Nordseebunker. Ostfrieslandkrimi

von: Sina Jorritsma

Klarant, 2018

ISBN: 9783955738518 , 120 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Nordseebunker. Ostfrieslandkrimi


 

1


 

„In der Pension Norderwarf hat es einen undurchsichtigen Todesfall gegeben. Stellen Sie fest, ob ein Gewaltverbrechen vorliegt.“

Mit diesen Worten ihres Dienststellenleiters wurden Torsten Köhler und Gerrit Wolter empfangen, als sie am Morgen des zehnten Juni das Polizeikommissariat Norden betraten. Während Wolter die Information auf seine gelassene friesische Art mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis nahm, hakte Köhler nach: „Gibt es bereits Hinweise auf eine Straftat, Herr Freden?“

„Wenn wir eindeutig von einem natürlichen Tod ausgehen könnten, müsste ich Sie nicht dorthin schicken“, gab der Hauptkommissar gereizt zurück. „Und nun bequemen Sie sich gefälligst zum Einsatzort, ich erwarte umgehend einen ausführlichen Bericht von Ihnen.“

„Wird erledigt“, erwiderte Köhler achselzuckend und drehte sich auf dem Absatz um. Die beiden Kommissare verließen das rötliche Ziegelsteingebäude am baumbestandenen Marktplatz der kleinen Stadt und stiegen in ihren Dienstwagen. Köhler ließ als Erstes die Seitenfenster hinunter, denn es versprach, ein für ostfriesische Verhältnisse sehr heißer Tag zu werden.

„Der Alte hat ja mal wieder eine grandios miese Laune“, stellte der ehemalige BKA-Zielfahnder fest. „Wo befindet sich denn diese Pension?“

Wolter machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem.

„Fahr erst mal Richtung Norddeich, dann sag ich dir, wie es weitergeht.“

Köhler ließ den Motor an und setzte den Wagen in Bewegung. Obwohl er inzwischen schon einige Zeit in Ostfriesland arbeitete, waren ihm immer noch nicht sämtliche Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen in der unmittelbaren Umgebung geläufig. Die Beliebtheit des grünen Küstenstreifens hinter dem Deich ließ die Beherbergungsbetriebe wie Pilze aus dem Boden sprießen.

Die Ermittler fuhren die wenigen Kilometer nach Norddeich. Dieser Stadtteil von Norden war ein staatlich anerkanntes Nordseebad mit eigenem Strand und zahlreichen Freizeitmöglichkeiten. Daher fanden sich dort besonders viele Hotels und Pensionen.

„Fahr über die Itzendorfer Straße, die wird unten am Strand zur Deichstraße“, erklärte Wolter. „Die Pension Norderwarf ist kurz vor dem Ortsausgang auf der linken Seite.“

Als die Kripobeamten dort eintrafen, erblickten sie bereits einen Rettungswagen vom Roten Kreuz. Darüber wunderte Köhler sich nicht. Vermutlich hatte der Notarzt eine unklare Todesursache festgestellt und daraufhin bei der Polizei angerufen.

Die beiden Sanitäter hockten auf der kniehohen Steinmauer, von der das Gelände umfriedet wurde. Sie hatten eine Thermoskanne geöffnet und machten Pause. Für sie gab es momentan nichts zu tun, da der mutmaßliche Patient offenbar tot war.

„Moin“, sagte Köhler und nickte den Rettungsassistenten zu. „Ist der Doktor im Haus?“

Der Kommissar deutete auf das große reetgedeckte Gebäude, in dem sich die Pension befand. An der Straße hatte er bereits ein Schild mit der Aufschrift ZIMMER FREI entdeckt. Auf dem kleinen Parkplatz des Areals standen mehrere Autos mit auswärtigen Nummernschildern.

„Nee“, gab einer der Rettungsassistenten zurück. Er war schlaksig, hatte strohblondes Haar und biss herzhaft in seine Mettwurststulle.

Köhler atmete tief durch. Er hatte sich inzwischen an die einsilbige Art mancher Ostfriesen gewöhnt. Andererseits traf dieses Vorurteil nicht durchgängig zu. Seine Freundin Dortje Brannum beispielsweise stammte aus der flachen Landschaft zwischen Ems und Weser, trotzdem konnte sie reden wie ein Wasserfall. Jedenfalls wollte der Kommissar jetzt wissen, wo sich der Arzt und die Leiche befanden.

„Geht es etwas genauer?“, hakte er gereizt nach.

Der Blonde biss noch einmal von seinem Brot ab und zeigte mit dem Daumen hinter sich. Der andere Sanitäter schien froh darüber zu sein, dass sein Kollege die „Gesprächsführung“ übernommen hatte, und gab seinerseits keinen Ton von sich.

„Dann wollen wir mal“, sagte Wolter und ging den schmalen Gartenpfad entlang, auf den der Rettungssanitäter gedeutet hatte. Köhler folgte seinem Dienstpartner und nahm sich wieder einmal vor, gelassener zu werden. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn ihn nicht immer noch Alpträume geplagt hätten – auch Jahre nach dem Tod seiner Frau und seinen schlimmen Auslandseinsätzen.

Die Ermittler überquerten die gepflegte Grünfläche, die am Rand der Fachwerkmauern von Heckenrosen gesäumt wurde. Hinter dem Reetdachhaus stand ein hässlicher Schuppen, der von der Deichstraße aus nicht gesehen werden konnte. Hinter dem Gelände der Pension gab es eine Wiese, die nördlich von einem Feldweg und südlich von einem Siel begrenzt wurde. Köhler hatte inzwischen gelernt, dass man in Ostfriesland so die verschließbaren Gewässerdurchlässe eines Deiches nannte.

Die Türen der fensterlosen Bretterbude standen offen. Im Inneren erblickte Köhler einen Rasenmäher, Säcke mit Dünger sowie einige andere Gartengerätschaften. Von dem Notarzt war nichts zu sehen. Er wollte schon umkehren, um dem Rettungsassistenten gründlich den Marsch zu blasen, als Wolter seine Stimme erhob:

„Herr Doktor, wo sind Sie?“

„Ich bin hier unten“, lautete die Antwort. Die Stimme des Mediziners klang seltsam hohl, was allerdings kein Wunder war. Als die Kommissare den Verschlag betraten, herrschte dort ein schummriges Halbdunkel. Durch ein Mannloch im Boden drang helles Licht nach oben.

 

„Ein Keller unter einem Geräteschuppen?“, fragte Köhler ungläubig. Doch als er die steilen Betonstufen hinabstieg, musste der Kriminalist sich innerlich selbst korrigieren.

 

Das hier war kein Keller, sondern ein echter Bunker.

 

Stirnrunzelnd schaute der ehemalige BKA-Fahnder sich um. Mit so einem Schutzraum hatte er nicht gerechnet. Und auch Wolter schien verblüfft zu sein, obwohl sein Mienenspiel sich in Grenzen hielt und er keinen Laut von sich gab. Köhler war allerdings daran gewöhnt, dass der andere Kommissar sein Herz nicht auf der Zunge trug. Man durfte trotzdem nicht den Fehler begehen, Wolters Intelligenz zu unterschätzen. Das war schon so manchem Kriminellen schlecht bekommen.

 

Der Bunker war etwas kleiner als die „gute Stube“ in einem traditionellen Friesenhaus. Die Größe täuschte allerdings, denn es gab zahlreiche hohe Regale, die mit Konservenbüchsen und Kanistern bestückt waren. Ein leises sonores Brummen ertönte, vermutlich von einem Generator. Da kaum Tageslicht in den Schutzraum fallen konnte, bestand die Beleuchtung aus mehreren Neonröhren an der Betondecke. Hinter einer schmalen halb offen stehenden Tür erblickte Köhler eine Campingtoilette. In der Mitte des Raumes standen ein Tisch sowie zwei Hocker. Auf einem davon saß ein Mann in der Dienstkleidung eines Notarztes. Als er aufblickte, erkannte Köhler Dr. Heiko Janssen. Mit dem rotbärtigen Mediziner hatten die Kriminalisten schon öfter zu tun gehabt. Neben ihm lag auf einer Pritsche ein augenscheinlich toter älterer Mann.

Der Leichnam trug einen blauen Trainingsanzug. Das T-Shirt hatte der Arzt vermutlich hochgeschoben, um die Brust untersuchen zu können. Der Mund des Toten war leicht geöffnet, seine Augen geschlossen. Eine Wunde konnte Köhler auf den ersten Blick nicht erkennen.

 

„Bei dem Verstorbenen handelt es sich um Onno Hettema, den Seniorchef der Pension Norderwarf“, begann Dr. Janssen. „Seine Schwiegertochter alarmierte den Notruf, weil sie ihn hier tot auffand. Herr Hettema pflegte sich anscheinend öfter tagelang in seinem Bunker zu verbarrikadieren. Die junge Frau vermutete einen Herzinfarkt.“

Der ehemalige BKA-Zielfahnder hakte nach.

„Wie konnte die Schwiegertochter den Bunker öffnen, wenn Herr Hettema sich hier vor der Außenwelt verborgen hat?“

„Diese Frage hatte ich ihr auch gestellt. Es gibt wohl einen Mechanismus, mit dessen Hilfe man die Einstiegsklappe von außen öffnen kann. Diese Funktion kennen aber nur enge Familienmitglieder.“

Köhler nickte. Ihm war beim Abstieg in diese seltsame Bunkergruft schon der massive Stahldeckel aufgefallen, durch den das Mannloch verschlossen werden konnte. Er forderte den Mediziner mit einer Handbewegung zum Weitersprechen auf.

„Die Todesursache dürfte nach meinen ersten Erkenntnissen ein Herzstillstand sein. Daran ist zunächst nichts Ungewöhnliches, zumal Herr Hettema zweiundsiebzig Jahre alt war und sein Allgemeinzustand zu wünschen übrig ließ. Wie Sie sehen, ist er abgemagert und hielt sich vermutlich zu wenig an der frischen Luft auf. Was mich aber an einen Mord denken ließ, waren seine Finger- und Zehennägel.“

Die Ermittler schauten sich die Extremitäten des Toten genauer an. Auf den Nägeln waren mattgraue Querstreifen zu erkennen.

„Das ist ein Hinweis auf eine Thallium-Vergiftung, nicht wahr?“

Mit diesen Worten beteiligte sich Wolter an der Zwiesprache zwischen Köhler und Dr. Janssen.

...