Alles Tofu, oder was? - (K)ein Koch-Roman

von: Ellen Berg

Aufbau Verlag, 2015

ISBN: 9783841209016 , 304 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

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Alles Tofu, oder was? - (K)ein Koch-Roman


 

1


»Interessant«, sagte Paul. »Und wo ist das Essen?«

»Wie jetzt – Essen?«, fragte Dana.

»Na, was da auf dem Tisch steht, ist eindeutig nicht zum Verzehr geeignet. Sieht aus wie überfahrene Schnecken und riecht irgendwie komisch. Nach Altersheim, würde ich sagen. Und nach alten Socken.«

Das war ja wohl die Höhe! Danas Blick wanderte von den Schüsseln mit Süßkartoffelmus, Quinoaauflauf, Bulgursalat und Tofu-Algen-Ragout zu Paul, dem Mann ihres Herzens. Ein Hüne mit breitem Kreuz, meergrünen Augen und diesem süßen Hallodrilächeln, in das sie sich damals auf der Stelle verliebt hatte.

Doch sein Lächeln war verschwunden. Eigentlich schon länger. Missmutig spielte er mit seinem Besteck herum.

»Paul«, sie sprach so sanft wie möglich, »könntest du bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir neuerdings vegan leben?«

»Wir? Du bist hier die Vegahnsinnige«, brummte er. »Ich bin ein Mann, ich brauche Fleisch.«

»Sogar Albert Einstein war Vegetarier.«

»Na toll. Ich will aber keinen Nobelpreis, ich will ein Steak.«

Liebe geht durch den Magen? Von wegen, dachte Dana. Liebe schlägt auf den Magen, das traf es wohl eher.

Sie schluckte. Dieser Tag würde leider nicht als Sieg der Vernunft in die Geschichte eingehen. Als Erstes war ihr Plan gescheitert, Emma, ihre zickige Dackeldame, auf den veganen Kurs zu bringen. Die Hündin hatte das absurd teure Trockenlinsenbiofutter verschmäht und kläffte seit Stunden den Kühlschrank an, als lägen Rinderknochen und Pansen darin. Ebenso wenig war Danas Versuch gelungen, ihre fünfjährige Tochter Leonie für vegane Gaumenfreuden zu erwärmen – wovon einige hässliche Spritzer Bärlauchsuppe an den Wänden der Küche zeugten. Und nun bockte auch noch Paul.

»Es ist einfach verantwortungsvoller, auf Fleisch und andere tierische Produkte zu verzichten«, dozierte sie geduldig.

»Ja, für müffelnde Müslitanten vielleicht. Aber ein echter Kerl wird tierisch sauer, wenn er kein Fleisch kriegt.«

Dana tat so, als hätte sie die müffelnden Müslitanten überhört. Sie lud sich eine Portion Süßkartoffelmus auf den Teller, nahm einen Happen und schloss genießerisch die Augen.

»Mmh, lecker. Probier doch wenigstens mal.«

Schweigend griff Paul zu seinem Glas Rotwein und leerte es auf einen Zug. Dann schob er seinen leeren Teller von sich und verschränkte die Arme.

»Eher friert die Hölle zu, als dass ich diesen Irrsinn mitmache. Von mir aus kannst du essen, was du willst, vegetarisch, vegan, makrobiotisch, vollidiotisch. Aber nicht mit mir. Kapiert? Oder soll ich es dir eintuppern?«

»Es geht mir doch nicht nur um unseren blauen Planeten«, erklärte Dana. »Es geht mir auch um deine Gesundheit.«

Paul zog eine Grimasse.

»Und du gehst mir langsam total auf den Senkel mit deinem Ökofimmel!«

Jetzt war die Stimmung endgültig im Eimer. So ein Mist. Dabei sollte dieses Kerzenschein-Dinner ganz unauffällig auf ein Happy End zusteuern. Es war ihr zweiter Jahrestag, und Dana hatte das gemeinsame Festmahl äußerst liebevoll inszeniert – weiße Spitzentischdecke mit verstreuten roten Rosenblättern, rote Duftkerzen, aus der Musikanlage erklang die seidenweiche Stimme von Michael Bublé. Alles in allem Romantik pur, wenn man mal von Emmas Gekläffe absah.

Und jetzt? Dana musterte Pauls finsteres Gesicht. Seit fast zwei Jahren wohnte er bei ihr, ohne jemals durchblicken zu lassen, dass er mehr im Sinn hatte als eine unverbindliche Lebensgemeinschaft mit gewissen Vorzügen. Allmählich war eine klare Ansage fällig. Fand Dana jedenfalls.

Doch Paul sah nicht so aus, als ob er die Hochzeitsglocken läuten hörte. Eher Alarmsirenen. Argwöhnisch schaute er zu, wie Dana zur Abwechslung einen Löffel Tofu-Algen-Ragout verdrückte.

»Pass auf, Schnuckelhase …«

Sie hörte auf zu kauen. Ihre Nackenhaare stellten sich senkrecht. Immer, wenn Paul »Schnuckelhase« sagte, kam garantiert was Dussliges.

»… du wirkst ziemlich verspannt in letzter Zeit«, er verdrehte die Augen, »spaßbefreit, um genau zu sein. Und jetzt willst du mir auch noch diesen veganen Quatsch reindrücken. Das kannst du dir von der Backe putzen. So läuft das nicht.«

Also wirklich. Dana warf ihre Serviette aufs Tischtuch.

»Wie läuft es denn überhaupt? Mit mir – mit uns? Und wie geht es weiter?«

Paul blinzelte sie irritiert an.

»Mit uns? Wieso? Alles easy, würde ich sagen.«

»Easy, ha! Du machst es dir wirklich ein bisschen zu einfach. Wir sind seit genau zwei Jahren zusammen. Findest du nicht, dass du mal Klartext reden solltest?«

Seine Augen weiteten sich erschrocken.

»Klartext?«

»Ja, so was wie: Dana, vielen lieben Dank für zwei wunderbare Jahre, du bist die Frau fürs Leben, hier ist der Ring, wir heiraten.«

Uff. Jetzt war es heraus. Nicht gerade romantisch, diese Ansage. Aber Dana wollte nicht länger warten, bis Paul, die Begriffsstutzigkeit in Person, endlich von selbst darauf kam, wonach sie sich sehnte: nach einem verlässlichen Partner, einer starken Schulter, einem Fels in der Brandung. Sie war fünfunddreißig. Da brauchte man keinen Mann, der nur spielen wollte.

Entgeistert starrte er sie an.

»Hä?«

Dana kniff die Augenbrauen zusammen.

»Welchen Teil hast du nicht verstanden? Den mit dem Ring oder den mit dem Heiraten?«

Plötzlich sah er aus, als hätte sie ihm frittierte Disteln serviert. Er sprang auf, wobei sein leeres Weinglas umfiel.

»Hast du noch alle Blätter am Baum? Ich hab mir echt eine Menge von dir gefallen lassen. Deine Vorträge über den Klimawandel, mit denen du mich ins Koma laberst. Deinen Müsliterror, deine Schafwollsocken im Bett, deine naturbelassenen Bekannten. Sogar den Sex nach Mondkalender! Und jetzt willst du mich auch noch vors Standesamt schleppen? Am besten in Gesundheitslatschen, oder wie?«

Dana war so überrumpelt von seinem Wutausbruch, dass sie keinen Ton herausbrachte. Das also war der Dank dafür, dass sie ihn seit zwei Jahren nach Strich und Faden verwöhnte, obwohl sie sich noch dazu um ihr vaterloses Kind kümmern musste und hart um ihre Existenz kämpfte. Liebte er sie denn nicht? So, wie sie nun einmal war – umweltbewusst, ernährungsbewusst, verantwortungsbewusst?

Schon immer hatte Dana Wert auf gesunde Ernährung gelegt. Ein halbes Jahr zuvor war jedoch etwas geschehen, was ihr Leben verändert hatte: Befreundete Tierschützer hatten sie heimlich in eine Hühnermastanstalt eingeschleust. Der Anblick der Hühner, die apathisch in einer riesigen Halle herumlagen, vollgepumpt mit Medikamenten und bewegungsunfähig wegen ihrer künstlich angemästeten Brust, war ein Schock gewesen – kein Fleisch mehr!

Die Information, dass in den Legebatterien jährlich fünfzig Millionen männliche Küken geschreddert wurden, weil sie naturgemäß keine Eier legen würden, hatte Dana dann auch jeglichen Appetit aufs Frühstücksei genommen. Den von den Tierschützern empfohlenen Besuch eines Schlachthauses hatte sie dankend abgelehnt – im Internet kursierten genügend grässliche Videos, die von den Höllenqualen der Tiere zeugten.

Alles in allem war Dana zu der Überzeugung gelangt, dass sie sich nicht mehr zum Komplizen einer lebensverachtenden Industrie machen durfte. Deshalb war sie Vegetarierin geworden, und seit drei Monaten lebte sie konsequent vegan: kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier, keine Milch, kein Leder, keine Gelatine – die Liste wurde immer länger. Nun hielt sie den Zeitpunkt für gekommen, ihre Überzeugungen auch in den eigenen vier Wänden durchzusetzen. Dass dies ein zäher Kampf werden würde, war ihr klar gewesen. Doch dass sich daraus so etwas wie ein häuslicher Krieg entwickeln würde, hatte sie nicht vorhergesehen.

Das Kläffen von Emma steigerte sich zu einem erbarmungswürdigen Jaulen. Als wäre das nicht genug, kam nun auch noch Leonie hereingetapst, barfuß, in ihrem rosa Lieblingsnachthemd mit den putzigen kleinen Bärchen.

»Mami, ich hab sooo ’n Hunger.« Schmollend krabbelte sie auf Danas Schoß. »Warum kriege ich denn kein Würstchen? Und warum hast du die Fischstäbchen weggeschmissen?«

»Weil deine Mami komplett austickt!«, rief Paul. »Weil sie von einer Klassefrau zur Ökoschlampe mutiert ist!«

Ökoschlampe. Das saß. So sah er sie also?

Dana war fassungslos. Nicht zuletzt, weil solche Bemerkungen in Gegenwart ihrer Tochter weder besonders sensibel noch pädagogisch wertvoll waren. Ein Psychodiplom hatte dieser Mann wahrlich nicht verdient. Sie funkelte ihn zornig an.

»Paul!«

»Mami, was ist Ökopampe?«, fragte Leonie.

»Das da«, knurrte Paul und zeigte auf die Schüsseln. »Herrgott, das sieht doch aus, als hätte das jemand schon gegessen und wieder ausge…«

»Schluss jetzt!«, schrie Dana. »Dann marschier eben in die nächste Frittenbude und zieh dir den ungesunden Fraß rein, bis deine Cholesterinwerte explodieren! Mir doch egal! Aber erwarte bitte nicht, dass ich auf deiner Beerdigung heule. Kannst schon mal deinen Grabstein bestellen – hier ruht Paul Wegmann, Opfer seiner grausigen Ernährungsgewohnheiten.«

Sie schlang ihre Arme um Leonie, hob sie hoch und rauschte mit ihr ins Kinderzimmer. Während sie die Kleine ins Bett legte, hörte sie, wie die Wohnungstür krachend ins Schloss fiel. Das war’s dann wohl mit den Hochzeitsglocken.

»Mami, muss Paul jetzt sterben?«, erkundigte sich Leonie besorgt.

»Natürlich nicht.«

»Kommt er wieder?«

Gute Frage. Dana presste die Lippen aufeinander. Auch sie hatte sich eine Menge gefallen lassen, wenn sie es...