Globaler Emissionshandel - Wie Luftverschmutzer belohnt werden. Analyse, Kritik, Perspektiven

von: Tamra Gilbertson, Oscar Reyes

Brandes & Apsel Verlag, 2012

ISBN: 9783860999509 , 192 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Globaler Emissionshandel - Wie Luftverschmutzer belohnt werden. Analyse, Kritik, Perspektiven


 

Emissionshandel
Der Emissionshandel ist ein komplexes System, das einem einfachen Zweck dient. Es soll den Regierungen und der Wirtschaft helfen, die angestrebten Ziele bei der Reduzierung von Emissionen mit wenig Aufwand zu erreichen - wir werden zeigen, dass in diesem System die Vorgaben zumeist erfüllt werden, ohne überhaupt Reduzierungen vorzunehmen.
Die beiden wichtigsten Formen des Emissionshandels sind "Cap and Trade" (Emissionsobergrenzen und Handel mit Emissionsrechten) und "Offsetting" (CO2-Ausgleich).
Was ist "Cap and Trade"?
Dieses System erlaubt Regierungen oder zwischenstaatlichen Organisationen, wie etwa der Europäischen Kommission, großen Unternehmen die Lizenz zur Umweltverschmutzung zu erteilen - in Form so genannter "Emissionsrechte". Das Unternehmen darf die Zertifikate dann an andere Unternehmen verkaufen, die es weniger kostet, ihren Schadstoffeintrag zu verringern. Nach diesem Prinzip funktioniert der weltweit größte CO2-Markt, das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU-ETS). 2008 betrug der Umsatz 63 Mrd. US-Dollars, und die Tendenz geht steil nach oben.
Das Ganze beruht auf der Annahme, dass sich nach und nach immer weniger Zertifikate im Handel befinden werden, folglich ihr Preis steigt und auf diese Weise der Schadstoffausstoß insgesamt zurückgehen muss. Hier kommt die zweite, die direkt umweltpolitische Komponente des Systems ins Spiel - gesetzliche Obergrenzen für den Schadstoffausstoß innerhalb eines Zeitrahmens. Mit jeder neuen Festsetzung dieser Obergrenze (cap) könnten Regierungen und/oder internationale Institutionen die Umweltverschmutzung reduzieren.
Die "marktorientierte" Komponente (der Emissionshandel) bewirkt zunächst keine Senkung des Schadstoffausstoßes, sie gibt lediglich den Unternehmen mehr Handlungsspielraum im Umgang mit ihren Emissionsproblemen. Nicht zufällig wird der Emissionshandel häufig als "flexibler Mechanismus" bezeichnet. Industrieunternehmen, die mehr Emissionssenkung erzielt haben als gefordert, können ihren "Überschuss" an andere verkaufen, denen dies nicht gelungen ist.
Damit bietet sich den schlimmsten Umweltverschmutzern die Möglichkeit, ohne große Kosten weiter wie gehabt zu produzieren, weil andere Unternehmen, die den gesetzlichen Vorgaben mehr als gerecht wurden, die Chance ergreifen, ihre überschüssigen Zertifikate zu Geld zu machen. Diese Art von Flexibilität hat allerdings auch ihren Preis: Die kurzfristigen Einsparungen erscheinen langfristig auf der negativen Seite in der sozialen und umweltpolitischen Bilanz.
Die Praxis hat gezeigt, dass dieses Konzept keine Anreize zur Verringerung von Emissionen bietet. Aus der Lobbyarbeit der Industrie und den Schwierigkeiten bei der Festsetzung von Maßeinheiten ergab sich die für die Industrie erfreuliche Situation, dass Unternehmen im Rahmen der Cap and Trade-Regelung nicht selten mehr Zertifikate erhielten, als sie zur Abdeckung ihres Schadstoff-ausstoßes brauchten. Diesen Überschuss durften sie wiederum an andere Umweltverschmutzer verkaufen - ein Beitrag zur Erhaltung des Ausstoßes von Treibhausgasen.
Im EU-ETS sind bislang fast alle Zertifikate (unter Berufung auf den "Bestandsschutz") kostenlos vergeben worden, in anderen Emissionshandelssystemen wird das ebenso praktiziert. Man berechnet die Vergabe nach Maßgabe des bestehenden Schadstoffniveaus. Wer besonders viel Schadstoffe produziert, erhält den höchsten Bonus: Ein Geschenk an die großen Verschmutzer und letztlich eines der größten Vorhaben in der Geschichte zur Umverteilung von Eigentumsrechten - von unten nach oben.
Was ist "Offsetting"?
Eine andere Form des Emissionshandels ist der CO2-Ausgleich (carbon offset). Hier geht es von vornherein nicht darum, Emissionen dort zu reduzieren, wo sie entstehen. Vielmehr wenden die Unternehmen, einige internationale Finanzinstitutionen, Regierungen und einzelne Investoren Geldmittel zur Förderung von "Projekten" auf, die der Schadstoffverringerung dienen sollen - aber nicht unter die nationalen Obergrenzen der Emission fallen. Das größte dieser Vorhaben ist der "Clean Development Mechanism" (CDM), ein nach den Vorgaben des Kyoto-Protokolls von der UN überwachter Förderplan, in den bis September 2009 bereits 1.800 Projekte aufgenommen wurden. Mehr als 2.600 weitere Anträge sind gestellt. Auf der Grundlage der gegenwärtigen Preise berechnet, könnten allein die Zertifikate aus den schon genehmigten Projekten bis 2012 einen Wert von mehr als 55 Mrd. US-Dollar erzeugen.
Dass der Kohlendioxidausgleich häufig als Beitrag zur Schadstoffreduktion genannt wird, ist Augenwischerei. Er dient prinzipiell nur dazu, die "Reduktionen" dorthin zu verlegen, wo sie am billigsten zu haben sind - in der Regel aus den Ländern des Nordens in die des Südens. Der Schadstoffausstoß geht also am einen Ort unvermindert weiter, nur unter der Annahme, dass an einem anderen Ort eine äquivalente Verringerung der Emission stattfinden wird. Projekte, die als Beitrag dazu gelten, sind unter anderem Wasserkraftwerke oder die Nutzung von Methangas aus großen Viehzuchtbetrieben.
Die Berechnung der "eingesparten" Menge an CO2 erfolgt dabei nach dem Hoffnungsprinzip: Man kalkuliert, um welchen Betrag die Erzeugung von Treibhausgasen durch das Projekt gesenkt werden könnte. Doch selbst von den Vertretern der Weltbank, Wirtschaftsprüfern, Finanzanalysten und -maklern und Umweltberatern, die solche Projekte auf den Weg bringen, ist unter der Hand zu erfahren, dass kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen solchen Vorhaben und den Erlösen aus dem Emissionshandel besteht. Dan Welch von der britischen Verbraucherorganisation Ethical Consumer benennt das Problem so: "Der CO2-Ausgleich ist ein imaginäres Wirtschaftsgut, das entsteht, indem man von einem vermuteten Resultat ein erhofftes Resultat abzieht." Die Strategie des "offsetting" dient also dazu, sich der Verpflichtung auf überprüfbare Emissionsreduktionen durch Verweis auf künftige mögliche Entwicklungen anderswo zu entziehen - das Ergebnis dürfte eine Zunahme der Treibhausgase sein.
Auch dass im Zusammenhang mit dem CO2-Ausgleich häufig die Begriffe "Armut" und "Entwicklung" fallen, ist nur eine Taktik zu Verschleierung der grundlegenden Ungerechtigkeit dieses Prinzips. Das "offsetting" bringt eine Menge Geld in die Kassen einiger Industriezweige im Süden, die zu den schlimmsten Umweltverschmutzern zählen. Zugleich erlaubt es den Unternehmen und Regierungen im Norden, Veränderungen an ihren Produktionsverfahren und ihrem Energieverbrauch auf übermorgen zu verschieben. Im 4. Kapitel unseres Buches werden wir zeigen, wie Projekte des CO2-Ausgleichs zur Landnahme durch Firmen und Regierungen (land grabbing) und zur Unterdrückung örtlicher Gemeinschaften geführt haben.
Ebenso problematisch ist der freiwillige CO2-Ausgleich. Nach diesem Modell zahlen die Konsumenten in den Ländern des Nordens eine Art Bußgeld für ihren übermäßigen Verbrauch, und die Unternehmen dürfen sich als umweltfreundlich präsentieren. Freiwillige "offsets" sind nicht an die Auflagen der UNO gebunden - aber für die betroffenen lokalen Gemeinschaften haben sie ebenfalls schlimme Folgen. Außerdem bedeutet diese Methode eine Art Individualisierung der Klimaproblematik: Die komplexe systemische Frage, wie Energie erzeugt und verbraucht wird und wem wie viel Land zusteht, reduziert sich darauf, dass Verbraucher per Mausklick etwas Geld überweisen.