Beethoven - Leben im Werk

Beethoven - Leben im Werk

von: Paul Bekker

apebook Verlag, 2020

ISBN: 9783961302031

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 2,99 EUR

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Beethoven - Leben im Werk


 

II. Aus seinen Lebenskreisen


Das Bestreben, die Persönlichkeiten bedeutender Menschen stets aus idealisierender Perspektive zu betrachten, hat allmählich eine Beethovenvorstellung geschaffen, die sich mit der Wirklichkeit nur noch in wenigen Punkten deckt. Man erzählt, Beethoven sei ein unpraktischer, mit den Grundsätzen der Lebensklugheit, mit den Formen des gesellschaftlichen Umgangs wenig vertrauter Mensch gewesen, der sich im Leben schwer zurechtgefunden habe. Einige Anekdoten gelten als Beweise für diese Auffassung. Der Hinweis auf Beethovens Taubheit vervollständigt die Zeichnung, und ohne Schwierigkeit ist das Bild des unerfahrenen, urteilslosen Beethoven fertig. Wie könnte auch ein Mensch, der sich in seinem Schaffen allem irdischen Treiben entfremdet, von den Geschäften des gemeinen Lebens, von der wahren Natur menschlicher Charaktere eine zutreffende Vorstellung haben? Er glaubt, die Welt ist so, wie er sie sich erträumt, und zieht sich schmerzlich berührt in sein Inneres zurück, sobald ihm die tägliche Erfahrung einen Streich spielt.

Die Ergebnisse der historischen Forschung führen zu wesentlich anderen Anschauungen. Manche wissenswerten Einzelheiten aus Beethovens Leben sind festgestellt, von Erdichtungen und willkürlichen Ausschmückungen gesäubert worden. Vergleicht man auf Grund der als wahr nachgewiesenen Tatsachen den vom Schimmer romantischer Sagen verklärten Beethoven mit dem Mann der Wirklichkeit, so ergibt sich die Notwendigkeit einschneidender Korrekturen. Es zeigt sich, dass wenige Musiker eine ähnlich klare und sachliche Auffassung der Außenwelt gehabt haben, dass Beethoven in der Beurteilung seiner Mitmenschen sich selten zum Guten, häufig zum Schlimmen irrte – gewiss kein Charakteristikum eines idealistischen Träumers. Seine Lebensführung, so seltsam sie auch zuweilen erscheinen mag, entspricht einer bewunderungswürdigen Zweckmäßigkeit und zeugt von einem scharfblickenden, alle realen Verhältnisse richtig und nüchtern beurteilenden Geist.

Gewiss war Beethoven nicht der Mann, der in den Geschäften des Alltags aufging. Seine Kunst stand ihm höher als die Interessen des Lebens. So mochte es vorkommen, dass er in der Ekstase des Schaffens zeitweilig die Wirklichkeit vergaß und nichts mehr von der umgebenden Welt wusste. Wenn er in solchem Zustand seinen näheren Bekannten völlig erdenentrückt schien, wenn er sein Äußeres so weit vernachlässigte, dass er zur Zeit der Messekomposition einmal als Vagabund von der Polizei aufgegriffen und in festes Gewahrsam gebracht wurde, so zeugen solche Zustände wohl von der übermächtigen, durch nichts zu verdrängenden Gewalt seiner Inspiration – aber sie sind doch nur Ausnahmen. Sie geben kein Recht zu verallgemeinernden Rückschlüssen.

Besondere Sorgfalt für sein Äußeres war freilich niemals Beethovens Art. Schon als Kind fiel er durch unordentliche und unsaubere Kleidung auf. „Was tut das“, erwiderte er, als man ihn tadelte, „wenn ich einmal ein Herr werde, dann wird mir das keiner mehr ansehen.“ Der Verkehr mit Breunings und ihren Kreisen mag bessernd auf ihn eingewirkt haben. Auch in der ersten Zeit des Wiener Aufenthalts scheint er sich den herrschenden gesellschaftlichen Ansprüchen gefügt zu haben. Es finden sich unter seinen damaligen Aufzeichnungen mehrfach Notizen über Ausgaben für elegante Garderobe. Der Unterricht beim Tanzmeister beweist, dass auch Beethoven einst den Grazien huldigte. Viel Gegenliebe hat er kaum gefunden. An seinem bärenhaft derben Wesen, seinen ungestümen, von heftigem Temperament erfüllten Bewegungen mussten alle Verfeinerungsbemühungen scheitern. Zerbrechliche Kostbarkeiten blieben bis an sein Lebensende vor ihm nicht sicher. Auch sein Streben nach Eleganz war weniger inneres Bedürfnis als vielmehr ein Zugeständnis, das Beethoven den Vornehmen machte, um Einlass in ihre Salons zu erhalten. Sobald er seinen Zweck erreicht hatte, war er wieder der ungenierte Rheinländer, der seinem Temperament die Zügel schießen lässt und wenig danach fragt, ob seine Frisur richtig sitzt, ob sein saloppes Benehmen den offiziellen Vorschriften entspricht. Beim Fürsten Lichnowsky wohnt er und genießt alle Vorteile der Gastfreundschaft. Allein die gemeinschaftliche Tafel ist ihm unbequem. „Nun soll ich“, klagt er Wegeler, „täglich um halb vier zu Hause sein, mich etwas besser anziehen, für den Bart sorgen usw. – das halte ich nicht aus.“ Lieber lebt er auf seine Weise und speist im Wirtshaus. Zwang jeder Art ist ihm verhasst. Rücksichtnahmen widern ihn an, und übertriebene Höflichkeit reizt seinen Zorn fast noch mehr als hochmütiger Stolz. Die Hetzendorfer Villa des Barons Pronay, bei dem er während des Sommers 1823 weilt, verlässt er nach kurzer Zeit, nur um den devoten Respektbezeugungen des Besitzers zu entgehen. Gesellschaftliche Etikette verachtet er. Sein Künstlerstolz erhebt ihn darüber. Als er mit dem 1804 in Wien weilenden Prinzen Louis Ferdinand von Preußen zusammen eingeladen wird und seinen Platz nicht an der fürstlichen Tafel findet, fährt er unwirsch auf und verlässt das Haus. Er genießt die Genugtuung, dass kurz darauf der Prinz selbst ihn zu sich bittet und sich den Platz zwischen Beethoven und der Gastgeberin des vorangehenden Abends wählt.

Dieses übermächtige Selbstgefühl musste naturgemäß umso stärker hervortreten, je mehr das Bewusstsein der Künstlerwürde sich in Beethoven stärkte. Die Vernachlässigung seines Äußeren nahm indessen nicht in regelmäßiger Steigerung zu. Nach Perioden völligen Außerachtlassens aller Rücksichten spürte Beethoven plötzlich wieder Neigung, den vornehmen Herrn zu spielen. Im Allgemeinen erklärt sich dieser Wechsel aus seiner Schaffensweise. Hielt ihn eine große Arbeit gefesselt, so erfüllte sie ihn bis zum völligen Vergessen der Außenwelt und ihrer Ansprüche. War das Werk jedoch vollendet, dann kehrte Beethoven allmählich in die gewohnten Verhältnisse zurück, beschäftigte sich ernsthafter mit seiner Umgebung, fühlte sich wieder als Mensch unter Menschen, modernisierte sich in überraschend luxuriöser Weise und nahm den Verkehr mit der Welt wieder lebhaft auf.

Ein etwas seltsames Bild gab Beethoven freilich auch dann ab, wenn er sich nach den neuesten Regeln der Toilettenkunst zurechtgestutzt hatte. Befand er sich in Begleitung anderer, so erregten seine lebhaften Gestikulationen, seine raue, laute Sprache die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden. Strich er einsam durch die Straßen Wiens, um seinen gewohnten täglichen Spaziergang zu unternehmen, dann fiel das Groteske der sonderbaren Erscheinung auf. Lyser hat uns eine nach Gerhard von Breunings Zeugnis bis auf geringfügige Einzelheiten durchaus glaubwürdige, aus den letzten Lebensjahren des Tondichters stammende Zeichnung des umherwandelnden Beethoven gegeben. Hastigen Schrittes eilt er durch die Straßen, die noch nicht mittelgroße stämmige Figur bekleidet mit modischen weißen Strümpfen und hellen Pantalons, gleichfarbiger Weste, kunstreich um die breiten Vatermörder geschlungenem weißen Halstuch, lose aufgestülptem Hut und langwallendem blauen Frack mit Messingknöpfen. Schwer beladen sind die Schöße dieses Rockes. Beim Gehen schlagen sie häufig nach außen – bergen sie doch ein umfangreiches Skizzenbuch in länglichem Quartformat, eines der Oktavkonversationshefte, einen dicken Zimmermannsblei, Hörrohre und sonstige Gebrauchsgegenstände. Die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, den Oberkörper vornübergebeugt, das Haupt emporgerichtet, schießt Beethoven vorwärts. Plötzlich hemmt er die Schritte, zieht eines der Bücher aus der Tasche und fängt an, bald leiser, bald lauter vor sich hinbrummend und dabei gestikulierend, Notizen zu machen. Dann wird der Spaziergang fortgesetzt, und wenn Beethoven nicht gerade in den Himmel hinaufschaut, sondern das Auge der Erde zuwendet, so verzieht sich das Gesicht beim Anblick eines hübschen Mädchens auch wohl zu einem begehrlichen Schmunzeln.

Dass Beethoven kein Adonis war, berichten nicht nur die Zeitgenossen. Auch die von ihm erhaltenen Bilder lassen es erkennen. Sie sind in ziemlich großer Anzahl vorhanden, namentlich aus späteren Jahren, wo Beethovens zunehmende Berühmtheit Anlass gab, ihn öfter zu porträtieren. Leider kann keines dieser Bilder als vollgültiger Ausdruck von Beethovens Persönlichkeit gelten. Die Kunst des Porträts war damals in Wien nur gering entwickelt, Beethoven außerdem ein viel zu ungeduldiges Modell, um einem Maler Gelegenheit zu eingehendem Studium zu geben. Aus der nicht unbeträchtlichen Menge von Beethovenbildnissen kommen daher die meisten für eine Erkenntnis seines Wesens heute kaum noch in Betracht. Weder Stielers idealisiertes, melancholisch ausdrucksvolles Porträt mit der Messe, noch die akademisch steife Zeichnung und Büste Dietrichs oder gar die gutgemeinten, aber dilettantischen Darstellungen Mählers sind als lebenswahre Beethovendarstellungen anzusehen. Von dem noch aus Bonn stammenden Schattenriss des angeblich 16jährigen Beethoven wissen wir nicht ganz genau, ob er in Wirklichkeit Ludwig oder einen seiner Brüder vorstellen soll. Die Totenmaske ist wertlos, da Dannhauser sie erst abnehmen konnte, nachdem bereits die Schläfenknochen herausgesägt, Gesichtszüge und Schädelform also entstellt waren. So bleibt nur das Ölbild Schimons, Kloebers Lithographie und Höfels, nach Letronnes Zeichnung angefertigter Kupferstich, dazu die für Streichers Magazin modellierte Büste von Klein nebst der im Jahr 1812 dafür abgenommenen Gesichtsmaske.

Lebendmaske Beethovens - Nachguss nach der von Franz Klein im Jahr 1812 abgenommenen Maske

Diese gibt das getreueste Abbild des Beethovenschen Kopfes, mit dem durch Pockennarben linksseitig verkümmerten,...