Eine Frühlingsbraut für den Vagabunden?

Eine Frühlingsbraut für den Vagabunden?

von: Anne Gracie

CORA Verlag, 2020

ISBN: 9783733749224 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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Eine Frühlingsbraut für den Vagabunden?


 

1. KAPITEL

„Es gibt nun mal nicht so viele reiche Männer auf der Welt wie hübsche Frauen, die einen reichen Mann verdient hätten.“

Jane Austen, „Mansfield Park“

Mayfair London, März 1817

Das war reizend von dir, Abby, vielen Dank.“ Jane drückte ihrer Schwester liebevoll den Arm, während sie untergehakt über den Berkeley Square spazierten. „Ich kann nicht glauben, dass ich achtzehn Jahre alt werden musste, um festzustellen, wie Eiscreme schmeckt.“

Abby lachte. „In den letzten paar Monaten hast du jedenfalls aufgeholt. Gibt es irgendeine Sorte bei Gunter’s, die du noch nicht probiert hast?“

„Nein“, bekannte Jane. „Aber ich habe noch immer nicht entschieden, welche ich am liebsten mag.“

Abby hob belustigt die Brauen. „Dabei ist noch nicht mal Sommer.“ Genau genommen war es noch nicht mal richtig Frühling. Die Bäume, die den Platz säumten, fingen gerade erst an auszuschlagen, und ein paar vereinzelte Gruppen Schneeglöckchen streckten die Köpfe aus der Erde.

„Unabhängig von der Eiscreme ist es so schön, mal wieder miteinander zu plaudern, nur wir beide.“ Wieder drückte Jane ihrer älteren Schwester den Arm. „Du weißt, dass ich Damaris und Daisy liebe, aber manchmal …“

Abby nickte. „Manchmal brauchst du einfach deine Schwester. So geht es mir auch.“ Sie schwieg kurz, dann blieb sie stehen und schaute Jane aufmerksam an. „Bist du aufgeregt wegen deiner Saison? Bis zu deinem ersten Ball dauert es doch nur noch ungefähr zehn Tage, oder?“

„Vierzehn“, berichtigte Jane. „Und nein, ich bin nicht aufgeregt. Nicht richtig.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nun ja, auf gute Art aufgeregt. Wenn du’s genau wissen willst: Ich kann es kaum erwarten. All diese Jahre im Pillbury-Heim, wo es nur Gewänder aus grauem oder braunem Serge gab, hätte ich mir nie träumen lassen – oder vielmehr, ich konnte nur davon träumen –, zu Partys und Bälle eingeladen zu werden, hübsche Kleider zu tragen, bis in die Morgenstunden zu tanzen, ins Theater und auf Konzerte und zu Picknicks zu gehen, so wie Mama früher. Doch ich habe in Wahrheit nie daran geglaubt, dass es tatsächlich eines Tages dazu kommen würde.“ Sie umarmte ihre Schwester und drehte sich dann einmal fröhlich im Kreis. „Es ist so spannend, Abby. Ich bin ja so glücklich.“

„Wir können uns alle glücklich schätzen“, erwiderte Abby ernst. „Jede von uns. Wenn Lady Beatrice nicht gewesen wäre …“

„Ich weiß. Aber sie besteht darauf, dass wir sie gerettet haben, was ja in gewisser Weise auch stimmt. Und ehrlich, Abby, sie genießt das Ganze ebenso wie wir. Sie könnte nicht entzückter sein, wenn wir ihre echten Nichten wären.“

„Nur gut, dass ich ihren Neffen geheiratet habe.“ Abby lachte. „Dadurch wird es ja beinahe wahr.“

„Unsinn! Deine Heirat mit Max hat nichts damit zu tun. Wenn ich Nichten will, dann kriege ich sie verflixt noch mal auch!‘“, ahmte Jane Lady Beatrice nach. Es war eine exzellente Imitation, und beide Mädchen mussten lachen.

Abby hakte sich wieder bei Jane unter, und sie gingen weiter. „Oh Jane, ich bin so glücklich. Glücklicher als ich je für möglich gehalten hätte. Du hast keine Ahnung. Die Ehe ist …“ Sie seufzte verzückt auf und errötete dann. „Aber das findest du schon bald heraus. Du wirst einen gut aussehenden jungen Mann treffen – vielleicht sogar schon auf dem Ball nächste Woche –, und dich bis über beide Ohren in ihn …“

„Glaubst du, dass Damaris und Freddy schon in der Stadt sind?“

Abby warf ihrer Schwester einen scharfen Blick zu, akzeptierte aber den abrupten Themenwechsel. „In ihrem letzten Brief schrieb Damaris, dass sie voraussichtlich heute oder morgen eintreffen, es könnte also sein.“

„Oh, gut. Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Ihre Briefe aus Venedig enthielten so wundervolle Zeichnungen – es scheint ein geradezu magischer Ort zu sein. Ich frage mich, ob ich wohl jemals dorthin komme.“

„Jane …“

Doch Jane wollte sich nicht übers Verlieben unterhalten, im Gegensatz zu Abby, die derzeit keinen anderen Gesprächsgegenstand zu haben schien. „Pass auf.“ Sie zog Abby hastig ein Stück zurück, während ein offener Zweispänner an ihnen vorbeisauste. „Du bist nicht mehr auf dem Land, Abby. Denk dran, dass hier in London reger Verkehr herrscht.“ Sie überquerten die Straße und erklommen die Stufen, die zu Lady Beatrices Haustür führten. Jane und Daisy wohnten noch immer bei der alten Dame.

Nach seiner Heirat hatte Max ein eigenes Stadthaus direkt um die Ecke gemietet und auch Daisy und Jane angeboten, dort einzuziehen, war damit jedoch bei Lady Beatrice auf größten Widerstand gestoßen. „Du willst mir meine Mädels stehlen? Schlimm genug, dass ich Abby und Damaris an dich und Freddy verloren habe. Was ist heutzutage bloß los mit frisch vermählten Paaren? Legt ihr denn gar keinen Wert auf Privatsphäre?“ Der stechende Blick, mit dem sie diese Worte begleitete, wurde durch ihre Lieblings-Lorgnette eindrucksvoll vergrößert.

Abby und Max waren daraufhin von ihrem Vorschlag abgerückt. Und Freddy hatte sich den Hinweis zu Herzen genommen und für die Saison ebenfalls ein Stadthaus in fußläufiger Nähe zum Berkeley Square angemietet.

Bevor Jane nach dem Klingelzug greifen konnte, wurde die Haustür vorsichtig geöffnet. Featherby, ihr Butler, legte sich geheimnisvoll einen weißbehandschuhten Finger an die Lippen und trat zurück, um sie einzulassen.

Daisy saß auf der Treppe, auf halber Höhe zwischen Eingangshalle und erster Etage. „Daisy?“ Jane sah sie fragend an.

„Psssst!“ Daisy versuchte, sie mit ausufernden Gesten zum Schweigen zu bringen. Jane und Abby wechselten einen verdutzten Blick. Was um alles in der Welt ging hier vor?

Featherby klopfte sich mit dem Finger gegen die Lippen, um die Notwendigkeit absoluter Stille zu bekräftigen, und deutete mit der anderen Hand auf die nur angelehnte Tür zum Salon. Stimmen drangen in die Halle. Lady Beatrice und ein Besucher. Daran war nichts Ungewöhnliches. Warum also taten Daisy und Featherby so mysteriös?

„Was …“, versuchte Jane es noch einmal.

„Pssst!“ Daisy wedelte nachdrücklich mit den Händen, um Jane zu bedeuten, sie möge zu ihr hochkommen und den Mund halten.

Verwirrt verstummte Jane. Featherby stellte sich vor die Salontür, um die Sicht auf den unbekannten Gast zu blockieren, während Jane und Abby an ihm vorbeischlichen und leise die Stufen hocheilten.

„Was ist denn los?“, wisperte Jane.

„Setz dich hin und hör zu!“ Daisy zog sie neben sich auf die Stufen. „Es geht um dich.“

Jane setzte sich. Abby folgte ihrem Beispiel. Alle drei lehnten sich ans Geländer und lauschten angelegentlich den Stimmen, die noch immer aus dem Salon drangen.

Der Mann, wer auch immer er sein mochte, sprach gerade über sich selbst. „Natürlich kennen Sie meine Familie und meine finanziellen Verhältnisse, Lady Beatrice, und wissen, dass meine Heiratswürdigkeit außer Frage steht …“

Heiratswürdigkeit? „Wovon redet er denn?“, flüsterte Jane.

„Er macht gerade ein Angebot für dich“, informierte Daisy sie, ebenfalls flüsternd.

„Für mich?“, quiekte Jane leise. Sie drehte sich zu Daisy um. „Wer ist das?“

„Lord Cambury.“

Jane starrte sie verständnislos an. „Wer?“

„Lord Cambury. Er hat zwei Mal am literarischen Salon teilgenommen.“

Jane schüttelte den Kopf. Sie hatte noch immer keine Ahnung, um wen es sich handelte.

„Kleiner dicker Kerl. Ungefähr dreiunddreißig. Flott gekleidet. Wird schon kahl.“ Sie tat so, als ob sie spärliche Strähnen über einen Glatzkopf kämmte, und auf einmal erinnerte Jane sich. Lord Cambury.

Lord Cambury? Das musste ein Missverständnis sein. Er konnte unmöglich um sie anhalten. Sie hatte kaum ein Dutzend Worte mit dem Mann gewechselt. Unwillkürlich beugte sie sich weiter vor, um die Konversation dort unten besser verfolgen zu können.

Doch plötzlich drehte Featherby, der beiläufig neben der Salontür herumgelungert hatte, sich um und gestikulierte eindringlich. Lord Camburys Stimme wurde lauter. „Dann also bis morgen, Lady Beatrice. Ich freue mich darauf.“

Er machte sich zum Aufbruch bereit. Die Mädchen standen auf und liefen rasch nach oben, außer Sichtweite.

Auf dem Treppenabsatz blieb Jane stehen, drehte sich um und spähte vorsichtig zwischen den Streben des Geländers hindurch. Kurz sah sie eine rosige glänzende Glatze, auf der sich ein paar sorgfältig drapierte dünne blonde Strähnen verteilten, bevor Featherby Lord Cambury Hut, Mantel und Gehstock reichte.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete Jane tief ein. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie vor Spannung die Luft angehalten hatte.

Featherby schaute kurz zu ihnen hoch. „Ja, Mylady, Miss Jane und Lady Davenham sind wieder hier, zusammen mit Miss Daisy“, sagte er lauter als notwendig. „Soll ich sie rufen?“ Die Mädchen huschten eilig die Treppe hinunter.

„Tee, Mylady?“, erkundigte Featherby sich, als alle im Salon waren.

Lady Beatrice nickte. „Und etwas Stärkeres für mich.“ Featherby zog sich mit einer Verbeugung zurück. Die alte Dame zückte ihre Lorgnette und musterte Jane eindringlich. „Nun, Miss, du steckst ja voller...