Requiem für einen Freund - Kriminalroman

von: Elisabeth Herrmann

Goldmann, 2020

ISBN: 9783641214289 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Requiem für einen Freund - Kriminalroman


 

Hüte dich vor goldenen Löwen


1


Alttay klebte den ganzen Weg hinaus an uns wie ein Kaugummi am Schuh. Mit fliegenden Schößen überholte er mich sogar auf der Treppe und stellte sich mir in den Weg.

»Wisst ihr, an was ihr da grade dran seid? Das könnt ihr doch gar nicht überblicken. Wenn ihr einen Mörder deckt …«

Ich schob ihn ärgerlich zur Seite. Das hatte man davon, wenn man einen Gerichtsreporter ins Boot holte, der vom Pulitzerpreis träumte.

»Erst mal müssen wir uns anhören, was er zu sagen hat. Das kann alles auch einen ganz harmlosen Grund haben.«

»Jemand eliminiert alle Hinweise darauf, dass ihr an dem Abend zusammen wart! Ein Betriebsprüfer musste deshalb sterben! Weigert war Mord! Kapiert ihr das nicht? Sagt mir den Namen!«

»Ruhig, Brauner«, sagte Marie-Luise. »Ganz tief durchatmen.«

Wir passierten die Sicherheitsschleuse. Draußen zog Alttay hastig eine zerdrückte Kappe aus den Taschen seiner Jacke und setzte sie sich auf. Sie kleidete ihn definitiv nicht, aber er hatte ja andere Vorzüge.

»Jetzt rückt schon raus damit! Ihr wisst doch, alles wird streng vertraulich behandelt.«

»Dann machen wir einen Deal. Quid pro quo. Wer ist dein Passmann bei der WK?«

Ich trat sehr nahe an ihn heran. Marie-Luise kam auch dazu, steckte sich allerdings sofort ihre Zigarette an. Alttay warf einen vorsichtigen Blick zurück zum Gerichtseingang.

»Das … das geht nicht.«

»Wer versorgt dich aus dem Dezernat Wirtschaftskriminalität und Korruption mit Informationen?«

»Ich kann versuchen, ein Treffen zu arrangieren. Versuchen, okay? Was wollt ihr denn von ihm?«

Marie-Luise pustete den Qualm gegen den Wind. »Er soll sich umhören, woher der Tipp mit der Razzia an die Presse kam.«

»Oh. Er soll. Und natürlich tut er, was er soll.«

»Er soll uns alle Unterlagen von Weigert zur Verfügung stellen. Vor allem die Sache mit der CD interessiert mich.«

»Uns«, verbesserte ich sie.

»Uns, klar.«

»Welche CD?«, fragte Alttay. Und als wir nicht antworteten: »Welche CD?«

»Weigert wurden Informationen über Schwarzgeldkonten angeboten«, sagte Marie-Luise. »Auf einer Daten-CD. Aus der Schweiz. Ihr Verdacht war also nicht ganz so aus der Luft gegriffen, wie das manche Leute dargestellt haben.«

»Meinst du vielleicht mich damit?«

»Nein. Nein! Aber es muss eine undichte Stelle gegeben haben. In der Staatsanwaltschaft oder der WK. Wir brauchen den Namen.«

Alttay schloss den Reißverschluss seiner Jacke. Er hakte. Vielleicht war er auch einfach nur nervös und sorgte sich um seine Quelle.

»Das geht nicht, das wisst ihr doch ganz genau.«

»Dann hör dich um!«, bohrte ich.

Er ratschte den Verschluss hoch und klemmte sich dabei den Schal ein. Fluchend versuchte er mehrmals, irgendetwas zu retten, bis Marie-Luise ihm zur Hilfe kam.

Der Schal war erlöst. Er fuhr mit der Hand unter den Kragen, um alles etwas zu lockern. »Ich tu, was ich kann. In Ordnung? Ich melde mich. Und dann will ich den Namen von deinem Kumpel haben, der in der Tatnacht mit dir gesoffen hat.«

Er hob die Hand zum Gruß und trottete die Straße entlang. Irgendwie erschien mir das alles wie ein drittklassiger Menschenhandel.

»Wenn du das tust, ist Marquardt erledigt«, sagte Marie-Luise.

»Das ist er doch jetzt schon. Er ist der geheimnisvolle Unbekannte, der Schweiger und Hartmann aus der Klemme geholfen hat. Das bricht ihm das Genick.«

»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die beiden Carolin Weigert zum Selbstmord gezwungen und Fischer in deinem Büro erschossen haben? Wir sind in Berlin, nicht in Chicago.«

»Er hat mir zweihunderttausend geboten.«

»Wer?«

»Hartmann.«

Sie rauchte, kniff die Augen zusammen und beobachtete Alttays Abgang über die Kreuzung, der schon lange außer Hörweite war.

»Wann?«

»Freitagabend. Im Waterside Club.«

Sie musste Rauch verschluckt haben, denn dieser Erklärung folgte erst einmal ein Hustenanfall.

»Im Waterside Club«, keuchte sie mit Tränen in den Augen, als sie wieder atmen konnte. »Du?«

»Ich wurde eingeladen. Von Hartmann. Marquardt war auch da.« Wir liefen gemeinsam auf die nächste Haltestelle zu. Am Landgericht einen Parkplatz zu finden war aussichtslos, weshalb man sich auf die vagen Absichtserklärungen der Berliner Verkehrsbetriebe verlassen musste, hier irgendwann einmal einen Bus vorbeizuschicken. »Er ist Hartmanns Anwalt und hat sich ziemlich in internationales Steuerrecht eingefuchst. Die beiden wollten was von mir, und Hartmann rückte auch schnell damit heraus. Zweihunderttausend. Und ein Büro in der Orangerie.«

»Vergiss das Geld, nimm das Büro.«

»Im Ernst?«

Sie suchte in den Tiefen ihres Rucksacks nach ihrer Monatskarte. Ich kaufe immer Einzeltickets. Lassen sich besser absetzen.

»Natürlich nicht. Wie hast du reagiert?«

»Ich habe meinen Teller mit Flusskrebsen stehen lassen und bin gegangen. Heute rief seine Sekretärin an und erneuerte das Angebot.«

»Er lässt seine Bestechungsversuche übers Sekretariat laufen?«

»Nein. Es ging nur um sein Angebot, ob ich es mir noch mal überlegt hätte. Und dann eine Einladung zu irgendwas. Ich habe klargemacht, dass ich nicht mehr von ihm belästigt werden möchte. Am meisten bereue ich die Flusskrebse. Sie sind sensationell.«

»Hättest du nicht mit deinem Nein bis nach dem Essen warten können?« Sie hatte die Monatskarte gefunden und trat nun an den Aushang, um die obligatorische Verspätung mit dem Fahrplan abzugleichen. »Oder die Sache einfach hinauszögern? Das wäre doch was für Alttay gewesen. Schwarzgeldübergabe, zweihunderttausend in bar, in flagranti. Du hättest Hartmann das Handwerk legen können, ein für alle Mal.«

»Nicht mit Peanuts. Das lügt er weg. Und Marquardt hätte auf der Stelle den Spieß umgedreht und mich wegen Erpressung angezeigt.«

»Hätte er nicht.«

Noch vor einer Viertelstunde wäre ich mit ihr einer Meinung gewesen.

»Du glaubst also allen Ernstes an Hartmanns Verstrickung in zwei Morde?«

Ich dachte nach. »Nein. Aber bei Marquardt bin ich mir nicht sicher.«

»Er soll ein Killer sein? Vernau. Wir kennen uns schon so lange.«

Es war seltsam, mit ihr in der Kälte zu stehen und dieses uns zu hören. Irgendwie wie Heimkommen, die Tür aufschließen und dann feststellen, dass die Möbel verschwunden sind.

»Klar.« Das klang ziemlich lahm. Ich setzte schnell noch hinzu: »Ich glaube es auch nicht. Aber er ist da in was hineingeraten …«

Sie nickte zögernd.

»Warum tust du das?«, fragte ich. »Warum hilfst du mir?«

Sie nahm einen letzten Zug und drückte die Kippe dann in einer Blechbox aus, die sie anschließend wieder in ihrer Tasche versenkte.

»Ich stehe auf der Restaurantrechnung.«

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Egal, welchen Dreck Marquardt am Stecken hatte, egal, welchen Schlamassel ich damit am Hals hatte – Marie-Luise war durch uns mit hineingezogen worden. Sogar Fischer, im Nachhinein betrachtet noch die freundlichste unserer Heimsuchungen, hatte sie auf dem Radar gehabt.

»Wer auch immer die Beweise dieser Nacht vernichtet, der glaubt, dass ich dabei gewesen bin. Ich möchte heute Abend nach Hause kommen, ohne Angst vorm Dunkeln zu haben. Und ich glaube, dass mit Fischer und Weigert zwei Menschen sterben mussten, die ihren Beruf ernst genommen haben. Vielleicht sollten wir deine neue Betriebsprüferin auch mal in die Spur schicken.«

»Unsere.«

Sie grinste. »Unsere. Sie hat Fischer gekannt, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Wilmersdorf ist zwar ein großes Finanzamt, aber sie laufen sich da über den Weg. Im Flur. In der Kantine. Egal wo: Weigerts Tod muss ein Thema gewesen sein. Und der von Fischer erst recht. Wie lange braucht sie noch bei dir?«

»Sie wollte heute fertig sein.«

»Dann hoffen wir mal, dass wir sie noch erwischen.«

Der Bus bog mit Ächzen und Stöhnen um die Ecke. Wir stiegen hinein und erreichten eine halbe Stunde später unsere Interimskanzlei, in der niemand mehr auf uns wartete.

»Sie ist weg.«

Ich lief in die Küche, ins Bad, aufs Klo – Marianne Wolgast hatte sich in Luft aufgelöst. Als wäre sie nie dagewesen. Ihr Stuhl stand ordentlich vor meinem Schreibtisch, alle Unter­lagen befanden sich wieder dort, wo sie gewesen waren. Bis auf …

»Der eine Schuhkarton!« Marie-Luise ging in die Knie und prüfte den Haufen Altpapier. »Es fehlt ein Schuhkarton!«

»Was war denn drin?«

»Bestimmt keine Schuhe.«

Sie stand wieder auf und sah sich um, ratlos, auf der Suche nach einer Erklärung. »Das war der Karton mit den Unter­lagen von 2015, in dem Fischer die Quittung gefunden hat.«

»Ihr ist die Zeit davongerannt.« Ich legte meine Aktenmappe ab und schälte mich aus dem Mantel. Nicht, dass es kein erfreulicher Anblick war. Leere Ablage, Gesetzessammlungen in Reih und Glied in den Regalen, die Kartons mit meinen Ordnern aus dem gekündigten Büro ordentlich an der Wand gestapelt. »Sie hätte deinen Mist niemals bis heute Abend durcharbeiten können.«

»Aber warum?« Marie-Luise fuhr sich durch die Locken, die von der frischen, feuchten Luft draußen noch krauser waren als sonst. »Es war deine Betriebsprüfung, nicht meine. Wieso haut sie dann mit meinen Sachen ab? Das war doch eine Außenprüfung, oder?«

Sie strich mit den Fingerspitzen über die Schreibtischplatte. Dann beugte sie sich herab und konzentrierte sich auf die Spiegelung des Lacks. »Sie hat alles abgewischt....