Herztod - Thriller

von: Katharina Peters

Aufbau Verlag, 2013

ISBN: 9783841206725 , 288 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

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Herztod - Thriller


 

2


Er schloss die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich ab, obwohl er allein im Haus war und in den nächsten Stunden weder seine Frau noch Tochter zurückerwartete. Der Stick hatte in der Post gelegen – in einer unschuldig anmutenden Werbebroschüre, die an ihn persönlich adressiert war, genau wie beim ersten Mal. Oliver fuhr seinen Laptop hoch und steckte den USB-Stick ein. Er benötigte drei Versuche, weil seine Hände unkontrolliert zitterten. Auch das Prozedere war identisch – der Zugriff auf die Daten war erst möglich, als er das Passwort eingegeben hatte, auf das er von einem anonymen Anrufer wenige Minuten zuvor mit blechener Stimme hingewiesen worden war. »Den Namen deiner Liebsten und das aktuelle Datum.«

Oliver öffnete die erste der drei Videodateien. Sein Herz schlug mit scharfer Wucht gegen die Rippen, und er presste die Hände vor den Mund, während die erste Szene aufflackerte: Wieder saß sie auf einem hohen Lehnstuhl und war von drei vermummten, schwarz gekleideten Männern umgeben. Diesmal hielt ihr niemand eine Pistole an den Kopf. Sie war zwar blass, aber ihr Gesicht wies keine Blutflecken auf. Oliver atmete laut aus. Einer der drei Männer löste sich nach wenigen Augenblicken aus der Gruppe und trat näher an die Kamera. Durch zwei schmale Schlitze schien er Oliver direkt anzusehen. Er nickte langsam und hob eine Hand, Daumen und Zeigefinger bildeten einen Ring, den er mit entschlossener Geste hochhielt. Gut gemacht, sollte das wohl bedeuten. Wieder ein Nicken. Alles ist in Ordnung, übersetzte Oliver, und Erleichterung durchflutete ihn für einen langen köstlichen Augenblick.

Der Vermummte bückte sich, hob einen Zettel auf und hielt ihn Oliver entgegen: »Kein Wort zu niemandem. Zerstör den Stick und alle Spuren. Du hörst wieder von uns. Bete für das Kind, dann betest du auch für sie.«

Ein letzter Schwenk erfasste Caroline, die mit unbewegter Miene in die Kamera starrte. Dann wurde das Bild schwarz.

Die beiden anderen Videodateien enthielten trügerisch harmlose Szenen: Olivers Frau Marie auf dem Weg in die Uni, während einer Vorlesung, in der Cafeteria, Töchterchen Amelie auf dem Spielplatz inmitten ihrer Kindergartengruppe, beim Eisessen, während einer Hafenrundfahrt anlässlich einer Geburtstagsfeier – fröhliches Kindergeschrei, im Hintergrund die Köhlbrandbrücke. Und er selbst beim Joggen im Kollegenkreis am Elbufer in Blankenese.

Oliver spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. »Scheiße«, murmelte er leise. »Scheiße.« Mit fahrigen Händen löschte er die Dateien vom Laptop, den Speicherstick stopfte er später zwischen Kaffeefilter und Essensresten in den Müll. Bis Marie und Amelie nach Hause kamen, blieben ihm einige Stunden – Zeit, die Fassung wiederzugewinnen, Zeit zum Beten.

Carolines Kollegin in der ärztlichen Zentralbibliothek am Universitätsklinikum Eppendorf hieß Annette Pape und war am Telefon sofort bereit gewesen, sich Zeit für ein Gespräch mit Hannah zu nehmen. In der Akte wurde darauf hingewiesen, dass Frau Pape auskunftsfreudig war und mehr zu Caroline zu sagen wusste als andere Mitarbeiter.

Nach einer längeren Mittagspause, die Hannah genutzt hatte, um sich mit einem Imbiss zu versorgen und bei einem Alsterspaziergang die Füße zu vertreten, was Kotti sehr gefreut hatte, war sie in die Klinik gefahren und wartete nun im vierten Stock der Bibliothek in einem der Gruppenarbeitsräume auf die Bibliothekarin. Den Hund hatte sie im Auto zurücklassen müssen – wegen der Wärme mit heruntergelassenen Fensterscheiben. Sie hoffte, dass niemand auf die Idee kam, den zierlichen Kotti mit den sanften Augen zu unterschätzen. Ihr Gefährte konnte sich, wenn es sein musste, innerhalb von Sekundenbruchteilen in eine zähnefletschende Furie verwandeln – zum Beispiel, wenn sich ein Unbefugter Zugang zum Wagen verschaffen wollte. In Berlin war das bereits einige Male passiert.

Hannah blickte hoch, als sich die Tür öffnete. Eine höchstens eins fünfzig große und schwer übergewichtige Frau um die dreißig betrat den Raum mit angesichts ihrer Proportionen auffallend schwungvollen Schritten. Sie balancierte ein Tablett mit zwei Tassen und lächelte Hannah entgegen. »Ich war so frei, Ihnen einen Kaffee mitzubringen, mit geschäumter Milch«, verkündete sie. »Sie mögen doch hoffentlich Kaffee? Oder doch lieber Tee? Ach je, ich hätte wohl besser fragen sollen, bevor ich eigenmächtig eine Wahl treffe und Sie damit nun vielleicht in Verlegenheit bringe, aber …«

»Nein, nein, das ist schon in Ordnung«, entgegnete Hannah. Ihr schwante, was der Kollege mit auskunftsfreudig gemeint haben könnte. Annette Pape war klein, drall und rothaarig; ihre Stimme verfügte über eine beachtliche Klangfülle, und sie redete nicht nur gerne, sondern auch laut, hatte aber Mühe, den direkten Blickkontakt länger als einige Sekunden zu halten. Ihre Augen huschten durch den Raum, als säße sie zum ersten Mal hier und befürchtete, ihr könnte irgendein Detail entgehen. In den ersten Minuten war es kaum nötig, ihr Fragen zu stellen. Die Bibliothekarin berichtete in ausschweifender Weise, wie entsetzt sie über Carolines Verschwinden sei und wie sehr sie die sympathische Kollegin schätze. »Wir hätten gar nichts davon mitbekommen, wenn die Polizei letzte Woche nicht hier gewesen wäre«, fügte sie atemlos hinzu. »Caroline hatte ja Urlaub, hat sie immer noch, um genau zu sein, wobei …«

»Ab wann genau?«, unterbrach Hannah sie beherzt, obwohl sie das Datum kannte. Sie mochte impulsive, temperamentvolle Menschen, die aus dem Stand jede Gelegenheit zu nutzen verstanden, eine Bühne für sich zu schaffen und auch zu füllen. Achim konnte das sehr gut, und auch Ben gehörte nicht zu den stillen, nachdenklichen Typen, und die beiden zusammen konnten mühelos eine ganze Gesellschaft unterhalten. Aber Annette Pape strahlte eine derart ansteckende Unruhe und Hektik aus, dass Hannah Mühe hatte, auf professionelle Weise distanziert zu bleiben.

»Die Woche, an deren Ende sie verschwand, war ihre erste Urlaubswoche – sie hatte insgesamt drei Wochen eingereicht und auch genehmigt bekommen. Wissen Sie, das klappt nicht immer, schließlich wollen alle Angestellten im Sommer verreisen, am liebsten länger, was sind schon vierzehn Tage Urlaub? Aber …«

»Haben Sie privaten Kontakt zu Caroline?«

»Ab und zu, könnte man sagen.«

»Könnten Sie konkreter werden?«

Annette Pape nickte und sah auf ihre Hände. »Hin und wieder sind wir mal zusammen einen Kaffee trinken gegangen, auch nach Feierabend. Caroline war … ist nicht so, meine ich.«

»Wie ist sie denn?«, fragte Hannah nach. Dass sich ausgerechnet die einsilbige, introvertierte und zugleich selbstbewusst auftretende Caroline freiwillig Annettes schwallartigen Monologen aussetzte, war schwer vorstellbar.

»Freundlich, hilfsbereit und aufmerksam, aber reserviert, und sie kann gut zuhören.«

Hannah räusperte sich. »Hat sie einen Freund?«

Annette Pape schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, obwohl … Manchmal hat sie sich kurz vor dem Feierabend noch mal frisch gemacht – Make-up erneuert, Parfum aufgelegt, das riecht man ja gleich, und so weiter. Das wirkte, als sei sie verabredet gewesen.«

Ich glaube, dass sie einen Liebhaber hat, und zwar einen, mit dem es vielleicht nicht ganz so toll läuft – das ist nur ein Gefühl, eine Ahnung. Erzählt hat sie nichts, doch immerhin nimmt sie die Pille, rief Hannah sich die Bemerkung der Schwester in Erinnerung. »Haben Sie nie nachgefragt?«

Annette runzelte die Stirn. »Ich habe mal eine Andeutung gemacht, sollte lustig sein, aber Caroline ging nicht darauf ein – wie gesagt, sie war … sie ist sehr reserviert, was Privates angeht.«

»Caroline reist gerne«, gab Hannah das nächste Stichwort.

»Und ob! Skandinavien mag sie besonders, aber ich glaube, sie war auch schon in Übersee.« Wieder dieses eifrige Nicken. Bevor sie im Einzelnen aufzuzählen begann, wofür Caroline sich auf ihren Reisen ihrer Ansicht nach besonders begeisterte, ließ Hannah den Blick durch den Raum schweifen, an dessen Wänden Luftbildaufnahmen der Klinik hingen, und wechselte das Thema. »Sie will hier Karriere machen, oder?«

Annette lächelte und lehnte sich zurück. Sie faltete die Hände über dem Bauch. »Sie ist ziemlich gut und hat ein Händchen fürs wissenschaftliche Arbeiten. Gut möglich, dass sie bald befördert wird.« Sie zögerte. »In den ersten Monaten hatte ich den Eindruck, dass ihr das elementar wichtig ist – so schnell wie möglich voranzukommen, meine ich. Neuerdings lässt sie es jedoch ruhiger angehen und legt deutlich mehr Wert auf ihre Freizeit.«

»Können Sie diese Veränderung zeitlich eingrenzen?«

Annette nahm ihre Kaffeetasse und drehte sie zwischen ihren auffallend kleinen Händen. Die Fingernägel waren abgekaut. »Vielleicht seit Anfang des Jahres? Ungefähr … Aber bitte zitieren Sie mich nicht. Es ist mehr ein Gefühl.«

Ich werde dich bis zum Ende meines Lebens zitieren können, ob ich will oder nicht, dachte Hannah. Als sie sich wenige Minuten später von ihrer Gesprächspartnerin verabschiedete, wirkte die regelrecht enttäuscht. Ohne Zweifel hätte sie ihre Unterredung gut und gerne um eine Stunde oder auch zwei verlängert. Ihre Miene hellte sich aber wieder auf, als die Kommissarin ihr eine Visitenkarte überreichte und sie bat, sich zu melden, falls ihr noch etwas einfiele. Hannah hätte eine Wette darauf abgeschlossen, dass sie darauf nicht lange würde warten müssen.

Die Unterhaltungen mit zwei anderen Kollegen, die Annette Pape ihr vorstellte,...