Schickimicki - Kommissar Alois Schöns 2. Fall

von: Ulrich Radermacher

Gmeiner-Verlag, 2017

ISBN: 9783839253267 , 282 Seiten

Format: PDF, ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Schickimicki - Kommissar Alois Schöns 2. Fall


 

Die Schönheiten der Isar


Alois Schön rasierte sich, als sein Handy klingelte.

Natascha informierte den Leiter der Mordkommission über den Fund einer Frauenleiche im Englischen Garten, auf Höhe des Hiltons am Tucherpark.

»Die lag noch nicht lange im Wasser, schaut noch recht gut aus«, begrüßte ihn die junge Kommissarin in ihrer gewohnt lockeren Art. Die Feuerwehr hatte den Leichnam, der an den mächtigen Zweigen einer entwurzelten Trauerweide hängengeblieben war, geborgen und am lehmigen Ufer abgelegt. Der herbeigerufene Leichenbeschauer hatte sofort die Gerichtsmedizin und die Kriminalpolizei verständigt. Das Einschussloch im Brustbereich des Mantels war nicht zu übersehen. Ansonsten war die Tote unversehrt. Kein zerfetzter Rock, keine ausgerissenen Haarbüschel, kein abgebrochener Absatz.

»Wissen wir, wer sie ist?«

»Sie heißt Petra Malterer, ist 39 Jahre alt und wohnt in Bogenhausen«, betrachtete Natascha antwortend die abgedeckte Leiche. »In ihrer Umhängetasche fanden wir ihr Portemonnaie samt Handy und Personalausweis.« Anschließend sah sie ihren Chef an: »Wegen der Tatwaffe habe ich die Taucher bereits angefordert!«

»Gut, Frau Kollegin.« Alois Schön richtete seinen Blick auf die gemächlich dahinfließende Isar: »Lassen wir die Spurensicherung in Ruhe arbeiten.«

Familie Malterer wohnte auf einem großen Grundstück, das von der Straße aufgrund einer Mauer nicht eingesehen werden konnte. Die Seiten zu den Nachbarn waren mit einer dichten Thuja-Hecke bepflanzt.

»Meine Frau schläft noch«, beteuerte der Herr, der ihnen öffnete. Er trug eine edle Strickjacke und Pantoffeln, war klein, leicht untersetzt und hatte nur wenige Haare auf dem Kopf. Natascha schätzte ihn auf Ende 60, Anfang 70.

»Was wollen Sie von Petra?« Unsicher sah er die Besucher an.

»Es wäre uns recht, wenn wir das im Haus besprechen können.« Alois Schön holte seinen Dienstausweis aus der Jacke und stellte seine Kollegin vor.

»Natürlich, bitte kommen Sie mit!« Franz Malterer warf nur einen flüchtigen Blick auf die Karte.

Im Zentrum des Wohnzimmers sorgte ein gewaltiger Kachelofen für angenehme Wärme. Auf seiner linken Seite, vor dem Fenster zum Garten, stand ein ovaler Esstisch mit sechs Stühlen, während die andere Hälfte des Raumes von einer braunen Ledergarnitur belegt wurde. Wer auf ihr saß, sah direkt auf die breite Schrankwand, in der außer zahlreichen Büchern auch ein großer Fernseher Platz fand. Zumindest eines der Familienmitglieder schien es gemütlich zu lieben, denn eine ausfahrbare Récamiere bildete den rechten Abschluss der Sitzgarnitur. Zur Terrassentür waren es von dort bloß zwei Schritte. Dem Schutz des Parketts, aber auch als Blickfang dienten zwei ausladende, überwiegend dunkelrote Seidenteppiche, die vor der Sitzecke und neben dem Esstisch lagen. Ihre Fläche von jeweils mindestens drei mal vier Metern war der Größe des Raumes angemessen und gab ihm einen staatsmännischen Charakter. Für die Beleuchtung der Couchgarnitur sorgte eine Stehlampe in der Ecke, während der Tisch sowie die Schrankwand und die beiden Teppiche durch zwei stattliche Kristallleuchter illuminiert wurden.

Natascha fiel auf, dass in jedem Zimmer im Erdgeschoss ein großes Kreuz hing. Sogar in der Küche hatte sie eines beim flüchtigen Blick durch die offen stehende Tür erkannt.

Nachdem sie am Esstisch Platz genommen hatten, erklärte Alois Schön, dass man Petra Malterer tot aus der Isar geborgen habe.

»Und Sie sind sicher, dass es sich um meine Frau handelt?«

»Sie hatte ihren Ausweis bei sich«, erwiderte der Leiter der Mordkommission mit gedämpfter Stimme.

Franz Malterer schluckte, ehe er sich bekreuzigte. Er stützte seine Ellbogen auf die Tischkante, vergrub das Gesicht und seine goldumrandete Brille in seinen Händen. In dieser Position verharrte er mehr als eine Minute. Nur das Knacken der Holzscheite im Kachelofen störte die Stille.

»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?« Natascha konnte nicht erkennen, was in dem Ehemann vorging.

»Ja, bitte. Mineralwasser steht im Träger hinter der Tür, Gläser sind im Schrank neben dem Kühlschrank«, antwortete dieser leise. Er rieb sich die Augen, bevor er mit zittrigen Händen die Abdrücke, die seine Handballen auf seiner Brille hinterlassen hatten, mit einem Stofftaschentuch entfernte.

»Herr Malterer, wieso dachten Sie, dass Ihre Frau noch schläft?«, erkundigte sich die Kommissarin, während sie allen einschenkte.

»Petra war gestern mit ihren Freundinnen im P1. Und da sie angekündigt hatte, dass es spät werden würde, habe ich sie schlafen lassen.« Franz Malterer erklärte, dass er mit seinen Kindern alleine gefrühstückt habe. Nachdem Lena und Maximilian gegen halb acht in die Schule gefahren seien, habe er den Tisch abgeräumt. »Anschließend bin ich in mein Arbeitszimmer, wo es noch einiges zu erledigen gab.«

Alois Schön runzelte die Stirn. »Hat es Sie nicht gewundert, dass Ihre Frau nicht aufgewacht ist? Schulkinder sind gewöhnlich nicht so leise, selbst wenn sie sich Mühe geben!«

Der Witwer zuckte mit den Achseln. »Petra und ich haben getrennte Schlafzimmer. Also konnte ich sie beim Aufstehen nicht wecken.« Zum ersten Mal sah er seine Gesprächspartner an. »Vermutlich hat sie den ein oder anderen Cocktail getrunken. Im Übrigen bin ich davon ausgegangen, dass sie Ohrstöpsel benutzt, um ausschlafen zu können.«

Natascha sah ihren Chef verwundert an. Solch klare Antworten hatte sie nicht erwartet. Nicht von einem Mann, der gerade vom Tod seiner Frau erfahren hatte. »Was machen Sie beruflich?«, erkundigte sie sich freundlich.

»Ich bin Studiendirektor, eigentlich schon im Ruhestand. Aber aufgrund des Lehrermangels in den naturwissenschaftlichen Fächern – ich unterrichte Mathematik und Physik – habe ich mich entschlossen, länger zu arbeiten. Allerdings nur von Montag bis Mittwoch, wie Petra auch.«

»Wo arbeitete Ihre Frau?«

»Im Personalreferat der Stadt München, direkt im Rathaus am Marienplatz.« Gedankenversunken drehte Franz Malterer an seinem Ehering. »Nicht wegen des Geldes, Petra brauchte das einfach. Sie war nicht der Typ, der ständig zu Hause hockt.« Nach wenigen Sekunden fügte er hinzu: »Verreisen können wir ja noch nicht, wegen der Kinder.«

Natascha protokollierte fleißig mit: »Wie alt sind Ihre Kinder?«

»Lena ist 14 und Maximilian ist gerade 18 geworden. Er macht im Frühjahr Abitur.«

Alois Schön wartete einen Moment, bevor er sein nächstes Anliegen vortrug. »Herr Malterer«, begann er behutsam, »obwohl Ihre Frau ihren Ausweis bei sich trug, muss sie von einem Angehörigen identifiziert werden.«

»Natürlich«, nickte der Witwer, »jetzt sofort?«

»Wenn sie sich dazu imstande fühlen.« Fragend sah der Leiter der Mordkommission den Ehemann an.

»Ich denke schon«, entgegnete dieser. »Auf jeden Fall wäre es mir lieb, wenn wir das erledigen können, solange die Kinder in der Schule sind.«

Unsicher betrat Franz Malterer den Sektionsraum der Rechtsmedizin in der Nußbaumstraße. Die beiden Kommissare nahmen den alten Herrn in ihre Mitte, stets damit rechnend, ihn auffangen zu müssen. Schließlich wäre er nicht der erste Mann, den beim Anblick seiner verstorbenen Gattin die Kräfte verlassen.

Erst als sie am Seziertisch standen, entfernte der Gerichtsmediziner das Tuch vom Gesicht der Ermordeten. Ihr Körper blieb weiterhin verhüllt.

»Ist das Ihre Gemahlin?«, erkundigte sich Alois Schön leise.

Der Witwer nickte stumm, jedoch deutlich erkennbar.

»Dann sollten wir gehen.«

»Einen Moment noch bitte.« Franz Malterer beugte sich über die Tote und gab ihr einen letzten Kuss auf ihre kalten Lippen. Anschließend drehte er sich behäbig um und ging langsamen Schrittes zur Tür.

Keine Träne, nicht einmal ein Schlucken. Nichts. Absolut gar nichts. Ohne jede Regung saß Franz Malterer im Fond des Wagens. Er ignorierte sogar die Matthäus-Kirche mit ihrem idyllischen Park, die sie bei der Ausfahrt am anderen Ende der Straße passierten. Erst als sie die Theresienwiese hinter sich gelassen hatten, erkundigte er sich, weshalb man ihn nicht nach Hause bringe.

Woraufhin Natascha erklärte, dass es am einfachsten und praktischsten sei, wenn man sich in den Räumen der Mordkommission unterhalte.

»Wann kommen Ihre Kinder nach Hause?«, begann Alois Schön die Vernehmung in sanftem Ton. Die Dame aus dem Schreibbüro protokollierte mit flinken Fingern mit.

»So um drei.«

»Möchten Sie, dass wir dabei sind, wenn Sie ihnen die Nachricht vom Tod ihrer Mutter überbringen?«

»Danke, das schaffe ich schon alleine.«

»Sicher?« Natascha sah den Witwer fragend an. Franz Malterer nickte mechanisch. Sein Blick war leer.

»Hatte Ihre Frau einen Grund, sich umzubringen?«, wollte Alois Schön nach einigen Sekunden des Nachsinnens wissen.

Franz Malterers Stirn zeigte deutlich, wie sehr er nach einer Antwort suchte. Bevor er anfing zu sprechen, räusperte er sich: »Nein, weshalb sollte sie so etwas tun? Und hätte man dann nicht die Tatwaffe im Fluss finden müssen?«

»Nicht unbedingt, es könnte ihr jemand geholfen haben.«

»Verstehe.«

Ungeachtet der schnellen Replik ließ Alois Schön dem Witwer Zeit, diesen Einwurf zu verarbeiten. Erst nach einer längeren Pause hakte er nach: »War Ihre Frau krank oder in ärztlicher Behandlung?«

»Natürlich hatte sie einen...