Quizknacker - Ein Gewinner zeigt wie's geht

von: Joachim Telgenbüscher

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2010

ISBN: 9783838703015 , 237 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Quizknacker - Ein Gewinner zeigt wie's geht


 

1. Angefixt


Ich kam an einem späten Montagabend zur Welt, kurz nach Sendeschluss. Meine Eltern sorgten sich in dieser Nacht eher um die Nabelschnur, die mir die Luft abklemmte, als um das Fernsehprogramm. Doch selbst wenn sie die Glotze angeschaltet hätten, wäre da wenig gewesen. Außer einem tutenden Testbild lief in den Achtzigerjahren um diese Uhrzeit nichts.

Ich wurde in die Ära hineingeboren, als Dieter Bohlen noch Steve Benson hieß, als es das Privatfernsehen noch nicht gab und Deutschlands beliebteste Sendung ein Säugling war wie ich: »Wetten, dass …?« Und die Nachtprogramme, in denen Frauen vor Flipcharts strippten und es Quizshow nannten, waren damals auch noch nicht erfunden.

Später, als ich in den Kindergarten ging, wachten meine Eltern darüber, dass ich und meine drei Geschwister ja nicht zu viel fernsahen. Ein eigener Apparat im Kinderzimmer? Tabu. Schließlich behaupteten Medienkritiker damals, dass zu viel Fernsehen unsere kindliche Unschuld zerstöre. Die Familienglotze thronte deshalb im »Fernsehbunker«, einem separaten Raum, den mein Vater bei Bedarf abschließen konnte. Das tat er oft. Eigentlich immer.

Ich nehme ihm die Fernsehdiät nicht übel. Er ahnte damals ja nicht, dass ich später bei fünf verschiedenen Quizshows insgesamt 60 000 Euro, eine Fernreise, Dutzende DVDs und Lexika abräumen würde. Hätte er gewusst, dass in seinem Sohn ein zukünftiger Quizknacker steckte, der sich eines Tages mit Ratespielen sein Studium finanzieren würde, hätte er die Tür vermutlich offen gelassen – oder mir gleich einen Apparat ins Zimmer gestellt.

Doch ich hatte mein Talent ja selbst noch nicht entdeckt. Es hat Jahre gedauert, bis ich den Dreh raushatte, bis ich wusste, wie ich als TV-Kandidat viel Geld verdienen kann. Mein Weg zum professionellen Quizgewinner mag lang gewesen sein, aber er war auch lustig. Ich will Ihnen davon erzählen, und ich will eine Botschaft so lange wiederholen, bis Sie freiwillig die »Wer wird Millionär?«-Hotline anrufen: Jeder ist ein Quizknacker!

Alle Versuche meines Vaters, mich vor dem Fernsehen zu schützen, haben nichts genutzt. Ich habe mich trotzdem in einen TV-Junkie verwandelt, den auch noch die vierzigste Wiederholung einer N24-Fleischsalat-Doku begeistert. Sosehr sich meine Eltern sonst bemüht haben – in diesem Punkt haben sie versagt. Zum Glück.

Dank der kriminellen Energie meines älteren Bruders, der schon bald einen Ersatzschlüssel für den Fernsehbunker besorgte, liegen TV-Sendungen bei meinen frühesten Erinnerungen weit vorn. Ich glaube, da bin ich in meiner Generation nicht allein. Vielleicht werden sich die Teenager von morgen mit Tränen in den Augen erzählen, wie sie zum ersten Mal den niesenden Panda auf YouTube gesehen haben; durch meine Kindheit dröhnten noch der Gong der Tagesschau und die Lacher von »Verstehen Sie Spaß?«.

Meine Geschwister rissen sich genauso um den Fernseher wie ich, aber unsere Geschmäcker waren total verschieden. Mein großer Bruder schaute »Ein Colt für alle Fälle« oder »Captain Future«; ich hatte andere Favoriten – und hier fängt meine lange Ausbildung zum Quizprofi eigentlich schon an.

Ich konnte noch nicht laufen, da wollte ich vor allem den »Schanze« sehen. Ja, den Michael Schanze. Bevor er in der Sendung »Flitterabend« frisch getraute Ehepaare auf Hochzeitsreise schickte und Kinder deutsche Schlager singen ließ, moderierte Schanze die Ratesendung »1, 2 oder 3«.

Ich erinnere mich noch an seine Turnschuhe, auf denen er ziemlich sportlich durch die Kulissen hüpfte. Den Titelsong, eine vertonte Fassung der Spielregeln, sang der Schanze selbst. »Eins, zwei oder drei … Du musst dich entscheiden, drei Felder sind frei.«

Jede Woche stellten sich drei Schulklassen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz den Wissensfragen des Moderators – wie habe ich sie beneidet! Für jede Antwortmöglichkeit gab es im Studio ein Feld auf dem Fußboden, und die Mitspieler stimmten mit den Füßen ab. Ich liebte es, wenn einige in letzter Sekunde noch ihre Meinung änderten und von einem Kästchen ins nächste hüpften. Meine Helden aber waren diejenigen, die sich der Mehrheit nicht beugten und allein auf ihrem Feld standen. Doch diese Freigeister gewannen nur selten. Meistens ist der Schwarm eben doch schlauer als der einsame Hering.

Wer richtig geraten hatte, bekam einen Ball in seine Sammelröhre und durfte diese Bälle am Ende gegen Geschenke eintauschen. Der Moment, wenn die Kinder auf die Modelleisenbahnen und Chemiebaukästen zu stürmten, erschien mir unwirklich, paradiesisch und dreimal besser als Weihnachten: Fernsehen eben.

Seit über dreißig Jahren läuft die Sendung nun schon im ZDF, und wenn ich eines bedauere im Leben, dann, dass ich es nicht zu »1, 2 oder 3« geschafft habe. Die Zeit dafür hätte ich ja eigentlich gehabt. Jetzt ist es wohl zu spät dafür.

Als ich alt genug war, schickten mich meine Eltern in den Ferien zu meinen Großeltern. Ich flüchtete vor meinen nervigen Geschwistern und entdeckte eine spannendere Welt: das Samstagabendprogramm. Bei Oma und Opa durfte ich all das schauen, was mir meine Eltern sonst verboten. Wie ein Kindkönig saß ich auf dem weißen Sessel im Wohnzimmer, ein großes Kissen unter dem Hintern, damit ich im Plüsch nicht versank. Wenn »1, 2, oder 3« meine Einstiegsdroge war, dann wurde ich hier endgültig ratesüchtig: Die Achtziger waren die große Zeit der Samstagabend-Quizshow; Sendungen, die nicht durch die Höhe des Preisgeldes beeindruckten, sondern durch den Charme ihrer Moderatoren. Wenn Wim Thoelke beim »Großen Preis« eine »Risiko-Runde« ankündigte, dann gruselte ich mich fast ein bisschen. Fast jeder zweite Deutsche saß wie ich vor dem Fernseher und schaute dem Quiz-Großmeister bei der Arbeit zu. Dabei bekamen seine Kandidaten für einen Joker gerade mal 100 Mark. Mir war das egal, ich liebte diese Sendungen, weil sie den Fakten in meinem Kopf einen Sinn verliehen.

Natürlich dachte ich damals nicht im Traum daran, mich irgendwann als Kandidat zu bewerben. Trotzdem habe ich schon als kleiner Junge mit der Vorbereitung auf meine Quizkarriere begonnen – ohne es zu merken. Nachdem meine ältere Schwester Anna mir das Lesen beigebracht hatte, stand dem Ausbau meiner Allgemeinbildung nichts mehr im Wege. Ich las und las und las. Meine Veranlagung spielte dabei wohl auch eine Rolle; mich interessierte einfach alles: Singvögel, Gladiatoren, Dinosaurier, Urwälder, Ritterburgen und das Universum. Ab sofort brauchte niemand mehr lange nach einem Geburtstagsgeschenk für mich zu suchen – ein »Was ist was?«-Buch genügte. Ich habe meine Sammlung lange nicht mehr gesehen, wahrscheinlich schlummert sie irgendwo im Keller meiner Eltern, aber ich schätze, ich habe die ersten 83 Bände gelesen und die Hälfte selbst besessen.

Als anständige Bildungsbürger freuten sich meine Eltern über meinen Wissensdurst und förderten ihn, wo sie nur konnten. Das hatte Folgen. Irgendwann weigerten sich meine Geschwister, mit mir das »Spiel des Wissens« zu spielen, weil ich alle Fragen auswendig gelernt hatte. Nicht um zu mogeln, nein, mir war einfach nur langweilig gewesen. Ein anderes Mal, zu Weihnachten, schenkten mir meine Eltern eine Ausgabe von »Trivial Pursuit« – in den Osterferien bekam ich eine fiebrige Bronchitis, und zwei Wochen Bettruhe später kannte ich auch hier die meisten Fragen. Klar, dass wir es danach nie wieder gespielt haben.

In der Schule hat mir mein Wissensschatz geholfen, aber darauf hatte ich es nie angelegt. Ich habe aus Spaß gelesen. Als ich älter wurde, veränderte sich auch mein Wissensdurst ein wenig. Je skurriler ein Detail, desto eher behielt ich es. In neun Jahren Biounterricht ist mir die Vankatze nie begegnet, doch ich kenne ihren Namen aus dem Brockhaus. Warum? Weil es die einzige Katzenart ist, die Wasser liebt. Das fand ich lustig genug, um es mir zu merken. Und bei Herbert Grönemeyer fallen mir natürlich »Bochum«, »Männer« und »Das Boot« ein, aber auch sein vierter Vorname: »Clamor«. Auf Lateinisch heißt das Geschrei. Fragen Sie mich nicht, was sich seine Eltern dabei gedacht haben, als sie ihm diesen Namen gegeben haben.

Ich sah also gern Quizshows und hatte eine Leidenschaft für nutzloses Wissen. Mehr nicht. Ich dachte nie im Leben daran, dass die beiden Dinge zueinanderfinden würden, geschweige denn, dass ich mir damit einmal mein Studium finanzieren würde. Ich hielt das Fernsehen für eine Scheinwelt, so real wie die Einbauküche in der Kulisse einer Soap Opera. Außerdem kannte ich niemanden, der in einer Quizshow jemals gewonnen hatte. Jahrelang schaute ich den »Großen Preis« oder »Jeopardy« und hielt die Kandidaten insgeheim für Zombies, die zu Staub zerfielen, sobald die Sendung im Kasten war.

Um den Quizknacker in mir zum Leben zu erwecken, musste ich erst einmal das Land verlassen …

Wenige Dinge sind so sinnlos wie die elfte Klasse in der Oberstufe des Gymnasiums. Die Kurse zählen nicht fürs Abi, und man kann sich die Entschuldigungen selber schreiben. Warum also bleiben? Viele meiner Mitschüler nutzten das Jahr, um in den USA ihren Führerschein zu machen; ich verbrachte die Zeit im nordenglischen Bolton. Einer alten Industriestadt, so trist wie eine Backsteinmauer und so feucht wie ein Hochmoor, aber dafür hatte hier der Tourismus die Einwohner noch nicht verdorben. Sie waren freundlich, offenherzig und trinkfest. Schnell war ich einer von ihnen. Uns trennten eigentlich nur zwei Dinge: Weltkriege und Weltmeisterschaften. Aber beides fand während meines Aufenthaltes nicht statt.

Ich wohnte bei einem älteren englischen...