Vittorio - Shadows Band 4 - Roman

von: Christine Feehan

Heyne, 2019

ISBN: 9783641250164 , 528 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Vittorio - Shadows Band 4 - Roman


 

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Vittorio Ferraro stand in den Schatten, seine Haut kribbelte, und er hatte das Gefühl, dringend etwas tun zu müssen. Irgendwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. Was es auch war, das seinen Magen rumoren ließ, noch nie hatte er ein so drängendes Bedürfnis empfunden, die Quelle eines Problems ausfindig zu machen.

Er war erschöpft von der Arbeit zurückgekommen. Dieses Mal hatte sie ihn nach Los Angeles geführt. Er war schon viele Male dort gewesen, doch gerade heute hatte es ein Blutbad gegeben. Er war ein Schattengleiter, einer von sehr wenigen auf der ganzen Welt. Das war mit enormer Verantwortung und absoluter Geheimhaltung verbunden. Seit er zwei Jahre alt war, trainierte er jeden Tag seines Lebens für diese Aufgabe. Nun, nachdem er in Los Angeles der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen hatte, sehnte er sich nur noch nach seinem Zuhause. Das Haus war seine Zuflucht, und wenn er es betrat, überkam ihn normalerweise ein Gefühl des Friedens und nicht diese schreckliche Vorahnung drohenden Unheils.

Er hatte das Gefühl nicht abschütteln können, also hatte er sich angezogen und war dem dunklen Grauen gefolgt, das immer intensiver wurde, je näher er dem Nachtclub seiner Familie kam.

Im Club Ferraro war die Party in vollem Gange, die Musik war laut, und das Gelächter und die Unterhaltungen verschmolzen mit der Energie der Musik.

Der Nachtclub war der beliebteste in ganz Chicago, und für die Chance hineinzukommen, standen die Leute manchmal mehrere Stunden in langen Schlangen an. Stars besuchten den Club regelmäßig, und es bestand immer die Möglichkeit, dass man einen Blick auf eines der Mitglieder der berühmten Familie Ferraro erhaschte. Heute Nacht war der Club zum Bersten voll.

Seine Familie mischte sich grundsätzlich nicht in die Geschäftsführung des Clubs ein – sie hatten Manager, die das besser erledigten, als sie alle es jemals könnten –, aber sie schauten von Zeit zu Zeit vorbei, wenn sie sich sehen lassen mussten. Dabei wurden sie ständig von Paparazzi umschwärmt, die ihnen bessere Alibis für ihre Arbeit verschafften, als irgendetwas sonst es könnte. Doch in diesem Moment war gesehen zu werden das Letzte, was Vittorio wollte. Das drängende Gefühl wurde stärker und nicht schwächer, und das bedeutete, dass er herausfinden musste, was nicht stimmte, und es in Ordnung bringen sollte, ehe es zu spät war. Und dieses Etwas befand sich hier. In seinem Club. Ganz in der Nähe.

Ungesehen bewegte er sich von Schatten zu Schatten. Es ging nur langsam voran, und sein Körper war noch immer wund, nachdem er genau das hier schon in Los Angeles getan hatte. Doch hier ging es nicht um seine Arbeit. Es ging nicht darum, Kriminelle zur Strecke zu bringen, an die niemand sonst herankam. Es ging um die Knoten in seinem Bauch, die sich immer enger zusammenzogen, und es fühlte sich privat an. Sehr privat. Und das allein war erschreckend.

Vittorio war der größte der Ferraro-Männer. Er war hochgewachsen, breitschultrig und sehr durchtrainiert, wie alle Schattengleiter es sein mussten. Außerdem war er ein Mann, der sich selbst sehr gut kannte. Jede Stärke. Jede Schwäche. Was er vom Leben wollte, was er brauchte – beides war unmöglich, und er hatte sich damit abgefunden, dass er nie eine Frau und Familie haben würde, wie seine Brüder Stefano, Ricco und Giovanni sie hatten. Selbst Taviano hatte bessere Chancen, als er jemals haben würde. Es war nur so, dass dieses zunehmende Gefühl drohenden Unheils etwas mit ihm persönlich zu tun zu haben schien.

Er war ein Außenseiter – selbst innerhalb seiner Familie war er ein Einzelgänger. Vielleicht waren sie das alle. Möglicherweise verstärkten ihre Frauen die Verbindung zwischen ihnen auf irgendeine Weise. Francesca, Stefanos Frau, tat das definitiv. Vittorio mochte sie sehr – wie sie alle –, doch gleichzeitig machte sie ihm nur noch mehr bewusst, wie einsam er war.

Er wusste, dass es nahezu unmöglich war, eine Frau zu finden, die er so lieben konnte, wie er sie lieben musste. Allein eine Frau zu finden, die durch die Schatten gleiten konnte, war unglaublich schwierig, doch eine zu finden, die zu seinen Eigenheiten passte, war wirklich zu viel verlangt. Er wusste, wie seine Chancen diesbezüglich standen.

Schattengleiter waren verpflichtet, Kinder in die Welt zu setzen. Das bedeutete, wenn sie bis zu einem bestimmten Alter nicht mit einer passenden Frau verheiratet waren – und Vittorio näherte sich diesem Alter –, würde man eine Ehe für sie arrangieren. Für einen Mann wie Vittorio wäre das die reinste Katastrophe.

Einen Moment lang stand er in den Schatten und sah den tanzenden Frauen zu, wohl wissend, dass keine von ihnen ihn je als ihren Lebensgefährten akzeptieren würde. Er musste eine Frau finden, die die genetischen Voraussetzungen erfüllte, Kinder zu gebären, die durch die Schatten gleiten und damit ihre Arbeit fortführen konnten. Das war seine Pflicht. Er konnte sich nicht einfach verlieben; er musste sich in die Richtige verlieben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das passierte, war so gering, dass die meisten Schattengleiter nicht glaubten, dass es jemals geschehen würde.

Für Vittorio standen die Chancen noch schlechter. Er wollte keine normale Beziehung. Er brauchte eine Frau, die ihm vorbehaltlos vertraute und ihm erlaubte, sich um sie zu kümmern. Um jeden Aspekt ihres Lebens. Wo sollte man in der heutigen Welt eine solche Frau finden? Auch das war eine unmögliche Aufgabe. Zwei unmögliche Dinge bedeuteten, dass er den Rest seines Lebens in einer arrangierten Ehe ohne Liebe verbringen musste.

Er seufzte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Flüstern drohenden Unheils zu, das ihn hierher gelockt hatte. Der Club verfügte über drei Etagen. Die oberste war extrem teuer, doch dort hatte man auch die meiste Privatsphäre. Der Großteil der Stars feierte dort. Bodyguards waren allgegenwärtig, und auch die perfekt ausgebildete Security war präsent. Die dritte Etage war deshalb kein Ort, an dem Vittorio ernsthaften Ärger vermutet hätte, und doch drängten ihn seine Instinkte in diese Richtung.

Er wartete, bis die Musik wechselte und die Lichtshow einsetzte. Die tanzenden Farben warfen die verschiedensten Schatten durch den riesigen Club und gaben ihm eine große Auswahl. Er suchte sich einen Schatten aus, der durch die Bar zum Treppenabsatz der zweiten Etage führte, und bahnte sich im Zickzack einen Weg nach ganz oben, wo die Ferraros stets einen Tisch für die Familie reserviert hatten.

Er trat in einen dünnen, dunklen Streifen, und sein Körper wurde sofort in den Tunnel gezogen, auseinandergerissen und dann zwischen Tischen und Stühlen hindurch zwei Wendeltreppen nach ganz oben geschleudert. Als er am Ende des Tunnels zum Stehen kam, brauchte er ein paar Sekunden, bis sich sein Körper wieder vollständig anfühlte. Da war immer diese Übelkeit, wenn man schnell durch die Schatten reiste, auseinandergerissen und wieder zusammengesetzt wurde.

Kaum dass Vittorio die oberste Etage betreten hatte, war das Gefühl von Verschwörung, von Gefahr, überwältigend geworden. Er verschloss sich vor dem Lärm um ihn herum und konzentrierte sich ganz auf dieses Gefühl bevorstehenden Ärgers. Schicksalhaften Verderbens. Drei Tische von dem Privattisch der Ferraros entfernt saßen drei Männer. Zwei davon erkannte er als Vollstrecker der Familie Saldi. Allein sie hier in seinem Club zu sehen brachte die Knoten in seinem Bauch dazu, sich zusammenzuziehen.

Es war unmöglich, Drogen aus einem Club rauszuhalten, doch sie erlaubten nicht, dass hier damit gehandelt wurde. Die Saldis, eine berüchtigte Verbrecherfamilie, schmuggelten Drogen ins Land und verkauften sie auf der Straße und in Gassen an die Privatpartys der Reichen. Sie boten jede Droge an, die man sich nur vorstellen konnte. Aber nicht in einem Ferraro-Club.

Es trotzdem zu tun bedeutete einen Krieg mit den Ferraros anzuzetteln, und das wussten die Saldis.

Die Saldis waren ein Zweig der größten kriminellen Familie der Staaten. Giuseppi Saldi war ihr anerkannter Anführer und mit Sicherheit der größte Verbrecherfürst Chicagos. Diese Männer dort arbeiteten für seinen Bruder, Miceli Saldi. Die große Frage war, warum zwei Saldi-Schläger hier in einem Nachtclub der Ferraros saßen und Geschäfte mit einem heruntergekommenen Junkie machten. Es war unverkennbar, dass sie irgendeine Art Deal abwickelten. Die Saldi-Vollstrecker fielen mit ihren teuren Anzügen und Rolex-Uhren kaum auf, aber der Mann ihnen gegenüber trug vergleichsweise schlampige Kleider, die definitiv schon bessere Tage gesehen hatten.

Vittorio würde sich die Bänder der Überwachungskameras ansehen müssen. Es gab hier Regeln. Jeder Türsteher, jeder Rausschmeißer und jeder von der Security musste in der Lage sein, die Saldis und ihre Angestellten zu erkennen. Wenn sie den Nachtclub betraten, musste der Familie Ferraro augenblicklich Bericht erstattet werden. Und das war nicht geschehen.

Die Tatsache, dass die beiden Vollstrecker sogar auf der dritten Ebene im VIP-Bereich saßen, ohne dass jemand von der Familie informiert worden wäre, bedeutete einen zusätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsmaßnahmen des Clubs – oder dass die Saldis jemanden im Management des Nachtclubs bestochen hatten, der genug Einfluss hatte, sie durchschlüpfen zu lassen. Wenn das der Fall war, wen hatte derjenige sonst noch reingelassen?

Vittorio musste sich in Bewegung setzen und die Unterhaltung belauschen. Der Verkauf von Drogen würde immer ein Problem sein, in allen Clubs der Welt, aber dass die Saldis ungeniert in einem Ferraro-Nachtclub damit dealten, würde einen Krieg entfachen, den niemand wollte, und das ergab einfach...