Stoppelland - Ein Fall für Kommissar Klaus Kattenstroht

von: Hans-Peter Boer

Landwirtschaftsverlag, 2013

ISBN: 9783784390529 , 184 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Stoppelland - Ein Fall für Kommissar Klaus Kattenstroht


 

Nach einer knappen Stunde und einem Stau auf der Autobahn hatten sie Reckhölter passiert und fuhren nun in die Bauerschaft Handrup. Natürlich hatte die Eilers die Koordinaten des Tatortes, soweit sie ihr inzwischen bekannt waren, in das Navigationssystem eingegeben, wunderte sich aber, dass sich Kattenstroht nicht die Bohne um die Angaben und Aufforderungen des Computers scherte. Er schien den Weg und vor allem die eine oder andere Abkürzung bestens zu kennen.

An der Landstraße registrierten sie schon von weitem die Maßnahmen der Kreispolizei. Die Abzweigung nach Handrup war mit einem Streifenwagen blockiert, und auch das Team aus Münster musste die Dienstausweise zücken, um durchgelassen zu werden. Auf der Höhe, wo knapp anderthalb Stunden zuvor der Reckhölter Postbote noch gemütlich gefrühstückt hatte, hielt Kattenstroht kurz an, um sich in der Landschaft zu orientieren. Beide konnten sie den Tatort sofort eingrenzen: er war weiträumig mit Flatterband abgesperrt. Mehrere Autos, Bullis, Kombis und Limousinen, dienstlich oder zivil, parkten die schmale Straße fast zu. Unten im Tal konnte man einen weiteren Streifenwagen der Schutzpolizei ausmachen. Er stand quer auf der Brücke vor einem Bauernhof und versperrte so die Zufahrt aus nördlicher Richtung.

An den Flatterbändern, die fast hundert Meter vom Fundort entfernt zwischen der Wallhecke auf der einen und Zäunen auf der anderen Seite aufgespannt waren, standen viele Menschen, die – auf welchem Wege auch immer – die beiden Sperren an der Landstraße und der Brücke überwunden hatten.

„Ich habe mich immer gefragt, wie sich in den Bauerschaften Nachrichten so schnell herumsprechen können“, kommentierte Kattenstroht. „Und das funktionierte auch schon zu Zeiten, als es noch kein Telefon und erst recht kein Handy gab!“ Fast amüsiert ließ er den Wagen den Hang hinunterrollen: „Die Schneemänner waren ja wirklich fix, schneller als ich auf meinen Abkürzungen. Seien Sie mal ehrlich, Frau Eilers, sieht das nicht albern aus mit diesen weißen Overalls? Und alles wegen der Faserspuren.“ Kathrin Eilers wandte ein, die Herren der Spurensicherung könnten sich ja sonst ihre normale Kleidung verschmutzen, und dann hätten wieder nur die Frauen den Ärger mit der Wascherei: „Ich habe in unserer Behörde noch keinen Mann kennen gelernt, der Feinwäsche von normaler und 30-Grad-Wäsche von Kochwäsche unterscheiden kann!“, meinte sie.

Kattenstroht entgegnete etwas knapp: „Sie sind ja auch noch nicht so lange dabei!“, und wäre gerne in eine Diskussion eingestiegen, schon allein um seine Kompetenz auch auf diesem Gebiet unter Beweis zu stellen. Er beschloss aber, diesen Part aufzuschieben, und parkte stattdessen das Auto in der Reihe der Dienstwagen ein.

Sie stiegen aus. Kattenstroht stellte seine junge Assistentin dem Kollegen Schücking von der Kreispolizei vor und ließ sich dann über die ersten Erkenntnisse informieren. Schücking führte die beiden Münsteraner Beamten bis auf einige Meter an den Mini heran, um den sich die „Schneemänner“ gerade intensiv kümmerten.

„Das Opfer ist eine junge Frau“, berichtete Schücking. „Barbarischer Zustand, sollten Sie sich vielleicht besser ersparen, Frau Eilers. An der rechten Seite des Wagens ist die Seitenscheibe heruntergedreht. Der Täter hat ihr offensichtlich eine Schrotladung direkt ins Gesicht geschossen; ein oder zwei Schüsse, mindestens. Das muss die Gerichtsmedizin noch klären. Vielleicht noch eine Kugel hinterher. Sieht ganz nach einem Jagdgewehr aus. Dann hat der Täter die Leiche über den Beifahrersitz zu schieben versucht, hat die Gangschaltung auf Leerlauf gestellt und den Wagen hier die Feldauffahrt herunter – in den Graben rollen lassen. Sollte wohl nicht so früh entdeckt werden.“

Kattenstroht guckte kritisch, während Kathrin Eilers sich doch dem Wagen näherte. „Herangehen können Sie ja!“, rief Schücking ihr nach. „Die Bodenspuren sind eh schon gesichert!“ Und zu Kattenstroht, der gerade einen nachdenklichen Blick auf das Stoppelland mit seinen Maisstrünken, dann auf seine verschmierten Schuhe und seine zumindest gefährdete Hose warf, sagte er: „Da hat der Täter anscheinend Glück gehabt. Heute Nacht war hier ein toller Regensturm. Der hat alle Spuren verwischt. Die einzigen Fußspuren, die wir feststellen konnten, stammen von dem Postboten da hinten. Er hat den Wagen gefunden und die erste Meldung gemacht.“

„Und was sagt der Doktor?“, fragte Hauptkommissar Kattenstroht.

„Der ist drüben an seinem Wagen schon beim Protokoll. Nach Temperatur und Zustand der Leiche tippt er auf etwa ein Uhr heute Morgen. Mehr kann er aber nicht sagen. Wir haben die Position der Leiche unverändert gelassen. Den Rest muss Münster machen. Der Transport ist schon organisiert.“

„Und die Spurensicherung?“ Kattenstroht versuchte, mit seiner linken Schuhspitze Lehm von der Innenseite seines rechten Schuhs zu kratzen.

„Die haben erst mal Fotos gemacht und sichern jetzt die weiteren Spuren. Sobald wir die Frau draußen und wegtransportiert haben, geht der Wagen auch zu euch nach Münster auf den Hof. Wir haben im Übrigen noch gar nicht feststellen können, was sich sonst noch im Wagen befindet. Ist ja nur ein Zweitürer.“

„So ein schöner Morgen“, seufzte der Hauptkommissar und betrachtete die nähere Umgebung. Plötzlich stutzte er. Auf der Höhe des abgeernteten Maisfeldes näherte sich ein Mann mit schnellen Schritten auf den Tatort zu. Im Gegenlicht der Sonne war er fast nur als Silhouette zu erkennen. „Sehen Sie, Frau Eilers“, sagte Kattenstroht, „ was ich Ihnen sagte: Nachrichten sprechen sich auf dem Lande schnell herum und finden immer ihren Weg.“ Und zu Schücking: „Schicken Sie mal einen Schupo hoch, dass der den Mann vom Tatort fern hält.“

Kattenstroht und Schücking kümmerten sich anschließend gemeinsam um den Landzusteller, wie der Hauptkommissar Bernd Schwertfeger richtig titulierte. Der berichtete ziemlich ausführlich und hastig von seinem schrecklichen Fund und hörte gerne, dass ihm die beiden Kriminalbeamten bescheinigten, er habe sich völlig richtig verhalten.

Während Schücking sich noch einige Notizen machte, bemerkte Kattenstroht aus den Augenwinkeln, dass auf der Höhe des Feldraines der zuletzt eingetroffene Mann in eine heftige Diskussion mit einem Polizisten verwickelt war, der ihm entschieden den Weg versperrte. Etwas schien dem Hauptkommissar aus Münster auffällig zu sein. Er beobachtete die Szene, die Diskussion, die heftiger werdenden Gesten und registrierte schließlich, dass der Mann sich abrupt umdrehte und langsam auf dem Weg, den er gekommen war, wieder über die Hügelkuppe verschwand.

„Noch so ein Sensationslustiger!“, meinte Kathrin Eilers, die sich inzwischen bleich, aber gefasst wieder der Gruppe angeschlossen hatte.

„Lassen Sie den jungen Kollegen gleich mal zu mir kommen“, bat Kattenstroht und wandte sich seiner Assistentin zu: „Na, war’s schlimm?“

Kathrin Eilers nickte. „Ja, sicher. Die Frau scheint nur unwesentlich älter gewesen zu sein als ich. Da kommt man schon ins Grübeln!“

Sie kam aber nicht dazu, laut über das Leben und den Tod nachzudenken, denn mit getragener Stimme deklamierte Kattenstroht mit ironischem Unterton: „Und es erscheinen Ihro Gnaden, der Herr Staatsanwalt aus der Provinzialhauptstadt! Da haben wir aber Glück, dass du das Kapitaldezernat verwalten darfst!“

Der so Angesprochene kam in eleganten, feinen Schuhen vorsichtig über den feuchten, aufgewühlten Acker. Eine mittelgroße, etwas untersetzte Erscheinung im dunklen Anzug, mit Rollkragenpullover und beigem Trenchcoat darüber. Aus einem rundlichen, aber dennoch markanten Gesicht mit gepflegtem Dreitagebart unter kurzem Stoppelhaarschnitt blitzten zwei ungemein wache Augen durch eine moderne Designerbrille in edlem italienischen Schwarz: „Na, Klaus, was hast du denn hier wieder angerichtet? Typisch, Theater auf dem Lande!“ Dann ein kurzer, prüfender Blick mit einem durchaus herzlichen Lächeln auf Kathrin Eilers. „Dann mach mich mal bitte bekannt!“, forderte der Staatsanwalt Kattenstroht auf.

„Nun, Herr Staatsanwalt Jochen Stellmacher, ich darf dir meine neue Assistentin vorstellen, Frau Kathrin Eilers, seit kurzem in unserer Behörde!“

Kathrin Eilers wunderte sich ein wenig über den ersten Beamten in diesen drei Wochen, mit dem sich Kattenstroht offensichtlich duzte, tauschte aber gerne einen kräftigen Händedruck mit dem Staatsanwalt, der sich dann an Schücking wandte, ihn ebenso freundlich begrüßte und erst einmal einen Blick auf das Auto werfen wollte. Die beiden zogen ab.

„Wir haben wirklich Glück, dass Stellmacher den Kap-Dezernenten macht!“ Und auf Kathrin Eilers’ kritische Frage, was das denn für eine Figur sei, ergänzte Kattenstroht: „Einer der fähigsten Juristen, die ich kenne, und darüber hinaus sehr kooperativ. Das werden Sie in der nächsten Zeit schon sehen. Außerdem ist er ein alter Freund von mir. Wir spielen manchmal zusammen Boule, wenn uns die Arbeit dazu noch Zeit lässt!“

„Aber“, beendete ihr Chef das Intermezzo, „Arbeit lenkt auch ab. Konzentrieren wir uns auf den Fall und kümmern wir uns dabei zuerst um die Identifizierung des Opfers!“

Schon reichte Schücking einen Notizzettel herüber und sagte etwas von Halterfeststellung. Aber man wisse noch nicht, ob die dabei genannte Sandra Keiten aus Recklinghausen auch das Opfer sei. Vielleicht finde man ja im Wagen noch die Papiere des Opfers.

Da mischte sich der Postbote wieder ein, der in den letzten Minuten etwas abseits...