Mord macht einsam - Ein neuer Fall für Chief Inspector Hippolyt Gibbs

von: Maximilian Maurer

hockebooks: e-book first, 2018

ISBN: 9783957512635 , 245 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Mord macht einsam - Ein neuer Fall für Chief Inspector Hippolyt Gibbs


 

10. Kapitel:
Jeff Miller packt aus


Die Police Station in der Barton Street residierte in einem heruntergekommenen Backsteinbau, der sich hinter einer mehr als zwei Meter hohen Mauer versteckte. Den Eingang erreichte man über einen schlecht gepflasterten Hof. Das Unkraut quoll in dicken Büscheln zwischen den Steinen hervor und die Wurzeln der Bäume hatten an manchen Stellen das Pflaster hochgedrückt, als wollten sie sich nicht dem einengenden Diktat der Menschen unterwerfen. Gibbs belegte den einzigen noch freien Parkplatz und meldete sich beim wachhabenden Beamten.

Kurze Zeit später saß er mit Melanie in einem engen, stickigen Büro, das ihnen der Stationsleiter zur Verfügung gestellt hatte. Melanie berichtete ihm, dass sie sich gerade mit DI Curruthers auf den Weg machen wollte, um das Material aus dem Büro von Lady Glenmoore sicherzustellen, als sich ein Zeuge gemeldet hätte, ein gewisser Jeff Miller, aus dem aber nichts herauszubringen sei. Er wolle nur mit dem Mann aus London sprechen, wie er sich ausdrückte. Curruthers habe sich dann allein nach Glenmoore House aufgemacht.

»Der Zeuge wartet schon über eine Stunde hier«, beklagte sich Melanie. »Ich hatte meine liebe Not, ihn daran zu hindern, wieder wegzulaufen.«

»Das haben Sie gut gemacht, Sergeant. Wir können jede Hilfe gebrauchen. Na, dann herein mit ihm.«

Gibbs war über diese Neuigkeit sichtlich erfreut. Er wusste genau, dass sie eigentlich kaum eine Chance hatten, in dem Fall weiterzukommen, wenn sich nicht etwas Außergewöhnliches ereignen würde. Und vielleicht brachte gerade dieser Zeuge etwas Licht ins Dunkel. Gibbs sollte recht behalten.

Als Jeff Miller von Melanie in das Büro gebracht wurde, hatte es sich Gibbs an einem quadratischen Besuchertisch mit Stahlrohrbeinen und Resopal-Auflage bequem gemacht und tat so, als lese er seine Notizen durch. Jeff Miller, das konnte man auf den ersten Blick sehen, war an solche Begegnungen nicht gewöhnt. Mit hängenden Schultern stand er da. Die Kappe mit dem Tesco-Schriftzug hielt er mit beiden Händen vor sich, als gelte es, sich notfalls hinter ihr zu verstecken. Melanie Poulsen blieb nahe der Tür stehen und wartete ab. Nach einer Weile sah Gibbs von seinen Notizen auf und schien Miller erst jetzt zu bemerken.

Er sprang mit einem Lächeln auf und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Sie sind also Mr Miller? Das freut mich aber. Man sagte mir, Sie hätten im Zusammenhang mit dem Glenmoore-Fall eine wichtige Aussage zu machen?«

Jeff Miller hatte vermutlich eine völlig andere Art der Begrüßung erwartet. Trotzdem sah man ihm an, wie unwohl er sich in seiner Haut fühlte. Er nickte schüchtern und drehte dabei seine Mütze, als wäre es ein Autolenkrad.

»Ich bin Chief Inspector Gibbs. Ich bearbeite diesen verzwickten Fall«, stellte sich Gibbs leutselig vor. »Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr Miller, dann können wir in Ruhe über alles reden.«

Gibbs rückte den Besucherstuhl zurecht und bat Miller, Platz zu nehmen. Der dreht sich um und schaute mit fragendem Blick auf Melanie, die ihn hereingeführt hatte.

»Keine Sorge, Mr Miller, meine Kollegin wird uns nicht stören.«

Auf einen Wink hin verließ Melanie das Büro. Miller setzte sich. Er saß ganz vorne auf der äußersten Kante des Stuhls. Die Kappe legte er vor sich auf den Tisch. Als wäre ihm plötzlich der Gedanke gekommen, dass man seine Kopfbedeckung nicht so mir nichts dir nichts auf den Tisch legt, nahm er sie plötzlich wieder weg und deponierte sie auf seinem Schoß.

»Was darf ich Ihnen anbieten, Mr Miller? Tee, Kaffee, Wasser?«

Gibbs redete, als wäre der Herzog von Buckingham zu Besuch gekommen. Miller schüttelte bloß den Kopf.

»Sind Sie der Beamte von Scotland Yard?«

»Ja, der bin ich«, antwortete Gibbs und legte zum Beweis seine Dienstmarke vor Miller auf den Tisch. Der hatte so etwas noch nie gesehen und machte große Augen.

»Wissen Sie Sir, ich glaube, ich hätte da etwas, womit Sie Ihren Mörder im Handumdrehen an der Angel haben.«

Jeff Miller nickte heftig und strahlte über das ganze Gesicht.

»So, so«, sagte Gibbs nur, »na, dann heraus damit! Ich bin schon sehr neugierig.«

Miller rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her.

»Also«, begann er zögernd, »also, die Sache ist die. Ich meine, ich frage ja nur, aber ich bin extra mit dem Bus von Bourton herübergefahren. Das kost’ mich ’nen halben Tag, ich meine ich hab’ ja auch Verdienstausfall und so. Es ist doch bestimmt eine Belohnung ausgesetzt, nicht wahr?«

Daher also wehte der Wind. Miller wollte sich sein Wissen versilbern lassen.

Doch Gibbs tat so, als hätte er die Bemerkung Millers nicht verstanden. »Also, Mr Miller, eine Belohnung ist in diesem Fall bislang nicht ausgesetzt worden. Aber als aufrechter Staatsbürger werden Sie doch sicherlich stolz darauf sein, der Polizei bei der Aufklärung eines derart brutalen Mordes helfen zu können.«

»Das schon«, erwiderte Miller, jetzt mutiger geworden, »aber ich habe mal gehört, dass die Polizei für gute Informationen was springen lässt. Bei der Presse würde ich bestimmt einen guten Preis bekommen.«

»Vergessen Sie das, Miller, wenn Sie ein wichtiges Beweismittel unterschlagen, kann Sie das mehr kosten, als Ihnen die Freunde von der Presse dafür bieten. Aber ich mache Ihnen ein faires Angebot, damit Sie wenigstens Ihre Kosten wieder hereinbekommen.«

Gibbs zog seine Geldbörse aus der Tasche und legte zwei Zehn-Pfund-Noten zwischen sich und Miller auf den Tisch. Er sah, wie die Augen von Miller zu leuchten begannen, als er das Geld sah. Das war immerhin die Summe, die er an einem guten Tag im Supermarkt verdiente. Schon wollte er danach greifen, aber Gibbs war schneller und legte die Hand drauf.

»Nicht so hastig, mein Freund, zehn Pfund gibt es sofort und die anderen zehn, wenn Ihre Information wirklich etwas wert ist. Außerdem lasse ich Sie von der Kollegin heimfahren. Dann sparen Sie auch noch den Bus. Okay?«

Miller nickte und Gibbs schob ihm eine der beiden Banknoten zu. Miller nahm das Geld, um es in seinen Geldbeutel zu stecken, und fischte dabei aus einem der Fächer den kleinen gefalteten Zettel hervor, den er nun schon seit mehr als vierzehn Tagen mit sich herumtrug. Er reichte ihn dem Chief Inspector. Gibbs sah sofort, dass das Stück Papier für die Spurensicherung längst verloren war. Trotzdem faltete er es vorsichtig auseinander. Er kannte diese Merkzettel. Sein Arzt in London verteilte ähnliche an seine Patienten. »Dr. John Peters, Moore Rd., Bourton-on-the-Water« stand auf der Vorderseite. Das Feld, in dem Termin und Uhrzeit eingetragen werden konnten, war leer. Gibbs drehte den Zettel um. Die Rückseite war eng mit Kugelschreiber beschrieben. Gibbs las:

»Hallo Olivia, muss dich dringend sprechen. ALLEIN! Es geht um Mary. Bin heute den ganzen Tag unterwegs und komme erst gegen Abend zurück. Bitte erwarte mich Punkt 9.00 Uhr an der Einfahrt. Es ist sehr wichtig.
Liebe Grüße, John«

Das Wort »Allein« war zwei Mal unterstrichen und hinter den Namen hatte der Schreiber der Nachricht ein Herzchen gemalt. Gibbs pfiff leise durch die Zähne.

»Woher haben Sie das?«, fragte er Miller, der gespannt auf eine Reaktion des Chief Inspectors zu warten schien.

Miller erzählte ihm lang und breit von seinem Erlebnis auf dem Tesco-Parkplatz. Von seinem Freund Iwan Karpow, der ein ungehobelter Klotz sei und nicht einmal grüße, wenn er mit dem Moped an ihm vorbeifahren würde. Als der Name Iwan Karpow fiel, sah Gibbs kurz von seinen Notizen auf und wollte schon eine Frage stellen. Doch Miller war jetzt so richtig in Fahrt. Er berichtete von den beiden Frauen mit dem vollen Einkaufswagen und von der Brünetten, die den Zettel gefunden und weggeworfen habe und auch, wie das Fahrzeug zwei Stunden später noch mal zurückgekommen sei und wie die eine der beiden, vermutlich Lady Glenmoore, nach dem Zettel gesucht habe und er ihn ihr doch eigentlich geben wollte, gegen ein kleines Trinkgeld natürlich, und wie sie dann aber davonfuhren, noch bevor er das Auto erreichen konnte.

Auf die Frage, woher er denn gewusst habe, dass es sich bei der Dame um Lady Glenmoore handelte, berichtete Jeff von seinem Gespräch mit dem Praktikanten. Außerdem habe er am Tag nach dem Mord in den Abendnachrichten im TV ein Bild von ihr gesehen. Gibbs hörte aufmerksam zu und unterbrach Miller auch nicht, als der auf seine Probleme mit dem Müll in den Einkaufskarren zu sprechen kam und dass es kaum Leute gab, die ihren Wagen selbst zum Haupteingang zurückbrächten. Auf Gibbs’ Frage, warum Miller den Zettel nicht der Polizei übergeben habe, schaute ihn Jeff etwas verdutzt an.

»Wie denn? Ja, ich habe darüber nachgedacht. Aber dann kam ja schon die Meldung, dass man den Fall aufgeklärt habe. Da dachte ich, der Zettel hätte vielleicht doch gar nichts mit der Sache zu tun. Erst als dann in der Zeitung stand, dass die Polizei mal wieder fürchterlich danebengelegen hatte, wurde mir klar, wie wichtig die Mitteilung war. Aber den Typen von der örtlichen Schmiere hätte ich den nie gegeben. Die hätten mich doch nur in die Mangel genommen. Ich bin doch nicht blöd. Nein, aber zu Ihnen, Sir, zu Ihnen habe ich Vertrauen. Sie sind bestimmt ’ne große Nummer beim Yard. So wie einst Jerry Cotton.«

»Danke, Mr Miller, wir wollen aber mal nicht übertreiben. Außerdem war Jerry Cotton beim FBI und nicht beim Yard. Jedenfalls haben Sie sich die zwanzig Pfund redlich verdient.«

Gibbs schob ihm den zweiten Zehner über den Tisch.

»Um eines muss ich Sie jedoch noch bitten. Ich lasse jetzt meine Assistentin kommen. Sie wird mit uns ein Protokoll machen. So was brauchen wir...