Evolution. Die komplette Reihe (Band 1-3) im Bundle

Evolution. Die komplette Reihe (Band 1-3) im Bundle

von: Thomas Thiemeyer

Arena Verlag, 2020

ISBN: 9783401809298 , 1160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 19,99 EUR

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Evolution. Die komplette Reihe (Band 1-3) im Bundle


 

1

Wo bist du, Jem?
Geht es dir gut?
Ich würde alles dafür tun, dich wiederzusehen.

Lucie gab sich einen Ruck und schritt an Ragnar vorbei, die Stufen hinauf in die Festung.

Der Gang war breit und von Fackeln gesäumt. Wasser tröpfelte von den grob behauenen Wänden. Der Schein der Flammen spiegelte sich in den Pfützen. Wachen standen rechts und links. Sie wirkten ernst und zu allem entschlossen. Kein freundliches Wort kam über ihre Lippen. Lucie fühlte sich wie eine Gefangene. Was ging hier vor? Warum waren diese Menschen so zurückhaltend?

Ragnar schob sie vor sich her. »Vorwärts, nicht trödeln. Wir haben es eilig.«

Sie fuhr herum. »Fass mich nicht an.«

»Oder was?« Tief in Ragnars Augen war ein Glimmen zu sehen. Wie bei einem Drachen, kurz bevor er Feuer spie. Doch er hatte sich unter Kontrolle.

»Das wirst du dann schon noch merken.«

»So temperamentvoll, hm? Aber das passt zu deinen Haaren.« Er lächelte. »Bitte entschuldige, ich wollte nicht zudringlich werden. Es ist nur so: Jarl Ansgar ist kein geduldiger Mann. Er reagiert ziemlich ungehalten auf Verspätungen. Und er hat viele Fragen an euch.«

»Die haben wir auch«, erwiderte Lucie. »Aber das ist noch lange kein Grund, unhöflich zu werden.« Sie ließ ihn stehen und ging weiter.

Ragnar mochte zwei oder drei Jahre älter sein als sie und war gut gebaut. Nicht so groß und massig wie Marek, aber kräftig und ziemlich durchtrainiert. Kein uninteressanter Typ. Seine Aura leuchtete in einem warmen Goldton. Nach außen hin wirkte er ruhig und kontrolliert, doch in seinem Inneren brodelte es, das spürte Lucie. Mit seinen blonden, geflochtenen Haaren, seinem Bart und den vielen Tätowierungen erinnerte er Lucie an einen nordischen Krieger – einen Wikinger oder so. Auch seine Rüstung und das Wolfsfell über seinen Schultern entsprachen diesem Bild. Wobei sich natürlich die Frage stellte, wieso hier in Nordamerika Wikinger lebten. Und was um alles in der Welt sie in den Bergen zu suchen hatten.

Seine Stimme riss Lucie aus ihren Gedanken.

»Warum hast du vorhin auf die andere Talseite geschaut?«

Sie presste die Lippen zusammen. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, sagte sie leise.

»Sehr interessant. Und was?«

Ja, was? Sollte sie ihm erklären, dass sie Jems Stimme in ihrem Kopf gehört hatte? Er hätte sie für verrückt gehalten. Solange sie nicht wusste, mit was für Menschen sie es hier zu tun hatte, würde sie niemandem von ihrer besonderen Begabung berichten.

Sie zuckte die Schultern. »Nichts Bestimmtes. Nur so eine Ahnung.«

Ragnar schnalzte mit der Zunge. »Frauen und ihre Ahnungen. Wenn du nach dem Trow Ausschau gehalten hast, solltest du dir keine allzu großen Hoffnungen machen. Die Chancen, da draußen alleine zu überleben, sind gleich null. Wir können morgen früh ein Suchkommando losschicken, aber ich denke nicht, dass er die Nacht überstehen wird.«

»Trow? Wovon redest du?«

»Na, der, den ihr zurückgelassen habt. Der Dunkle.«

»Ja«, sagte sie. »Ich habe tatsächlich nach ihm Ausschau gehalten. Wie kommst du darauf, dass er nicht überleben wird? Du kennst Jem nicht. Er ist ziemlich einfallsreich.« Natürlich hatte sie sich selbst auch schon hundert Mal die Frage gestellt, ob er es allein schaffen würde, und es machte sie fast wahnsinnig, nicht zu wissen, wo er war und wie es ihm ging.

»Das wird ihm nichts nutzen«, entgegnete Ragnar. »Hörst du das?« Er hob den Finger an sein Ohr. Durch eine der Schießscharten war ein Heulen zu hören.

Wölfe!

»Sollte er den Bärenangriff wirklich überlebt haben – was sehr unwahrscheinlich ist –, so wird er zur Beute der Nachtfelle. Jeder Mann, der halbwegs bei Verstand ist, kehrt vor Sonnenuntergang freiwillig ins Innere der Burg zurück. Nach dem Schließen der Tore ist das da draußen ihr Reich.« Seine Stimme wurde leiser. »Wenn du wüsstest, wie viele Männer wir bereits an die Wölfe verloren haben. Gute Männer. Krieger. Es ist eine grausame Welt da draußen.«

»Jem wird es schaffen«, sagte Lucie mit bebender Stimme. »Er ist anders.«

Ragnar wiegte nachdenklich den Kopf. »Nun ja, ich weiß nicht so viel über die Trow. Besitzt er magische Fähigkeiten?«

Da war es schon wieder, dieses Wort.

»Was meinst du damit?«, fragte sie. »Welche Fähigkeiten? Und was um alles in der Welt sind Trow?«

»Vielleicht kennst du sie unter anderem Namen, immerhin scheinst du von weit her zu kommen. Ich rede von den Dunkelwesen.« Er sah sie erwartungsvoll an. »Oder hast du diesen Namen auch noch nie gehört?«

»Nein.«

Er hob erstaunt die Brauen. »Wie ist das möglich? Kennst du die Legende etwa nicht?«

Lucie wurde es jetzt zu dumm. »Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du endlich aufhören würdest, in Rätseln zu sprechen. Ich kenne keine Trow, ich kenne keine Dunkelwesen und von irgendeiner Legende weiß ich auch nichts. Jem ist mein Freund und er braucht unsere Hilfe. Warum schickst du das Suchkommando nicht gleich jetzt los?«

»Weil nach Sonnenuntergang niemand mehr die Zitadelle verlässt. Viel zu gefährlich.«

»Dann halt morgen früh, gleich nach Sonnenaufgang.«

Ragnars Blick drückte Verblüffung aus. Er sah sie mit wachsender Neugier an. »Was liegt dir so an ihm? Weißt du nicht, dass sie keine Freunde der Menschen sind? Die Trow waren einst Verbündete der Titanen. Was auch der Grund ist, warum die Götter sie mit dunkler Haut gestraft haben. Ein paar von ihnen leben in der Unterstadt, neben der Kanalisation. Aber sie bleiben lieber unter sich. Man darf ihnen nicht trauen, sie sind widerspenstig und faul. Es heißt, sie würden dort seltsame Rituale betreiben.«

Lucie schluckte. Ihr wurde immer klarer, dass hier irgendetwas faul war. Ragnars Worte hinterließen einen äußerst bitteren Nachgeschmack.

So seltsam es klang, aber für den Moment war Lucie froh, dass Jem nicht hier war.

Sie verließen den Gang und betraten eine Halle von immensen Ausmaßen. Einen solch riesigen Saal hatte sie nicht erwartet. Die Wände waren aus grobem Mauerwerk gehauen und etwa zehn Meter hoch. Tierköpfe waren dort befestigt. Es gab Trinkhörner, geschnitzte Drachenköpfe, Holzpfähle in Menschengestalt, Felle, Schilde und Waffen, deren Klingen vom Alter schwarz geworden waren. Durch die Schießscharten tröpfelte das letzte Grau des Tages. Der Geruch von Rauch, Fleisch und verbranntem Fett hing in der Luft. Fackeln verströmten unruhiges Licht.

An der gegenüberliegenden Seite standen drei Götterfiguren, die aus mächtigen Baumstämmen geschnitzt waren. Sie waren überdeckt mit Symbolen und Zeichen und ebenfalls geschwärzt vom Alter. Zu ihren Füßen hatte man Opferschalen und kleine Ölfeuer aufgestellt.

Etwa zwei Dutzend Männer saßen an langen Holztischen, aßen und tranken. Sie hatten lange Bärte und trugen Schmuck sowie Kleidung aus Leder und Fell. Einige von ihnen waren etwas edler gekleidet. Kaufleute vielleicht, oder Beamte. In ihren Gesichtern lagen Neugier und Argwohn.

Lucie spürte instinktiv, dass man sie hier nicht mit offenen Armen empfangen würde.

In einem Kamin an der Ostseite der Halle brannte ein hohes Feuer. Daneben befand sich ein steinerner Sockel, auf dem ein einzelner überdimensionierter Stuhl stand. Wie alles in dieser Halle war auch er aus Holz geschnitzt und kunstvoll verziert. Auf dem Thron saß ein gebeugter Mann. Früher war er wahrscheinlich ziemlich kräftig gewesen, denn er hatte große Hände und Füße, doch Alter oder Krankheit hatten ihn schrumpfen lassen. Lucie fiel sofort seine gelbliche Haut auf, die alles andere als gesund wirkte. Sein Haar war strähnig und unter seinen Augen lagen dicke Tränensäcke. Über seinen Schultern hing ein Bärenfell, darunter trug er eine funkelnde Brustplatte, wie Lucie sie nur aus den Geschichtsbüchern kannte. Ein Lederband mit einem blitzenden Rechteck aus Gold war das Einzige, was einer Krone gleichkam. Unzweifelhaft der Herrscher dieser Burg. Wie hatte Ragnar ihn genannt? – Jarl Ansgar.

»Warte hier bei deinen Freunden«, flüsterte Ragnar ihr zu. »Ich werde euch ankündigen.«

Er trat vor den Thron, verbeugte sich und sagte: »Ich bringe euch die Fremden, Vater. Sie sind unbewaffnet und friedlich.«

Dann stellte er sie der Reihe nach vor.

Der Alte richtete sich auf. »Ich danke dir, mein Sohn. Du hast deine Sache gut gemacht.« Seine Stimme war tief und rau.

Lucie warf einen verwunderten Blick auf Ragnar. Er war der Sohn des Fürsten? Wenn sie das gewusst hätte, wäre sie vielleicht nicht so vorlaut gewesen.

Neben Ansgar stand ein zweiter Mann. Ein Berater vielleicht, oder ein Priester. Er war groß und schlank und hatte offensichtlich schon einiges erlebt. Sein linkes Auge war blind, die Haut darunter weiß und vernarbt. Was ihm an Haaren fehlte, machte er durch seinen Bart wett, der bis zu seiner Hüfte reichte und zu Zöpfen geflochten war. An ihren Spitzen befanden sich kleine Metallröhrchen, die bei jeder Bewegung leise klingelten. Gekleidet war er in eine Kutte, an deren Schultern die Köpfe und Schwingen zweier ausgestopfter Raben befestigt waren. Er hielt einen kunstvoll geschnitzten Stab in der Hand, an dessen Ende ein furchterregender Drachenkopf prangte. Er schien zu der schweigsamen Sorte zu gehören und beschränkte sich darauf, die Neuankömmlinge mit seinem verbliebenen Auge durchdringend anzustarren.

Der Jarl hob sein Kinn. »Mein Name ist Ansgar Kurdack-Vlat, Jarl von Niflheim und Beschützer der Toten. Wer wird für euch sprechen?«

»Ich werde das tun«, sagte Marek und trat vor. »Ich bin der Anführer dieser...