Bei analytischen Verfahren ist jedes Kriterium explizit definiert, es wird jeweils die Ausprägung der einzelnen Kriterien für eine bestimmte Stelle ermittelt und Punkte vergeben. Die Summe der Punkte führt dann zu einem Job Level oder auch einer Stellenwertgruppe.

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Summarische Verfahren ermitteln keine Punkte, sondern arbeiten mit verbalisierten Beschreibungen von Job Leveln oder Stellenwertgruppen. So stellt beispielsweise jede tarifliche Entgeltgruppenbeschreibung ein summarisches Stellenbewertungsmodell dar. In der betrieblichen Praxis gibt es unterschiedliche Ausprägungen dieser Modelle. Es gibt sehr schlanke, knapp gehaltene Beschreibungen, häufig finden sich aber auch umfassendere Varianten in Form von Job Matrizen. Unabhängig davon, für welche Variante sich ein Unternehmen entscheidet, es braucht am Ende des Tages in irgendeiner Form ein nachvollziehbares Verfahren, mit dem eine Aussage zur Wertigkeit einer Stelle getroffen werden kann. Dieses Verfahren kann sehr einfach sein, oder auch sehr elaboriert. Schaut man in den Markt, so kann man beobachten, dass Unternehmen eher dazu übergehen, summarische Verfahren zu verwenden. Vor dem Hintergrund der Dynamik, mit der sich Strukturen und damit auch Stellen verändern, Hierarchien flacher werden und neue Stellen entstehen, sind diese Verfahren weniger aufwändig in der Anwendung und flexibler an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassbar.

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Aus der praktischen Erfahrung heraus empfiehlt es sich, den Betriebsrat schon frühzeitig sowohl in die Auswahlentscheidung zum Verfahren als auch in den Prozess der Bewertung von Stellen mit einzubeziehen. Dessen Mitbestimmungsrecht greift spätestens bei der Frage, welcher Mitarbeiter denn genau welche Stelle ausübt. Und wenn man in der Diskussion mit der Mitbestimmung zu einer gemeinsamen Verständigung über Verfahren und Stellenwertigkeiten gelangt, erleichtert dies in aller Regel die nachfolgenden Prozesse der Eingruppierung.

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Kann man nun eine Aussage treffen, welches Verfahren für welche Organisation am besten geeignet ist? Dies ist schwer machbar – bestimmte Ausgestaltungen, die in Unternehmen A sehr gut funktionieren, sind für Unternehmen B überhaupt nicht passend. Kultur, Reifegrad und in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen haben letztlich entscheidenden Einfluss auf die Auswahlentscheidung.

III. Die Vergütungsstruktur


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Ist eine Funktions- und Stellenstruktur definiert, kann auf deren Basis die Vergütungsstruktur mit Vergütungsgruppen definiert werden. Die Fragestellungen, die bei der Konzeption einer Vergütungsstruktur beantwortet werden müssen, sind vielfältig. Wie gelange ich als Unternehmen zu einer Aussage, was für eine Stelle bezahlt werden soll? Welche Regeln sollen angewandt werden, um die konkreten Gehälter der Mitarbeiter zu ermitteln? Welche Aspekte sollen mein Vergütungsniveau bestimmen; ist es die externe Perspektive, also der Markt? Oder schaut man eher auf die vorhandenen Einkommen und die interne Vergleichbarkeit? Sind Gehaltsbänder ein geeignetes Instrument und wenn ja, wie breit sollen diese sein? Kann die Organisation mit dem Spielraum bei der Gehaltsfestlegung umgehen, welcher durch ein Bändersystem entsteht? Oder braucht es eher ganz konkrete Aussagen darüber, was ein Mitarbeiter auf einer Stelle verdienen soll? Wie können Fairness und Nachvollziehbarkeit von Vergütungsentscheidungen gewährleistet werden; ein Thema, das insbesondere Betriebsräte sehr deutlich adressieren und das ihnen am Herzen liegt.

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In der betrieblichen Vergütungsgestaltung findet sich heute vorrangig die „Modellvariante“ Gehaltsbänder, die unter Nutzung des berühmten Blicks in den Markt definiert werden. Konzeptionell lässt sich das übliche Vorgehen wie folgt beschreiben: Die eigene Funktions- und Stellenstruktur wird der Job Level- und Job Familienstruktur eines Benchmarks zugeordnet. Der Benchmark liefert Marktgehälter für Job Level und Stellen. Unter Nutzung dieser Marktgehälter werden dann Gehaltsbänder definiert.

Abb. 3: Auf Basis der Funktions- und Stellenstruktur konzipieren Unternehmen ihre Vergütungsstruktur. Quelle: Lurse AG

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Viele Unternehmen definieren dabei für sich eine Art Vergütungsphilosophie in dem Sinne, dass sie eine Aussage treffen, wo sie sich in diesem Markt selbst verorten oder positionieren. Das kann dann beispielsweise darin münden, dass gesagt wird: „Wir positionieren uns in der Mitte des Marktes und vergüten auf dem Niveau des Marktmedians.“ Die Aussage gibt Mitarbeitern Orientierung und schafft Transparenz über die Leitlinien, die bei der internen Vergütungspolitik angewandt werden. In enger werdenden Arbeitsmärkten, die zunehmend zu Arbeitnehmermärkten...