Leuchtturmnächte

von: Debbie Macomber

HarperCollins, 2020

ISBN: 9783959679527 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Leuchtturmnächte


 

1. Kapitel

Cecilia Randall hatte von Leuten gehört, die sich dafür entscheiden würden, ihr Leben noch einmal genau gleich zu leben, wenn sie einen Wunsch frei hätten. Sie selbst zählte nicht dazu. Ihr hätte es schon vollkommen gereicht, zwölf Monate ihrer zweiundzwanzig Lebensjahre spurlos zu streichen.

Die letzten zwölf Monate.

Im Januar vergangenen Jahres, kurz nach dem Jahreswechsel, hatte sie Ian Jacob Randall kennengelernt, einen U-Boot-Fahrer der US-Marine. Sie hatte sich in ihn verliebt, ihr erster Fehler, und etwas schrecklich Verantwortungsloses getan: Sie war schwanger geworden, ihr zweiter Fehler. Dann hatte sie ihn obendrein geheiratet, ihr dritter Fehler, der alles nur noch schlimmer gemacht hatte.

Drei Fehler, die verheerende Konsequenzen nach sich zogen. Dabei war sie nicht etwa dumm. Nein, sie war einfach nur naiv, verliebt und hoffnungslos romantisch gewesen. Davon hatten die US-Marine und das Leben sie jedoch schnell kuriert.

Ihr Baby, ein Mädchen, kam zu früh zur Welt, während Ian auf See war, und es stellte sich sehr schnell heraus, dass die Kleine einen Herzfehler hatte. Bei Ians Heimkehr war Allison Marie bereits zu Grabe getragen worden. Cecilia hatte allein im unablässigen Regen des pazifischen Nordwestens gestanden, als der winzige Kindersarg in die kalte, durchnässte Erde hinabgelassen worden war. Hatte allein existenzielle Entscheidungen treffen müssen, ohne sich mit der Familie beraten zu können, ohne tröstenden Beistand durch ihren Mann zu erfahren.

Ihre Mutter lebte an der Ostküste und hatte wegen eines schweren Sturms nicht nach Washington kommen können. Ihr Vater war so hilfreich gewesen wie eh und je, mit anderen Worten: herzlich wenig. Seine Vorstellung davon, was es bedeutete, »für sie da zu sein«, bestand darin, ihr eine Beileidskarte mit ein paar Zeilen des Bedauerns über ihren Verlust zu schicken. Cecilia hatte unzählige Tage neben dem leeren Bettchen ihrer Tochter gesessen, abwechselnd geweint und in einer Schockstarre verharrt. Die Frauen der anderen Marinesoldaten hatten versucht, ihr Trost zu spenden, aber für Cecilia waren sie Fremde, und sie fühlte sich unter ihnen nicht wohl. Also hatte sie ihre Hilfe und ihre Freundschaft ausgeschlagen, und weil sie noch nicht lange in Cedar Cove lebte, hatte sie auch in der Stadt keine Freundinnen, die ihr beistehen konnten. Sie musste allein mit ihrer Trauer fertigwerden.

Als Ian endlich von seinem Einsatz nach Hause kam, gab er der US-Marine die Schuld daran, dass er nicht früher hatte heimkehren können. Er versuchte, alles zu erklären, aber inzwischen war Cecilia es gründlich leid. Für sie war nur noch eine Tatsache von Bedeutung: Ihre Tochter war tot. Ihr Mann wusste nicht und konnte unmöglich verstehen, was sie in seiner Abwesenheit durchgemacht hatte.

Da er auf einem Atom-U-Boot stationiert war, war ihre Kommunikation während eines Einsatzes auf »Familien-Telegramme« mit maximal fünfzig Wörtern beschränkt. Außerdem hätte er ohnehin nichts tun können; das U-Boot hatte sich damals unter der Polareiskappe befunden. Sie hatte ihm von Allisons Geburt geschrieben, dann von ihrem Tod. Sie hatte sich ihre Trauer in diesen kurzen Nachrichten vom Herzen geschrieben, ungeachtet dessen, dass Mitarbeiter der Marine jede einzelne Zeile unter die Lupe nahmen. Trotzdem hatte Ians Vorgesetzter es für richtig befunden, Ian erst nach Abschluss des zehnwöchigen Einsatzes davon in Kenntnis zu setzen.

»Ich wusste nichts davon«, hatte Ian wiederholt beteuert. Sie könne ihn doch nicht dafür verantwortlich machen. Aber sie tat es. Mochte es auch noch so unfair sein, Cecilia konnte ihm nicht vergeben.

Inzwischen wollte sie nur noch raus. Raus aus ihrer Ehe, raus aus dem emotionalen Sumpf aus Schuldgefühlen und Reue, einfach nur raus, und der einfachste Ausweg, den sie sah, bestand in der Scheidung.

Jetzt saß sie im Flur vor dem Gerichtssaal, entschlossener denn je, einen Schlussstrich unter ihre Ehe zu ziehen. Ein rascher Schlag mit dem Richterhammer, und der Albtraum des letzten Jahres wäre endlich vorbei. Irgendwann würde sie vergessen haben, dass sie Ian Randall jemals begegnet war.

Allan Harris, Cecilias Anwalt, betrat das Foyer des Gerichts von Kitsap County. Sie sah, wie er sich nach ihr umschaute. Als er sie entdeckte, hob er grüßend die Hand, kam auf die harte Holzbank zu, auf der sie saß, und ließ sich auf dem leeren Platz neben ihr nieder.

»Sagen Sie mir noch mal, was jetzt geschehen wird«, bat sie, weil sie nichts so dringend brauchte wie die Gewissheit, dass ihr Leben in Kürze wenigstens annähernd wieder so werden konnte, wie es vor einem Jahr gewesen war.

Allan stellte die Aktentasche auf seinen Schoß. »Wir warten, bis die Prozessliste verlesen wird. Die Richterin wird fragen, ob wir bereit sind. Ich werde das bestätigen, und dann bekommen wir eine Nummer.«

Cecilia nickte benommen.

»Man wird uns eine Nummer zwischen eins und fünfzig zuweisen«, fuhr ihr Anwalt fort. »Und dann warten wir, bis wir an der Reihe sind.«

Noch einmal nickte Cecilia. Sie konnte nur hoffen, nicht den ganzen Tag im Gerichtsgebäude ausharren zu müssen. Es war schon schlimm genug, überhaupt hier sein zu müssen. Noch schlimmer war, dass auch Ians Anwesenheit notwendig war. Sie hatte ihn noch nicht gesehen. Vielleicht traf er sich irgendwo mit seinem Anwalt, besprach die Vorgehensweise – auch wenn sie nicht erwartete, dass er Schwierigkeiten machen würde.

»Es wird doch keine Probleme geben, oder?« Ihre Handflächen waren feucht, auf ihrer Stirn stand kalter Schweiß. Sie wünschte sich, das Ganze bereits hinter sich zu haben, damit sie wieder normal leben konnte. Das, so glaubte sie, würde erst möglich sein, wenn die Scheidung rechtskräftig war, und dann würde auch der Schmerz allmählich nachlassen.

»Ich glaube nicht, dass einer Scheidung irgendwas im Wege steht, zumal Sie sich darauf geeinigt haben, sich die Schulden zu teilen.« Er runzelte leicht die Stirn. »Trotz des Ehevertrages, den Sie unterzeichnet haben.«

Cecilias Magen verkrampfte sich, und sie drückte ihre Handtasche fest an ihren Bauch. Schon bald, so rief sie sich in Erinnerung, schon bald würde sie durch die Tür des Gerichtsgebäudes in ein neues Leben hinausgehen können.

»Es ist ein ziemlich … ungewöhnlicher Vertrag«, murmelte Allan.

Rückblickend gehörte dieser Ehevertrag auf die Liste der vielen Fehler, die sie im letzten Jahr begangen hatte, aber ihr Anwalt hatte ihr versichert, diese Sache ließe sich leicht bereinigen.

Als sie ihre Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, war er ihr wie eine absolut sinnvolle Vereinbarung vorgekommen. Um sich gegenseitig zu beweisen, wie ernst sie es mit ihrer Ehe meinten, waren sie auf die Idee gekommen, der Partner, der sich scheiden lassen wollte, müsse nicht nur die Gerichts- und Anwaltskosten übernehmen, sondern auch alle Schulden aus ihrer Ehe. Das konnte man als Straf- oder als Abschreckungsmaßnahme betrachten, aber es hatte nicht funktioniert. In der jetzigen Situation war der Vertrag ein lästiges Hindernis, das aus dem Weg geräumt werden musste.

Cecilia gab sich selbst dafür die Schuld, schließlich hatte sie auf einer schriftlichen Vereinbarung bestanden. Sie hatte absolut sichergehen wollen, dass Ian sie nicht nur heiratete, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. Zwar war sie ungeplant schwanger geworden, aber sie wäre auf jeden Fall dazu bereit gewesen, ihr Kind allein großzuziehen. Lieber das, als in einer unglücklichen Ehe gefangen zu sein – oder Ian in eine Beziehung zu zwingen, die er gar nicht wollte. Ian jedoch hatte nicht mit sich reden lassen und geschworen, sie zu lieben, ihr ungeborenes Kind zu lieben und sie heiraten zu wollen.

Als Cecilia zehn Jahre alt gewesen war, war für sie die Welt zusammengebrochen, als ihre Eltern sich hatten scheiden lassen. Das hatte sie ihrem eigenen Kind ersparen wollen. Ihrer Meinung nach sollte eine Ehe unverbrüchlich sein – für immer –, und es war ihr deshalb wichtig gewesen, dass sie beide sich ihrer Sache sicher waren, bevor sie eine lebenslange Bindung eingingen. Wie naiv sie doch gewesen war. Wie sentimental. Wie romantisch.

Ian hatte ebenfalls gewollt, dass ihre Ehe ihr Leben lang hielt, aber wie so vieles andere im letzten Jahr war auch dieser Wunsch eine Illusion gewesen. Cecilia hatte ihm glauben wollen und müssen, an ihn und an die Macht ihrer Liebe und daran, dass diese sie vor schwerem Herzeleid bewahren konnte.

Schließlich hatte sie sich einverstanden erklärt, Ian zu heiraten, geblendet von der Aussicht auf einen Mann, der sich ihr rückhaltlos verpflichtet fühlte, und von der Hoffnung auf immerwährendes Eheglück. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen hatte sie auf dem Ehevertrag beharrt.

Ihre Ehe hatte halten sollen, solange sie beide lebten, und deshalb hatten sie sich eine Vereinbarung überlegt, die ihnen helfen sollte, ihren Ehegelübden treu zu bleiben. So hatten sie sich das jedenfalls gedacht … Vor der Hochzeit hatten sie den Vertrag eigenhändig aufgesetzt und notariell beurkunden lassen.

Cecilia hatte gar nicht mehr daran gedacht, als ihr Anwalt sie bei ihrer ersten Besprechung bezüglich der Scheidung fragte, ob sie einen Ehevertrag unterschrieben hatte. Auch wenn dieser Vertrag alles andere als ein Standarddokument war, meinte Allan, er müsse dem Gericht zur Annullierung vorgelegt werden.

Ihre Ehe hätte niemals so enden sollen, aber nach dem Tod ihres Babys war alles schiefgelaufen. Ihre Liebe füreinander war zerbrochen. Es war einfach nicht fair, dass Kinder starben. Es war...