Morbus Dei: Inferno - Roman

von: Bastian Zach, Matthias Bauer

Haymon, 2012

ISBN: 9783709974186 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Morbus Dei: Inferno - Roman


 

Abitus


Tyrol,

Anno Domini 1704

I

Der Bauer schlug mit dem Gesicht hart auf und blieb keuchend im Schnee liegen. Er hatte den Schlag nicht kommen sehen, nicht einmal erahnt. Der Angreifer musste mit dem Teufel im Bunde stehen, wenn nicht der Teufel selbst gekommen war, um ihn zu holen. Verdient hätte er es, weiß Gott.

Sein Kopf schmerzte, alles schien zu verschwimmen – der Wind, der heulend durch die Bäume fuhr, die Tür des heruntergekommenen Bauernhofes, die auf und zu schlug, das Krächzen der Raben, die sich durch den sturmgepeitschten Himmel kämpften …

Totenvögel, dachte der Bauer.

Kreist nur weiter über mir, es könnte sich lohnen.

Dann – Schritte auf dem gefrorenen Boden, die sich ihm langsam näherten. Der Bauer wagte nicht sich zu bewegen und presste die Augen zu. Die Schritte verstummten knapp neben ihm. Eine erdrückende Stille legte sich über alles.

Aber nur kurz.

„Man sieht sich immer zwei Mal im Leben, hab ich recht?“

Diese Stimme. Ruhig, bestimmt. Er hatte sie nur zu gut in Erinnerung, hatte jedoch gehofft, sie nie wieder hören zu müssen.

„Los, dreh dich um!“

Der Bauer wälzte sich mühsam auf den Rücken, Schneeflocken rieselten auf sein Gesicht. Langsam öffnete er die Augen.

Über ihm, verschwommen – drei Gestalten. Eine Frau, ein alter Mann – und er.

Johann List.

Da wär mir der Gehörnte lieber gewesen, stöhnte der Bauer innerlich. Er setzte sich vorsichtig auf und rieb sich den schmerzenden Hinterkopf. Dann blickte er Johann aus zusammengekniffenen Augen an. „Was willst du?“

„Ich will mein Geld.“

„Welches Geld?“ Verstohlen tastete der Bauer hinter seinem Rücken nach dem kurzen Eisenstab, der an seinem Gürtel hing. „Ich weiß nicht, wovon –“

Wieder wurde er überrascht, sah keine Bewegung, fühlte nur plötzlich einen glühenden Schmerz, der durch sein linkes Bein loderte. Er schrie entsetzt auf, sah, dass ein Messer in seinem Oberschenkel steckte, scharf wie ein Türkenschwert. Der Bauer kannte diese Waffe mit dem kunstvoll verzierten Griff – hatte sie sogar schon in der Hand gehabt. Er griff danach, aber sein Gegner war schneller, riss das Messer mühelos heraus und hielt es an die Kehle des Bauern. „Das Bein wächst wieder zu, deine Kehle nicht. Wo ist mein Geld?“

Der Bauer presste seine Hand auf die Wunde, Blut quoll zwischen den Fingern hervor und versiegte im Schnee. Er schluchzte, stammelte unverständliche Worte.

Die junge Frau trat zu Johann. „Ist das wirklich notwendig?“

„Hättest du dasselbe gesehen wie ich, würdest du seinen Kopf fordern, glaub mir. Geht zum Schlitten und holt unsere Sachen, ich bin hier gleich fertig.“

Mit diesen Worten hob er den Bauern wie einen jungen Hund am Genick auf und schleifte ihn zur Eingangstür. Einen Augenblick später waren die beiden Männer von der Finsternis des Hauses verschluckt.

Der Geruch des alten Bauernhauses stach Johann sofort in die Nase – eine Mischung aus abgestandener Luft, verdorbenem Essen und Schimmel.

Wie in den Zellen. Damals.

Er verzog unwillkürlich das Gesicht. „Hast du jemals frische Luft in dieses Loch gelassen, seit ich weg bin?“

„Wozu? So bleiben wenigstens Krankheit und Seuche draußen.“ Der Bauer humpelte schneller, das Gesicht schmerzverzerrt, aber Johann hatte ihn sofort wieder beim Genick.

„Nicht so schnell! Hast ist aller Laster Anfang.“

Der Bauer verlangsamte seinen Schritt. Gehorsam führte er Johann weiter durch die schmutzige Labe mit den roh gekalkten Mauern, die eine niedrige Decke mit wuchtigen, schwarzen Deckenbohlen trugen. Die Türen zu den Kammern waren geschlossen, die Fenster glichen eher Schießscharten und ließen kaum Tageslicht herein. Die dicken Mauern hielten alle Geräusche ab, es war still – zu still, dachte Johann. Der abscheuliche Geruch und die Dunkelheit ließen ihn an eine Gruft denken.

Eine der Türen war geöffnet. Johann sah beim Vorbeigehen, dass ein einfaches, frisch bezogenes Bett in der kleinen Kammer stand.

„Erwartest du Gäste?“

„Ja, ein französisches Dienstmadel, wenn’s recht ist.“

Johann hielt sein Messer hoch.

Der Bauer zuckte mürrisch mit den Schultern. „Alle paar Winter kommt ein Pfaff daher. Nach einer Nacht ist er wieder weg, weiß der Teufel wohin. Aber zahlen tut er gut, also frag ich nicht.“

„Ganz was Neues, dass wer von deinem Hof wieder wegkommt.“ Johann lächelte grimmig. „Außer mir natürlich.“

Der Bauer blickte ihn verständnislos an. „Was willst du damit –“

Johann stieß ihn unsanft in den Rücken. „Geh einfach nur weiter, dann lügst du wenigstens nicht.“

Der Bauer betrat die Rauchkuchl. Die Flammen des offenen Herdfeuers waren die einzige Lichtquelle. Es stank erbärmlich, der Boden war von Schlamm und Mist verkrustet. Überall lagen Essensreste und Hühner­federn, die vom Rupfen übrig geblieben waren. Die Wände waren schwarz vom Ruß und hatten tiefe Risse.

Der Bauer ging zum Herdfeuer, nahm einen glimmenden Span heraus und entzündete damit eine Öl­funzel. Er sah, dass Johann seinen Blick durch die Kuchl schweifen ließ und dabei das Gesicht verzog.

„Was passt denn hier nicht? Bist was Besseres gewohnt, was?“

„Dass ein Schwein wie du in einem solchen Koben haust, wundert mich nicht. Aber du bist doch kein armes Schwein, oder?“ Johann fixierte den Bauer durchdringend.

„Ich hab kein Geld. Nur deines, und davon hab ich nichts angerührt.“

Die beiden Männer standen sich gegenüber. Das flackernde Licht tanzte über ihre Gesichter, Holzscheite knacksten im Feuer, von weit entfernt war das Heulen des Windes zu hören.

„Mitten im Winter kannst es auch schlecht ausgeben“, sagte Johann und grinste kalt.

„Es war ein hartes Jahr, List, ehrlich. Ich war am Ende, deshalb hab ich dir dein Geld abgenommen. Wenn ich es“, der Bauer räusperte sich, um seiner Stimme einen festen Klang zu geben, „wenn ich es dir wiedergeb, sind wir dann quitt?“

„Wir werden sehen.“

„Aber –“

„Los jetzt!“

Der Bauer betrat die Vorratskammer, stellte die Lampe ab und bückte sich nach einem Eisenring, der in den Boden eingelassen war. Bis auf ein paar Säcke mit verfaulten Kartoffeln und einige alte Brotlaibe war die Kammer leer.

Der Bauer zog kräftig an dem Eisenring. Eine Falltür hob sich und ließ ein schwarzes Loch offenbar werden. Abgetretene Stufen führten in die Tiefe, aus der noch stickigere Luft quoll.

„Nach dir“, sagte der Bauer.

Anstatt einer Antwort packte Johann den Mann und stieß ihn die Treppe hinunter. Der Bauer fiel ins Leere, Johann hörte den Aufprall und einen lauten Schrei – der Mann war offenbar auf sein verwundetes Bein gefallen.

Gut so, dachte Johann. Er packte die Ölfunzel und stieg langsam in die Dunkelheit hinab.

II

Der unterirdische Raum war in etwa so groß wie die Rauchkuchl, aber im Gegensatz zum restlichen Haus geradezu hingebungsvoll in Ordnung gehalten. Der festgestampfte Erdboden war sauber, die glatten Steinplatten an den Wänden wirkten wie poliert. Ein großes Kreuz aus schwarzem, glänzenden Holz war zwischen die Platten eingelassen. Es beherrschte den leeren Raum, gab ihm eine diabolische Note.

Die Luft war drückend und schwer, Johann konnte kaum atmen. Das Kreuz war mit rostroten Flecken übersät, ebenso die Steinplatten daneben. Er strich mit der Hand darüber, fühlte Unebenheiten, schmale Rillen – wie Kratzer …

Langsam drehte Johann sich zum Bauer um. „Hast du sie hier heruntergebracht, bevor du sie getötet hast?“

„Getötet? Wovon sprichst du?“ Das unsichere Grinsen verriet die Lüge.

Johann spürte Wut in sich aufsteigen, Erinnerungen blitzen in ihm auf.

Die Grube, der Geruch nach Verwesung …

Seine Hand krampfte sich um den Griff des Messers. Ließ es wieder los. Augen, die ihn aus verrottenden Blättern anstarrten, gebrochen, flehend, tot …

In einer schnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegung packte Johann den Bauer an der Kehle und drückte ihn gegen das Kreuz. „Das wagst du zu fragen?“, zischte er. „Ich hab sie gesehn, ich hab sie alle gesehn, hinten im Wald, in deiner Leichengrube!“

Der Bauer wand sich unter Johanns Griff. „Aber ich –“

„Sogar Kinder! Mein Gott, ich sollte dich auf der Stelle töten.“

„Bitte nicht. Bitte lass mich am Leben!“, keuchte der Bauer.

Johann presste die Kehle des Mannes fester zu. „Ich hab ehrbarere Männer als dich getötet. Warum sollte ich dich am Leben lassen?“

„Hab – Erbarmen –,“ röchelte der Bauer.

Johann dachte an die Menschen, die hier gelitten hatten, in dieser Dunkelheit. Seine Hand krampfte sich noch fester in die Kehle des Bauern, der sich nur mehr schwach wehrte.

Lass es. Es ist genug.

Die Bewegungen des Bauern wurden schwächer.

Lass andere das Urteil vollstrecken.

Wie so oft hatte die innere Stimme Recht. Johann ließ den Mann los, der zu Boden fiel und krampfhaft versuchte, Luft zu holen. Johann beugte sich zu ihm...