Muj und der Herzerlfresser von Kindberg - Ein Südbahn-Krimi

von: Christoph Wagner

Haymon, 2013

ISBN: 9783709974551 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Muj und der Herzerlfresser von Kindberg - Ein Südbahn-Krimi


 

Morgenzug


Prinz Eisenherz lenkte seinen Peugeot zur Seite, als er in der Morgensonne das glitzernde Bündel sah, das am Eingang zum Hohlweg hinauf auf den Töllmarkogel lag. Aus den zwei Dutzend wie Riesenkürbisse übereinander gestapelten Plastikballons, die das eingeschweißte Heu der vergangenen Ernte umschlossen, duftete es nach verklingendem Sommer. Doch das Bündel, das zwischen den blausilbrig schimmernden Ballen hervorlugte, wirkte wie ein beunruhigender Fremdkörper.

Als Eisenherz ein paar Meter in die vom Morgentau noch tropfnasse Wiese hineingestapft war, sah er, dass sein Instinkt ihn nicht getrogen hatte. Zwischen den Ballen eingeklemmt war ein in eine Nylonhülle eingeschlagenes Bündel, durch das etwas schimmerte, das nach Haut und menschlichen Gliedmaßen aussah. In dem mit einem Kabel abgebundenen vorderen Teil des Pakets hatte sich roter Saft angesammelt, ähnlich wie in den durchsichtigen Säckchen, in denen man zu kurz abgehangene Steaks aus der Fleischhauerei nach Hause trägt.

Eisenherz rief die Polizei und sah sich, während er auf ihr Eintreffen wartete, den Tatort genauer an. Als Taxifahrer war er schon hunderte Male an dieser Stelle vorbeigefahren, und als Jogger, wenn er mit Splinta, seiner kleinen pechschwarzen Wölfin, auf den Töllmarkogel hinauflief, war ihm der steile Hohlweg bestens bekannt.

Eisenherz berührte mit den Fingerspitzen ein paar Dutzend pralle Springkräuter am Wegesrand, von denen einige auch prompt explosionsartig aufplatzten und ihren Samen verschwenderisch ins umliegende Grün verspritzten.

Es dauerte eine Weile, bis die beiden Wachposten vom Kindberger Revier ankamen. Eisenherz kannte sie beide. Andi Dittelbacher war lang, pockennarbig und blass, Charly Pichler kurz, rund und rotnasig. Beide wirkten müde und hatten schwarze Ringe unter den Augen, trüb wie die Morgennebel, die über den Wipfeln aufstiegen, wo einsam ein Lämmergeier kreiste.

„Nur eine halbe Stunde später, und du hättest unsere Ablöse erwischt“, sagte der Lange vorwurfsvoll. „Zwei ausgeschlafene Burschen, die sicher hochmotiviert wären.“

„Eigentlich sollte ich schon im Bett liegen, und jetzt hole ich mir im Gras nasse Füße“, murrte der Pausbäckige.

„Meine Schicht ist auch gleich zu Ende“, sagte Prinz Eisenherz. „Bei mir wird’s allmählich Zeit fürs Frühstücksbier. Aber wollt ihr nicht wenigstens einmal reinschauen, was in dem Päckchen drin ist?“

„Nichts, was einem Appetit auf Frühstück machen könnte, fürchte ich.“

„Manderl oder Weiberl?“, fragte Eisenherz.

„Weißt du doch sicher schon längst.“

„Warum sollte ich euch die Arbeit abnehmen? Ich hab den Sack nicht einmal berührt.“

„Würden wir dir auch nicht geraten haben. Spurensicherung ist unsere Sache, auch wenn wir noch so geschafft sind.“ Mit diesen Worten band Charly Pichler
das bunte Kabel auf. Er warf einen schnellen Blick in den Sack und wandte sich angeekelt ab, während Andi Dittelbacher die Plastikhülle von der Leiche streifte.

„Muj mag so was“, feixte Charly.

„Was soll er dran mögen?“

„Das Knifflige.“

„Und was bitte soll an dieser hässlichen Leiche knifflig sein? Sieht doch ganz einfach nach Mord aus.“

„Schau einmal genau hin. Es fehlt was.“

„Was soll denn ...?“ Prinz Eisenherz starrte in ein Loch, das mitten im Brustkorb klaffte. Wer immer den Toten auf dem Gewissen hatte, hatte das Loch fein säuberlich ausgefräst und danach ausgeweidet. Das Herz war weg.

„Einer von uns sollte Muj anrufen“, sagte der kurze Charly.

„Der möchte ich nicht sein. Ruf du an.“

„Ihr habt ja ganz schön Schiss vor eurem Chef“, sagte Eisenherz und ertappte sich dabei, wie er in Anwesenheit eines Toten pietätlos auflachte. „Aber wenn ihr wollt, dann ruf ich ihn an.“

„Das würdest du für uns tun?“, flötete der lange Andi. „Da hast du zweimal Augenzudrücken gut.“

Eisenherz tat zunächst so, als hätte er diese Anspielung auf seinen Fahrstil nicht verstanden, antwortete dann aber: „Dreimal – okay?“

„Wir können’s dir auch fünfmal versprechen“, sagte Charly. „Seit die neue Polizeiverordnung in Kraft ist, dürfen wir in der eigenen Gemeinde sowieso nicht mehr kontrollieren. Das tun irgendwelche Jungspunde aus Kärnten.“

Eisenherz nahm seine Niederlage stumm zur Kenntnis, und der morgendlich-bleiche Andi Dittelbacher besiegelte sie mit einem wissenden Nicken.

***

„Teufelszeug“, sagte der Junge mit dem türkisgrünen Irokesenkamm und dem Messingbeschlag in der Unterlippe, nachdem er die Eingangstür lautstark hinter sich zugeworfen hatte. „Gib mir noch mehr von dem Teufelszeug. Wodka Lemon, meine ich.“

Panther Fürnschitz sah auf die Uhr, und ihm war klar: das war wieder einmal einer jener Tage, an denen er nicht wusste, ob er seine kleine Wirtschaft gegenüber dem Bahnhof gerade auf- oder zugesperrt hatte.

„Nix“, sagte Panther zu dem Jungen, dessen T-Shirt eine zwischen zwei Frauenschenkeln hervorlachende Teufelsfratze zierte, die allerdings eher nach Krampuskränzchen aussah.

„Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich nicht bezahlen kann“, lallte der Junge und schob Panther sein Geldbörsel hin, in dem noch zwei Fünf-Euro-Scheine steckten. „Ich bin gut vorgeglüht“, brachte der kleine Satan noch heraus, bevor er vom Stuhl rutschte und nichts mehr sagte.

Panther kannte seine Komatrinker und er wusste auch, dass ein „vorgeglühter“ kleiner Säufer einer war, der bis dato auf Kosten anderer gesoffen hatte und daher noch liquid war. Dennoch oder gerade deswegen hätte Panther ihm nie und nimmer auch nur einen Tropfen Alkohol verkauft.

Satanas war so schon abgefüllt genug. Schlaff wie ein zerknitterter Bademantel hing er über der Stuhlkante. Panther packte den Knaben und schüttelte ihn so lange durch, bis er nach einiger Zeit zwar windschief, aber immerhin aufrecht stand.

„Bruck oder Mürz?“, fragte Panther seinen kreidebleichen Patienten.

„Was?“

„Du brauchst eine Wangenmassage“, sagte Panther und tätschelte die Backen seines jungen Gastes so lange, bis tatsächlich ein Hauch von Rot in die blutleeren Gefäße schoss.

„Also was ist? – Mürz?“, fragte Panther noch einmal.

„Nein, Bruck.“

„Dann geht dein Zug in zehn Minuten. Hast du eine Fahrkarte?“

„Ich habe einen Ausw... Ich glaube, ich muss spei...“

Eine Fontäne ergoss sich über Panthers Theke, die noch schauriger als nur nach höllischem Pech und Schwefel stank.

Panther hätte gute Lust gehabt, den Jungen einfach vor die Tür zu setzen und seinem Schicksal zu überlassen. Doch er schob ihn behutsam zur Tür hinaus, überquerte mit ihm den Bahnhofsvorplatz und trug ihn mehr, als er ihn schob, durch die Unterführung zum 3er-Bahnsteig, an dem in wenigen Minuten der erste REX in Richtung Friesach halten würde.

Der Transport des Knaben dauerte länger, als Panther gedacht hätte. Als er den Jungen endlich auf dem Bahnsteig wieder zum Stehen gebracht hatte, fuhr der Regionalexpress auch schon ein. Die automatischen Schiebetüren quietschten, und Panther hievte sein Küken mit einem sanften Fußtritt hinein.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte er.

„Clown“, sagte der Junge. „Ich heiße Clown.“

„Ich heiße Panther“, sagte Panther, der eigentlich Peter hieß. „Immer sprungbereit.“

Da knallten die beiden Türen auch schon wieder aufeinander. Und kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt, küsste Clown den Boden und war aus Panthers Gesichtsfeld verschwunden.

Panther ging die Kotze aufwischen und ärgerte sich einmal mehr, dass er kein Haubenkoch in einem feinen Restaurant geworden war, sondern in diesem vergammelten Bahnhofsresti die Stellung halten musste, das er mitsamt der dazugehörigen Wohnung und einem Haufen Hypotheken von seiner Oma geerbt hatte. Aber Haubenköche, dachte er, während er sich wegen des Gestanks die Nase zukniff, hatten vermutlich auch ihre Probleme. Und wer weiß, vielleicht fand auch dort der eine oder andere Gast die Küche zum Kotzen.

***

„Mein König, hier ist dein Prinz“, säuselte Eisenherz mit der Stimme eines Wolfes, der Kreide gefressen hatte, in sein Handy.

„Scheißkönigreich, in dem man den König nicht schlafen lässt“, krächzte Muj zurück und legte wieder auf.

Muj hatte bis zwei Uhr früh Puccinis Bohème mit der göttlichen Anna gehört. Ganz schön spät für jemanden, der um acht mit geputzten Schuhen wieder die Respektsperson geben sollte. Aber wenn er um halb sieben aufstand, kriegte er das, wie er aus Erfahrung wusste, so recht und schlecht hin. Nur: Jetzt war es fünf.

Muj grunzte mürrisch, schlurfte schwankenden Schrittes ins Bad und einigte sich mit sich selbst auf eine „kleine Herrenwäsche“. Da brauchte man nur den Kopf unter den Wasserhahn zu beugen und eiskaltes Wasser drüberlaufen zu lassen, bis einem der Atem stockte. Mit dem Kindberger Wasser ging das. Es war Felsgestein in flüssiger Form und konnte Wunder wirken.

Bevor das Wunder geschah, schrillte das Handy erneut.

Muj besprühte noch einmal seine Schläfen und tätschelte sie mit einem eiskalten Waschlappen ab, bevor er das Gespräch annahm.

„Sei wachsam, mein Prinz!“, schnarrte er ins Telefon.

„Das bin ich, mein König!“

...