Erinnerungen eines Polizisten - Eine Polizistenlaufbahn im Wandel der Zeit

von: Heinrich J. Prinz

novum pro Verlag, 2016

ISBN: 9783990482551 , 576 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Erinnerungen eines Polizisten - Eine Polizistenlaufbahn im Wandel der Zeit


 

Prolog

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs war ich gerade 13 geworden. Den Bombenterror der Alliierten auf deutsche Städte und den Einmarsch der Amerikaner hatten wir in unserer niederbayerischen Abgeschiedenheit zwischen Rott und Inn unbeschadet überstanden, wenn auch ein urplötzlicher Bombenwurf eines sonnigen Herbsttages 1944 lange nach Abzug der über uns mit ihren Kondensstreifen den Himmel eintrübenden Bomberströme beinahe in unseren friedlichen Marktflecken gekracht wäre (ein Notabwurf nach Flaktreffer über deren Zielgebiet wohl nur, der knapp neben einem Bauernhof und in den nahen Feldern riesige Krater hinterließ), und zum Kriegsende hin die in freier Jagd tief über das Land fliegenden Jagdbomber (Jabos) die Bauern auf den Feldern angriffen und selbst auf meine in einer Hamsterfahrt über die Dörfer radelnde Mutter schossen. Gerade dass sie sich noch unter die in erster Blüte stehenden Obstbäume eines kleinen bäuerlichen Anwesens zu werfen vermochte, in die die Geschosse der Bordkanonen prasselten und Blüten und Zweige auf sie warfen. Kreidebleich und noch immer zitternd an allen Gliedern kam sie nach Hause. Nachdem wir schon seit Tagen Kanonendonner aus der Ferne vernahmen, erwarteten wir mit Bangen den Einmarsch des Feindes.

Tage zuvor hatten wir einen Zahlmeister der Wehrmacht zur Einquartierung in unserer Wohnung. Doch dann rückten die letzten Einheiten der Wehrmacht Richtung Alpen ab. Zwei abgekämpfte Infanteristen, die einen Handwagen mit ihrem Gepäck und ihren Karabinern hinter sich herzogen, waren die letzten deutschen Soldaten, die wir vorbeiziehen sahen. In der offenen Wagenremise des Stadels hinter unserem Wohngebäude entdeckte ich, neugierig wie ich war, einen zurückgelassenen Kleinlaster (einen Opel Blitz, wie es sie die Jahre darauf noch immer gab). Auf dessen Ladefläche lagen durcheinander geworfen jede Menge Infanteriewaffen, von Pistolen und MPs bis zu Karabinern und MGs. Ich stöberte etwas darin herum und entdeckte eine handliche Pistole, die ich mit nach Hause nahm und unserem Vater zeigte. Doch der war vorsichtig. Nein, die könnten wir nicht behalten, auch nicht irgendwo auf dem Dachboden unter unserem Holzvorrat und den Bergen von Tannenzapfen, die wir Buben in den nahe liegenden Wäldern sammelten und säckeweise heimschleppten. Er hatte recht, wie sich später erwies, als die Amis, die unseren Marktflecken besetzt hatten und wieder und wieder die Wohnungen nach versteckten deutschen Soldaten und nach Waffen durchsuchten. Unsere Mutter, die sich alsbald anbot, die Wäsche der Amis zu waschen und deren Uniformen aufzubügeln, wofür sie Seifenstücke, Konserven und Orangen bekam. Von den unsere Wohnung wieder und wieder durchsuchenden Amis aber wurden diese Waren regelmäßig konfisziert.

Ein Panzerspähwagen der Amerikaner war das erste Feindfahrzeug, das am späten Nachmittag des 1. Mai 1945 aus Richtung unserer im Norden liegenden Kreisstadt Pfarrkirchen in unseren Ort rollte, dem Marktflecken Tann. Geduckt spähte ein behelmter GI aus dem Turmluck, eine großkalibrige Pistole schussbereit in der Faust. Der Spähwagen verschwand um die Kurve und rollte weiter in den Ort hinein. Alles blieb ruhig, verdächtig ruhig, als hielte selbst die Natur an diesem trüben Tag den Atem an. Ein beklemmendes Gefühl beschlich mich, der ich mit meinen Eltern und meinen drei jüngeren Brüdern – der jüngste gerade mal drei Jahre alt – in unserer Mietwohnung im ersten Stock unseres breit hingeduckten Hauses an der Ausfallstraße Richtung Pfarrkirchen der Dinge harrte, die gleich über uns hereinbrechen würden. Drüben am Hang wehte vom Zwiebelturm unserer Pfarrkirche bereits eine weiße Fahne.

Für mich wurde es Zeit, mich auf den Weg zum Hansbauern zu machen, von dem wir täglich eine große Kanne frischer Milch bekamen, mit der wir den aus gerösteten und gemahlenen Eicheln aufgebrühten Kaffee genießbar machten und Schwarzbrot in die großen Tassen brockten. Unser tägliches, karges Abendessen. Meine Eltern zögerten, mich mit Mutters Fahrrad losfahren zu lassen. Doch noch blieb es ruhig. Ich schob den Michibauernberg empor, wo oben die drei Vierseithöfe Seppbauer, Michibauer und Hansbauer dicht beisammen standen. Maria, Bäuerin des Hansbauernhofes und unsere Tante, füllte die Vier-Liter-Michkanne, die ich wieder an den Fahrradlenker hängte. Als ich losradeln wollte, begann die Erde zu beben. Vorne an der knapp 50 Meter entfernten Straße tauchte eine nicht enden wollende Kolonne schwerer amerikanischer Panzer auf, dazwischen Schützenpanzer und Laster mit Infanterie. Ohne anzuhalten, rollte sie den Berg hinunter, den ich gerade emporgekommen war.

Ich wartete am Hoftor. Die ersten der Panzer mussten wohl schon in unserem im Tal liegenden Marktflecken angekommen sein, die Kolonne staute sich zurück. Ich schob mein Fahrrad zur Straße vor und überlegte, ob ich es wagen könnte, neben der dicht aufgeschlossenen Militärkolonne des Feindes den Berg hinunterzuradeln. Mir, einem dreizehnjährigen Schulbuben, würden die Amis wohl nichts tun. Als keiner der behelmten Soldaten in den Jeeps und auf den Lastern Notiz von mir nahm, schob ich mein Rad zwischen den Fahrzeugen hindurch und radelte auf der Überholspur zögernd los. Keiner der Amis hielt mich an, so ließ ich es allmählich den Berg hinunter laufen, auf dem die Panzer und Laster sich offenbar schon aus unserem Markflecken heraus zurückstauten. Im letzten steilen Drittel hatte ich schon ziemlich Fahrt drauf, als ich vorne auf einem der Laster einen Soldaten stehen sah, der in hohem Bogen mit kräftigem Strahl über die Straße pinkelte. Ich wagte nicht zu bremsen, auf der Schotterfahrbahn wäre ich unweigerlich gestürzt. So zog ich den Kopf ein und fuhr unter dem Urinstrahl hindurch. Schallendes Gelächter brandete die Kolonne entlang auf. Unbeschadet ließ ich es unten auslaufen und radelte weiter die wenigen hundert Meter bis zur Brücke über den Bach und zu unserem Haus.

Erlöst nahm mich Mutter in die Arme. Wie staunten wir über die Masse von Panzern, Schützenpanzern und Trucks voll mit Soldaten, die nun absprangen, sich die Beine zu vertreten begannen und vorn an der Kurve in den Ort hinein Zaunlatten losbrachen und ein offenes Feuer entfachten, an dem sie sich die Hände wärmten. Der Verkehrsstau reichte weit über die umliegenden Dörfer hinaus, und wie wir Tage später erfuhren, war auch von Süden her ein Panzerspähwagen in unseren Ort gerollt. Dort soll, wie mir Schulkameraden erzählten, ein junger deutscher Soldat tot im Straßengraben gelegen sein, auf den von nachrückenden Amifahrzeugen herunter GIs johlend MP-Salven abfeuerten. Und rund um unseren Marktflecken soll Artillerie aufgefahren sein.

Am Morgen nach dem Einmarsch unserer Feinde riss uns der Entsetzensschrei unserer Mutter aus den Federn. Vater und ich stürzten in die zur Straßenseite liegenden Wohnküche unserer Mietwohnung im 1. Stock. Kreidebleich wies Mutter zum Fenster, an dem sie soeben das Verdunkelungsrollo hochgezogen hatte. Mit blendend weißen Zähnen im schwarzen Gesicht grinste ein Ami zum Fenster herein. Er stand im Turm seines Panzers, der dicht an das Haus heranrangiert worden war, um die relativ schmale Straße nicht zu blockieren – der erste Schwarze, den Mutter in ihrem Leben zu sehen bekam. Er erschreckte sie zu Tode.

Dass unser idyllischer niederbayerischer Landstrich davor bewahrt blieb, totaler Zerstörung durch Bomben und Granaten anheimzufallen, hatten wir ungarischen Generälen zu danken, die mit größeren Heeresteilen im Rückzug über Österreich auch in unserem Ort Quartier bezogen hatten und in umliegenden Wäldern kampierten. Sie sorgten dafür, dass die am Kirchturm unseres Ortes gehisste weiße Fahne, die Fanatiker sogleich entfernten, erneut aufgezogen wurde, und kapitulierten auf dem Marktplatz in feierlichem Zeremoniell vor den uns überschwemmenden Amerikanern. Leider hatte ich dies nicht mitgekriegt.

Als ich am Abend darauf wieder mit der Millibietsch’n, der großen Milchkanne, am Lenker von Mutters Fahrrad zum Hansbauerhof aufbrach, brach plötzlich ohrenbetäubendes Geschieße aus zahllosen Maschinenkanonen auf den Schützenpanzern und Fahrzeugen entlang der Straße aus unserem Ort hinaus los. Ich sah, wie die Leuchtspurgeschosse über den östlichen Hang, auf dessen Kuppe das Wasserreservoir für den Ort installiert war, auf ein Ziel weit dahinter zuflogen. Ein Flugzeug, ein deutsches konnte es nur sein! Eine leichte Rauchfahne zog es hinter sich her. Getroffen …? Ich bangte um dessen Piloten. Doch es entschwand alsbald, ohne dass ein Absturz zu erkennen war, und das Geschieße hörte auf.

Jahre später las ich davon, dass Deutschland damals über erste Strahljäger verfügte, die Me 262, die indes nicht mehr in genügender Zahl produziert wurden, um den Terrorbombern Paroli bieten zu können. Noch war Krieg. War es vielleicht einer dieser neuen Düsenjäger, die ich damals gesehen habe, und die Rauchfahne, die er hinter sich herzog, die Abgase der Düsen?

Tage nach dem Einmarsch der Amis galoppierte eine Horde junger GIs auf den Pferden der am nahen Waldrand kampierenden Ungarn unter ausgelassenen Yippie-Rufen in unseren Ort. Auf dem Asphalt stoben unter den Hufen der Pferde die Funken auf.

Der Hang hinter der Kirche in Richtung Westen diente den Siegern als Sammelplatz für erbeutete deutsche Militärfahrzeuge. Ein Sanitätswagen war darunter, dessen Hecktüren einladend offen standen. Mit einem deutschen...