Mehr Bewerber! - So begegnen Personaldienstleister erfolgreich dem Fachkräftemangel

Mehr Bewerber! - So begegnen Personaldienstleister erfolgreich dem Fachkräftemangel

von: Nicole Truchseß, Markus Brandl

Wiley-VCH, 2019

ISBN: 9783527824403 , 190 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 26,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Mehr Bewerber! - So begegnen Personaldienstleister erfolgreich dem Fachkräftemangel


 

1 Personaldienstleistung heute: Neue Machtverhältnisse


»Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.«

(Albert Einstein – angeblich)

Menschen und Unternehmen zusammenzubringen – das ist eine Aufgabe, die wir auch nach mehr als zwei Jahrzehnten in der Personaldienstleistung ungeheuer spannend finden. Die Herausforderungen haben sich gewandelt, so viel ist sicher. Es genügt längst nicht mehr, eine Anzeige zu schalten und abzuwarten, dass das Telefon klingelt. So gesehen ist die Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich schwieriger geworden. Was bei den branchentypischen Klageliedern allerdings ausgeblendet wird: Auch unsere Möglichkeiten haben sich gewandelt. Noch nie waren die Wege, Bewerber/innen anzusprechen, so vielfältig wie heute. Wer sie nutzt, wird auch weiterhin die Nase vorn haben. Schwierig wird es, wenn die Rezepte von gestern die Anforderungen von heute lösen sollen. Unser Credo: Gehen Sie neue Wege, und Sie werden vom Erfolg überrascht sein, auch und gerade im Zeitalter des vermeintlichen Fachkräftemangels!

Alltagsfrust: Aufträge über Aufträge, aber keine Bewerber/innen?


Wir arbeiten seit über 20 Jahren voller Leidenschaft in der Personaldienstleistung, zunächst als leitende Manager in namhaften Zeitarbeitsunternehmen, inzwischen als Unternehmer und Berater in Sachen Sales und HR. Aus unserer täglichen Praxis kennen wir daher die Branche und zahlreiche ihrer Unternehmen landauf, landab – ob groß, ob klein, ob auf dem flachen Land oder in der Stadt. Eines haben sie alle gemeinsam: So schlecht war die Stimmung noch nie. »Vertrieb macht keinen Sinn, wir haben keine Bewerber mehr.« »Die Qualität der Bewerbungen ist eine Katastrophe und wird immer schlechter.« »Die Bewerber werden immer unzuverlässiger.« – Solche Klagen hören wir fast täglich. Gern wird im nächsten Atemzug die vermeintlich heile Welt der Neunzigerjahre heraufbeschworen, als jede Suchanzeige eine Menge Anrufe auslöste und sehr viele Arbeitssuchende gleich ohne Terminvereinbarung ins Büro strömten. Auch wir kennen das noch: Der Fokus unserer Arbeit lag zu Beginn der Arbeitnehmerüberlassung auf der Gewinnung von Unternehmensneukunden und auf dem Auftragsausbau bei Stammkunden. Die Zeit war geprägt durch ein ungebrochenes Erfolgsdenken. Viele Firmen hatten die Zeitarbeit noch überhaupt nicht für sich entdeckt. Über jeden neuen Auftraggeber freute sich das gesamte Niederlassungsteam, auch wenn die Auftragsdauer nur wenige Tage betrug.

Diese Pionierzeit ist längst vorbei und wird gern verklärt. Wie mühsam das Arbeiten ohne Internet, mit Festnetztelefon und Fax als schnellsten Kommunikationsmitteln manchmal war, gerät dabei in Vergessenheit. Wahr ist aber auch: Der Markt hat sich radikal geändert. Zuerst auf leisen Sohlen und dann mit großer Wucht kam der Wandel in der Personaldienstleistung, weg von einem Kundenmarkt, hin zu einem Bewerbermarkt. Anfangs spürten die Kunden der Zeitarbeitsfirmen diese grundlegende Veränderung noch nicht, und die Personaldienstleister kamen auch mit etwas weniger Bewerbungen zurecht. Doch bald war der Fachkräftemangel in aller Munde. So standen 2018 statistisch jeder offenen Stelle für Fachkräfte oder Spezialisten zwei arbeitslos gemeldete Arbeitnehmer gegenüber, während es 2007 mit neun Arbeitnehmern noch mehr als vier Mal so viele waren. Das meldet die aktuelle »Fachkräfteengpassanalyse« der Bundesagentur für Arbeit.1 Zeitgleich erklärt die Online-Jobbörse StepStone, im ersten Halbjahr 2018 seien in Deutschland etwa 46 Prozent mehr Fachkräfte-Stellen ausgeschrieben worden als noch 2012. »Geeignete Kandidaten zu finden« sei daher für 82 Prozent der 15 000 von StepStone befragten Unternehmensvertreter (Führungs- und Fachkräfte sowie Recruiter) die größte Herausforderung der Zukunft.2 Und schon 2013 warnte die Robert Bosch Stiftung, bis 2030 gehe »etwa jede achte Person im erwerbsfähigen Alter ›verloren‹«. Diesen Arbeitskräfteverlust gleiche auch die Zuwanderung nicht aus.3 Inzwischen sind auch Helferstellen wie Lagerarbeiter oder Produktionshelfer in manchen Branchen und Regionen nicht mehr problemlos zu besetzen, wie wir von unseren Kunden in der Personaldienstleistung immer wieder hören. Parallel zur demografischen Entwicklung und zur neuen Arbeitsmarktsituation gab es weitere einschneidende Änderungen im Hinblick auf die Branche: Tarifverträge, die Branchenzuschläge und zu guter Letzt die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) mit Equal Pay und einer wieder eingeführten Höchstüberlassungsdauer. Das Ganze wurde 2018 mit der Einführung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gekrönt.

Ja, es gibt eine Menge neuer Herausforderungen in der Arbeitnehmerüberlassung. Mit den skizzierten Problemen steht die Branche allerdings nicht alleine da, und einige der oft beklagten Miseren sind definitiv hausgemacht. So wird in Zeiten des vermeintlichen Arbeitskräftemangels Bewerber/innen nicht etwa der rote Teppich ausgerollt, im Gegenteil, man schickt sie wieder vor die Tür. Glauben Sie nicht? Dann kommt es bei Ihnen sicher auch nicht vor, dass Interessenten am Telefon mit einem »Senden Sie uns erst mal Ihre Unterlagen, wir melden uns dann bei Ihnen« abgewimmelt werden. Oder dass Bewerber/innen mit einer Kaskade von Fragen (Mobil? Wann verfügbar? Bereit zur Schichtarbeit?) in die Flucht geschlagen werden und man nach einem Ersttelefonat nie wieder etwas von ihnen hört. Dass jemand mit dem Personalbogen im Wartebereich vergessen und ein eintretender Bewerber minutenlang ignoriert wird, weil alle gerade anderweitig beschäftigt sind – ist alles nicht ungewöhnlich, wie wir aus Praxistests vor Ort wissen. Diese Vorgehensweisen waren auch schon vor 20 Jahren wenig wertschätzend. Heute, wo sich die Machtverhältnisse geändert und attraktive Bewerberinnen und Bewerber die Qual der Wahl haben, sind sie schlicht geschäftsschädigend.

Es bringt nichts, über Fachkräftemangel, anspruchsvolle Bewerber/innen und mangelnde Resonanz auf angeblich bewährte Standard-Stellenanzeigen zu klagen und gleichzeitig auf überkommenen Verhaltensweisen und Rekrutierungsmethoden zu beharren – also noch mehr Stellenanzeigen zu schalten, Telefonate weiter so zu führen wie seit Jahren, soziale Medien als Tinnef abzutun, Empfehlungsmarketing nur halbherzig zu betreiben, unaufgeforderte Bewerbungen wie lästige Störungen zu behandeln, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Welt hat sich verändert, ändern wir uns mit! Das ist ungewohnt, manchmal auch unbequem, in jedem Fall aber lohnend.

Der Markt hat sich gedreht, aber er ist nicht leergefegt


Natürlich kann kein Zweifel daran bestehen, dass wir heute weniger Stelleninteressenten haben als noch vor zehn Jahren. Ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik genügt: Es gibt einfach weniger Menschen, die händeringend Arbeit suchen. »Leergefegt« ist der Bewerbermarkt dennoch nicht, denn auch in Zeiten der Fast-Vollbeschäftigung sind noch über eine Million Fachkräfte arbeitslos, wie die Bundesagentur bei einer »Engpassanalyse« betont. Hinzu kommen weitere 1,2 Millionen Arbeitslose mit geringerer Qualifikation sowie knapp eine Million Menschen in »entlastenden Arbeitsmarktprogrammen« oder »vorübergehender Arbeitsunfähigkeit«.4 Davon einmal abgesehen: Warum zieht die Arbeitnehmerüberlassung sich den Schuh »Fachkräftemangel« so gern an, wo doch mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer (2018: 55 Prozent) in diesem Bereich ungelernte Helfer sind?5

Vor diesem Hintergrund kann von einem flächendeckenden Arbeitskräftemangel kaum die Rede sein, auch wenn es in bestimmten Regionen und Berufen Engpässe gibt. Und selbst da müssen Unternehmen sich den Vorwurf gefallen lassen, den Fachkräftemangel als bequeme Ausrede für eigene Defizite im Recruiting zu benutzen. Der Personalexperte und Unternehmensgründer Martin Gaedt, der ein Buch unter dem Titel Mythos Fachkräftemangel geschrieben hat, verweist darauf, dass es manchen Unternehmen sehr wohl gelinge, »hochqualifizierte Fachkräfte selbst in die tiefste Pampa zu locken«, und anderen eben nicht.6 Hidden Champions wie die Sick AG, Hersteller von Sensoren für die Fabrik-, Logistik- und Prozessautomation mit Sitz im beschaulichen Waldkirch, sind eben etwas rühriger als die Konkurrenz. Sick punktet mit Messepräsenzen, Praktikumsangeboten, Arbeitgebersiegeln (»Great Place to Work«) und Wettbewerbsteilnahmen (»Jugend forscht«) – ein Beispiel dafür, dass belohnt wird, wer neue Wege geht. Welche neuen Wege sind Sie beim Recruiting Ihrer Zeitarbeitsmitarbeiter/innen in den letzten Jahren gegangen?

Auch wenn es provokant klingt: In der Personaldienstleistung haben wir keinen Bewerbermangel oder Fachkräftemangel! Woran es derzeit mangelt, sind arbeitslose Menschen in Massen (wie das früher war). Es gibt Fachkräfte ohne Ende, nur haben die alle einen Job, und es ist die Kunst, sie zu identifizieren bzw. anzusprechen. Wir stellen unseren Seminarteilnehmern deshalb gern folgende...