Swing Kids

von: Jörg Ueberall

Archiv der Jugendkulturen Verlag, 2015

ISBN: 9783943774221 , 192 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Swing Kids


 

Begriffsschwierigkeiten


Swing Boys, Swing Girls, Swing-Heinis, Swing Babys, Swing-Jugend, Swings … Welchen Begriff sollte ich wählen für die Jugendlichen in meinem Buch?

Die Swing Kids hatten für sich selbst keine gängige Bezeichnung, da sie keine geschlossene Gruppierung waren. Untereinander nannte man(n) sich „Swing Boy“, „Hot Boy“, „Easy Boy“ oder „Lotter Boy“. Die Mädchen waren die „Swing Girls“, „Lotter Ladies“, „Jazzkatzen“ oder „Swing Babys“. Im Volksmund wurden sie abschätzig „Swing-Heinis“ genannt, eine Bezeichnung, die jedoch wiederum von den „Paddler-Kreisen“ (Swing Kids aus unteren Schichten) übernommen wurde und sogar mit einigem Stolz in die normale Umgangssprache der Swing Kids Eingang fand. Trotzdem hat „Swing-Heini“ etwas Abwertendes, deshalb benutze ich diesen Ausdruck nicht. Einige Historiker und Jazztheoretiker verwendeten die Begriffe „Swings“ und „Swinger“, die mir ebenfalls nicht gefallen.

Der Begriff „Swing-Jugend“ ist wahrscheinlich eine nationalsozialistische Wortschöpfung. Meinen Recherchen nach taucht der Begriff „Swing-Jugend“ das erste Mal im Observationsbericht einer Tanzveranstaltung im Kaiserhof in Altona vom 3.2.1940 auf. Darin war vom „großen Treffen der Hamburger Swing-Jugend“ die Rede. Dort wird auch von „vollendeten Tango-Boys mit dem berüchtigten langen Haarschnitt“ gesprochen. Allerdings wurde auf dieser großen Party kein Tango getanzt. Damit hatten die Swing Kids nichts am Hut. Später sollten aus „Tango-Boys“ noch „haltlose, willensschwache Psychopathen mit erheblichen Defekten auf ethisch-moralischem Gebiet“ werden. Der Begriff „Swing-Jugend“ wurde in Zukunft in allen Schriftstücken der Nazis verwendet, wenn es um das „Problem“ der Swing Kids ging. Daher hätte ich Schwierigkeiten gehabt, den Begriff „Swing-Jugend“ in diesem Buch zu verwenden.

Der größte Teil der Swing Kids war zwischen 14 und 18 Jahre alt, manche zwischen 18 und 21, nur wenige waren älter. Jugendliche dieser Altersstufe werden heute im soziologischen Terminus wie in der praktischen Sozialarbeit als „Kids“ bezeichnet. Und da ihr gesamter Lebensstil auf England und Amerika ausgerichtet war und das Wort „Swing Kids“ bisher nirgendwo negativ belastet ist, verwende ich diesen Begriff im weiteren Verlauf des Buches. Ich denke, er wird diesen Jugendlichen am besten gerecht.

Man begrüßte sich mit „Swing Heil!“ als Persiflage auf „Heil Hitler!“ oder mit „Heil Hitler!“ – „Heil du ihn doch!“

Die Swing Kids waren eine eigene Subkultur. Man begrüßte sich mit „Swing Heil!“ als Persiflage auf „Heil Hitler!“ oder mit „Heil Hitler!“ – „Heil du ihn doch!“ oder auch mit „Swing high, Swing low“. Eine andere typische Angewohnheit war das „Lottern“ als gezielte Gegenreaktion auf Gleichschritt und Haltung des strammen Deutschen. Die Hände tief in die Hosen vergraben schlich man durch die Gegend. „Das war irgendwie diese lässige Haltung, dies Lässig-Englische“26, erinnert sich Gunter Lust. Oft sah man Swing Kids in Gruppen spät nachmittags zur Hauptverkehrszeit sich über den Jungfernstieg mit kleinen, swingenden Schritten, etwas nach vorn gebeugt, bewegen. Oder man überquerte im Gänsemarsch den Rathausmarkt (damals Adolf-Hitler-Platz).

Und auch mit Sprüchen war man nicht auf den Mund gefallen, die z. T. auf Melodien beliebter amerikanischer Swing-Songs gesungen wurden und manchmal sogar die „Größen“ des Dritten Reiches verspotteten:

„Wir tanzen Swing bei Meier Barmbeck

Es ist verboten, wir hotten nach Noten

Und kommt die Polizei, dann tanzen wir Tango

Und ist sie wieder weg, dann singen wir den Tiger Rag.“

Swing-Freunde im Stadtpark Barmbeck, 1942

Die Swing Kids hatten ihre eigenen Treffpunkte (bis in die Jahre 1941/42, als die Gestapo eingriff); beliebt bei den jüngeren Kids war das Eislauffeld im Park „Planten und Blomen“, in dessen Nähe die Lokalitäten (wie man sie damals nannte) „Tante Lo“ und das „Tarantella“ lagen. Swing Kids jeden Alters trafen sich im „Condi“ und im Café „L‘Arronge“. Die Älteren trafen sich im „Vier-Jahreszeiten-Keller“, dem „Trocadero“, dem Café „Heinze“ (wo Teddy Stauffer mit seinen Original Teddies auftrat) und vor allen Dingen im „Alsterpavillon“.

Das Wichtigste aber war das gemeinsame Erlebnis des Musikhörens und -erfahrens, wobei dem Swingtanzen – dem „Abhotten“ – eine noch stärkere Funktion als dem gemeinsamen Musikhören zukam. Der Swingtanz sollte der ideologische Auslöser zur Verfolgung der Swing Kids werden. Aber auch die Musik hatte eine fast therapeutische Funktion für die Swing Kids, die für uns heute vielleicht nur noch schwer nachvollziehbar ist. Uwe Storjohann erinnert sich: „Mit dieser Musik und in dieser Stimmung fühlte ich mich befreit. Ich habe nie wieder eine Musik erlebt, die mich so angstfrei werden ließ.“ Auch das Sammeln von Schallplatten war „Kult“, es gehörte dazu. Je schwieriger es wurde, an Platten ausländischer Interpreten zu kommen, desto einfallsreicher wurde man.

Sie hatten ihre eigene Kleidung und ihren eigenen Haarschnitt. Hans A. de Boer erzählt dazu: „Wir trugen Ruderclub- oder Segelclubjacken, die offiziell verboten waren, aber auch die wild aussehenden ‚Karo-Jacken‘, die irgendwie aus England und Amerika hereingeschmuggelt und auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden.“9 Erkennungszeichen waren ein möglichst langes Jackett mit auffallend großem Karomuster, die zum (manchmal extrem) kleinen „Windsor“-Knoten gebundene Krawatte und Schuhe mit Kreppsohlen. Hinzu kamen die weißen (wenn möglich Seiden-)Schals. Obligatorisch (aber auch am schwierigsten zu besorgen) waren die so genannten „Scötches“ (Hüte). Aber auch hier wusste man sich zu helfen: „Die Hüte waren am schwierigsten zu beschaffen. Es war ja Krieg, und man bekam alles nur in Kleiderpunkten zugeteilt. Also stellte man sich des Abends an die Ausgänge von Kneipen und Lokalitäten. Dort wartete man wie ein Wolf auf das Schaf, das einen Scötch trug. Wenn man von einem hellen Raum ins Dunkle nach draußen tritt, müssen sich die Augen bekanntlich erst mal daran gewöhnen. Diesen Moment nutzte man aus, griff seinem Opfer an den Kopf und verschwand dann schnell mit dem Hut.“26 Dazu trug man in den Taschen, jedoch gut sichtbar, die Times oder andere ausländische Zeitungen, die es bis zum Beginn des Krieges in Deutschland noch zu kaufen gab. Dazu kam ein schwarzer Schirm, der bei eisiger Kälte und größter Hitze mitgeführt, aber nie aufgespannt wurde. Die beste Erklärung hierfür liefert Walter Jens: „Das war ein Ausweis der nazifeindlichen Gesinnung. Denn mit einem Regenschirm kam immer der englische Außenminister Anthony Eden. Das hieß dann: ‚Hast du deinen Anthony bei dir?‘ Also nicht in brauner Uniform, sondern mit Anthony in der Hand, mit Regenschirm. Das war natürlich wieder so ein elitäres Abzeichen. ‚Wir gehen elegant gekleidet, nicht wie die Proleten im braunen Hemd.‘“33

Die Swing Kids bewunderten westliche Demokratien, besonders die Demokratien Großbritanniens und der USA standen für Freiheit. Sie setzten diese beiden Länder mit dem Paradies gleich. Und nicht wenige von ihnen treffen wir nach dem Krieg im Vereinigten Königreich oder „jenseits des großen Teiches“ wieder.

Die Sängerin der Picadelly Boys,
Carola Schramm, 1933

Auch die Mädchen standen den Jungen in nichts nach. Sie trotzten dem Ideal der deutschen Frau durch ein betont feminines und modebewusstes Äußeres. Doch war ihr Kleidungsstil nicht so ritualisiert wie der der Swing Boys. Man trug kurze Röcke, Seidenstrümpfe und Blusen oder auch zweireihige Anzüge aus grauem Flanell. Ihre Hüte hatten glatte, runde Krempen. Die Polizei und die Gestapo nannten die Mädchen „Hosenweiber“. Das Haar musste lang und glänzend sein; mit Zöpfen und typisch deutschen Haarrollen hatten Swing Babys nichts am Hut. Lippenstift und lackierte Fingernägel gehörten ebenso zum „In-Sein“ („Eine deutsche Frau schminkt sich nicht!“).

Die Swing Boys trugen ihre Haare ebenfalls lang, dies gab es nicht erst seit Beatles-Zeiten. Man(n) trug sie bis in den Nacken, möglichst (vermessene) 30 Zentimeter lang und nannte sie „Entenschwanz“. Günther Lust erzählt: „Man machte auch noch Zuckerwasser rein, so dass das Haar hinten wie beim Torero aussah. Das war eine Sache, die allgemein...