Lichtsturm IV - Das Bündnis

von: Mark Lanvall

neobooks Self-Publishing, 2019

ISBN: 9783748596356 , 519 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 2,49 EUR

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Lichtsturm IV - Das Bündnis


 

Sieben Festungen


Kristin hatte schlecht geschlafen. Nein. Sie hatte genau genommen überhaupt nicht geschlafen. Ihr war natürlich inzwischen klar, dass Alben - und sie war schließlich eine von ihnen - viel weniger Schlaf brauchten als Menschen. Zwei bis drei Stunden pro Nacht reichten in ihrer neuen Existenz völlig. Dass sie aber in dieser Nacht überhaupt kein Auge zugetan hatte, sagte ihr vor allem eines: doch nicht so cool. Die Ereignisse des vergangenen Tages hatten ihre Spuren hinterlassen. Natürlich. Wie denn auch nicht? Silke war tot. Das traf sie, auch wenn Kristin nie wirklich zu ihr hatte durchdringen können. Dazu war Silke zu verschlossen gewesen, zu anders. Vermutlich wären sie auch in einer normalen Welt und in einem normalen Leben niemals Freundinnen geworden.

Aber nichts war schließlich normal. Sie waren beide Verwandelte. Leute, die man am liebsten zusammenschlug oder ins Gefängnis steckte. Oder beides. Das hatte sie verbunden. Kristin hatte sich für Silke verantwortlich gefühlt. Und jetzt war Silke tot. Ihr Leben ausgelöscht von albischen Soldaten mit Spießen und Armbrüsten in einer Welt, die abseits dessen existierte, was Kristin bisher als Realität verstanden hatte.

Ben hatte sich entschuldigt, nachdem sie die Ungeheuer, die er Gorgoils nannte, gerettet hatten. „Wir haben nicht mit einem Angriff gerechnet. Jedenfalls nicht hier und so bald.“

Wie surreal war das alles! Kristin musste an ein paar einschlägige Fantasyfilme denken. In „Narnia“ waren Kinder durch einen Kleiderschrank in eine Fantasiewelt gelaufen. Wissenschaftlich betrachtet natürlich völliger Unsinn. Aber von dem, was sie gerade hier erlebte, war es so weit nun auch wieder nicht weg. Eine Fantasiewelt? Vielleicht war das hier ja die Realität? Und ihr altes Leben, das ihr so unendlich weit weg erschien, war ein einziger Fake gewesen? Kristin hatte noch keine echte Idee, wie sie das alles einordnen und sortieren sollte. Es war eben alles surreal. Immer noch. Auch hier, wo sie jetzt war.

Ben, ein alter Mann namens Gintwain, ein paar andere Alben und diese Gorgoils hatten sie mit einem wolkenähnlichen Zeppelin in eine weiße Burg gebracht, die rund um die Spitze eines Berges gebaut war. Viel mehr hatte Kristin nicht erkennen können. Nur noch, dass die Burg spitze Türme, die rund um den Bau herum angeordnet waren. Und dass sie nicht das einzige Gebäude dieser Art auf Bergspitzen war. Galandwyn nannten Ben und Gintwain diesen Ort. Und sie betonten mehr als einmal, dass sie hier in Sicherheit war. Jetzt aber auch wirklich. Kristin hatte trotzdem nicht schlafen können.

Es klopfte an die Tür der kleinen Kammer, in die Ben sie am Abend davor gebracht hatte. Alles darin war schneeweiß und irgendwie verschnörkelt. Das weiche Bett mit den bestickten Kissen und Decken. Der Beistelltisch mit seinen schlanken geschwungenen Beinen. Und natürlich auch die Wände, die Decke und der Boden. Steril wirkte der Raum zwar trotzdem nicht. Aber auch nicht wirklich gemütlich. Sollte das ihr neues Zuhause sein? Dann hätte sie ein paar entschiedene Wünsche an das Hotel-Management. Aber vielleicht klopfte das ja gerade an.

„Ja bitte!“, sagte Kristin und fragte sich, ob man das in dieser Welt wohl so machte. Eine sehr hübsche schwarzhaarige Frau betrat die Kammer. Sie sah freundlich aus, irgendwie einnehmend. Die Züge ihres Gesichtes waren weich, ihre Augen wach. Wenn man genauer hinsah, erkannte man aber auch eine gewisse Härte und Entschlossenheit in ihnen. Was Kristin aber am meisten wunderte: Diese Frau hatte weder spitze Ohren noch helle Augen. Sie war ein Mensch.

„Hi Kristin. Ich bin Natalie. Hast du ein bisschen schlafen können?“

„Nicht wirklich“, antwortete Kristin wahrheitsgemäß. „Weiß auch nicht, warum. Jetlag vielleicht?“

Natalie grinste. Gut. Wenigstens jemand, der mit ihrem direkten Humor etwas anfangen konnte.

„Darf ich mich setzen?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, zog Natalie den einzigen Stuhl in der Kammer an Kristins Bett heran und nahm darauf Platz. Kristin kam sich vor wie bei der Visite im Krankenhaus. Denn sie lag noch immer in den Federn und trug unter ihrer Decke ein weites, langes Nachthemd, das natürlich ebenfalls weiß war. Dass Natalie Jeans, einen dunkelblauen Wollpulli und Sneakers trug, machte ihr Hoffnung. Denn immerhin bedeutet das, dass auch sie in dieser zauberhaften Welt auf ihre gewohnte Kleidung nicht unbedingt verzichten musste.

„Therapie-Sitzung?“, fragte Kristin unumwunden.

Natalie grinste wieder und schüttelte den Kopf.

„Nee. Dafür wäre ich denkbar ungeeignet. Hab Geschichte studiert, nicht Psychologie.“

„Geschichte. Und? Hilft es dabei, diesen ganzen Irrsinn hier auf die Reihe zu bekommen?“

„Ja und nein. Nein, wenn ich ernsthaft davon ausgehen würde, dass es in den gängigen Lehrbüchern Antworten gäbe. Ja, wenn ich mir ein paar der aufgeschriebenen Details genauer anschaue. Denn einige Quellen kommen der Wahrheit erstaunlich nahe. Wenn man diese im Kontext dessen, was ich erlebt habe, neu interpretiert, dann wird es spannend.“

Kristin hob skeptisch die Augenbrauen.

„Fabelwesen mit spitzen Ohren und hellen Augen?“

„Babylon, Ägypten, Griechenland, Kelten, Rom. Überall. Die Isländer verlegen noch heute Straßen, wenn sie glauben, ein Elfenhügel ist im Weg. Das Christentum hat in Europa viele der alten Überlieferungen dämonisiert. Ich schätze, das macht es den Menschen auch heute noch leichter, Böses in deinem Volk zu sehen.“

„Und was ist mit stierköpfigen Riesenviechern auf zwei Beinen?“

„Minotaurus. Im Labyrinth auf Kreta. Um nur das bekannteste Beispiel zu nennen. Hybridwesen gibt es aber auch in anderen Mythologien - angefangen mit denen der alten Sumerer.“

Kristin nickte stumm. Das war alles natürlich noch immer der blanke Irrsinn. Aber Natalies Erklärungen machten es auf einmal um Einiges greifbarer. Da waren sie wieder: wissenschaftliche Thesen und Ideen, denen man nachgehen konnte. Auch wenn sie ziemlich abenteuerlich klangen. Aber bitte sehr: Ist nicht auch Einstein verspottet worden, als er erstmals von der Krümmung von Raum und Zeit gesprochen hatte? Das hier war eben nur eine andere Fachrichtung. Allerdings:

„Die Anderswelt? Wo genau sind wir hier eigentlich?“

Natalie seufzte. „Danke für die Frage. Auch auf eine mystische Schattenwelt gibt es natürlich immer mal wieder Hinweise. Bei den Kelten zum Beispiel. Was nicht wundert, weil sie in der Antike den direktesten Draht zu den Alben hatten. Allerdings haben die Kelten uns leider nicht den Gefallen getan, irgendwas darüber aufzuschreiben. Deshalb ...“

Sie warf Kristin einen verschwörerischen Blick zu.

„Deshalb hoffe ich auf andere Quellen. Und darauf, dass wir selbst etwas darüber herausfinden.“

„Wir?“ Eben noch auf dem Schlachtfeld. Und schon inmitten einer wissenschaftlichen, interdisziplinären Feldstudie. Über eines konnte sich Kristin nicht beschweren: Langweilig war ihr neues Leben nicht.

Und Natalie war ihr außerdem sympathisch. Keine überflüssige Gefühlsduselei. Kein „Du wirst schon sehen. Es ist alles gar nicht so schlimm, wie es aussieht.“ Stattdessen gab es in Rekordzeit einen Forschungsauftrag. Kristin fand das gut. Sie wollte endlich wieder etwas tun, nicht nur davonrennen. Sie wollte Antworten statt immer nur neue Fragen.

„Ja, wir. Gesetzt den Fall, du hilfst mir dabei, Kristin. Habe gehört, dass du eine ziemlich gute Astro-Physikerin bist. Das könnte nützlich sein. Für diese Welt muss es eine Erklärung geben. Es gibt für alles eine Erklärung. Und wenn nicht, dann hat man sie nur noch nicht gefunden.“

Kristin grinste.

„Gut gesprochen. Gibt es eine Hypothese?“

„Negativ. Ich jedenfalls hab nicht den Hauch einer Ahnung, was die Anderswelt sein könnte. Es gibt hier aber einen steinalten Alben, der dabei gewesen ist, als dein Volk hier sesshaft geworden ist. Vor ein paar Tausend Jahren. Er heißt Geysbin. Weißes Haar. Sehr schlaue, verschwurbelte Sprüche. Der Merlin-Typ. Du wirst ihn mögen.“

Kristin sah sie empört an.

„Jetzt nimmst du mich aber auf den Arm.“

„Nein. Der Kerl ist wandelnde Geschichte. Litt eine Weile lang unter Amnesie, hat es aber überwunden. Das Problem: Geysbin redet nicht gerne darüber. Und wenn doch, dann sind seine Ausführungen eher blumig, weniger sachlich. Für ihn ist die Frage, warum es die Anderswelt gibt, nicht mehr von Bedeutung. Für alte Alben wie ihn ist sie einfach da - so wie auch die Welt der Menschen einfach da ist. Die meisten hinterfragen ja auch nicht, warum es neben Deutschland auch noch Frankreich gibt.“

„Schwer vorstellbar. Das muss für ihn doch eine Rolle spielen. Es geht immerhin um ein Phänomen, für das es keine naheliegende Erklärung gibt.“

„Willkommen in der Welt der Alben! Nach der alten Lehre streben sie danach, das zu vervollkommnen, was sie haben. Neue Erkenntnisse, die Erweiterung von Wissen? Solche Dinge sind für sie nebensächlich.“

Kristin verschränkte die Arme. Sie verstand. Oder eigentlich auch nicht. Und immer mehr kam sie sich wie ein Fremdkörper in dieser fantastischen Welt vor. Allerdings wie einer, der jetzt eine Aufgabe hatte. Und eine Verbündete.

„Was machst du überhaupt hier?“, fragte Kristin.

Natalie sah sie irritiert an.

„Ich wollte sehen, wie es dir geht. Und dich um deine Hilfe bitten.“

„Nein. Ich meine: Was machst du hier in der Anderswelt? Du bist ein Mensch. Du könntest vermutlich ein normales Leben zu Hause in Deutschland haben.“

Natalie...