Credo - Ein Krimi aus dem Mittelalter

von: Stefan Blankertz

Virulent, 2012

ISBN: 9783864740572 , 294 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,49 EUR

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Credo - Ein Krimi aus dem Mittelalter


 

KAPITEL II


Ich glaube an den einen Gott,
den allmächtigen Vater,
den Schöpfer des Himmels und der Erde

Im Refektorium des Dominikanerklosters herrschte ein unruhiges Durcheinander. Während die Brüder aus der Kirche, wo sie zur Non gebetet hatten, durch das Dormitorium und vorbei an Magister Albertus’ Klause in den Esssaal strömten, trugen die Novizen, die die Messe darum früher hatten verlassen müssen, das Mahl auf. Des beständigen Regens wegen hatten die Brüder von der Kirche zum Refektorium nicht wie gewöhnlich den Weg über den Kreuzgang genommen, sondern zwängten sich treppauf durch den Schlafsaal. Es gab ein Gerangel um die Plätze neben demjenigen, auf welchem stets Magister Albertus saß. Johannes wusste, warum: Er hatte für den alten Mann einen Fastendispens erwirkt, weil er sich schon seit Jahren weigerte, Fisch zu essen, und sein vom Alter ausgezehrter Körper es nicht verkraften würde, wenn er nichts äße. Da er aber selbst die verführerischsten Speisen nie mehr gänzlich vertilgte, gelang es den Brüdern, die sich unmittelbar rechts und links neben ihm befanden, oftmals etwas von den Leckereien abzubekommen, wenn sie meinten, der Abt würde wegschauen und das unerlaubte Fastenbrechen nicht bemerken. Heute hatte Bruder Paul, der wohlbeleibte Koch des Konventes, es ganz besonders gut mit Magister Albertus gemeint und ihm ein Stück fettesten Schweinebauch gebraten. Auch Johannes lief das Wasser im Munde zusammen. Für ihn allerdings gab es selbstredend, wie für die anderen auch, nur Fisch, Aal, um genauer zu sein, in einer leuchtend grünen Tunke aus Petersiliensaft. Johannes hoffte, dass Bruder Paul den Wein nicht zu sehr mit Wasser getauft hatte, so dass er mit dessen starkem Geschmack den ekelhaften Fisch herunterspülen konnte.

Erst nachdem alle sich niedergesetzt hatten, führte der Famulus, der Johannes in der Krankenstube und auch sonst zur Hand ging, den abgehärmten alten Magister aus seiner zwischen Refektorium und Dormitorium gelegenen Klause zum Essen, denn sonst bestand Gefahr, dass der Greis umgerannt würde. Magister Albertus musste auch nicht mehr zu den Stundengebeten seine Klause verlassen, denn oft verirrte er sich hernach und fand den Weg nicht zurück. Wenn ihm aber die Brüder ihre Hilfe anboten, verhielt er sich verstockt und schlug geradewegs die entgegengesetzte Richtung von der ein, die ihm bedeutet wurde. Einmal war er auf diese Weise sogar aus der Kirche in die Stolkgasse hinausgeraten und von dort bis zum großen Markt gelangt, wo ihn die besorgten Brüder auffanden, während die belustigten Leute in ihm einen verkleideten Bettler vermeinten, den sie ungestraft zum Narren halten durften, indem sie ihm Steine in den Mund schoben und behaupteten, es sei Brot. Nur noch wenige Disputationen hielt der Magister, und die Studenten mussten dazu in seine Klause kommen. Es geschah jedoch immer öfter, dass er mitten im Reden von einer ganz anderen Sache anfing zu sprechen.

Man munkelte, mit dem Verfall der geistigen Kräfte wolle Gott den Magister dafür strafen, dass er, bevor er in den Predigerorden eingetreten war, an seiner Berufung zum Mönchsdasein gezweifelt hatte, weil ihn das Gehorsamsgebot abschreckte. Johannes hatte eine andere Erklärung. Schließlich war der Medizin bekannt, dass bei einem Menschen, der ein solch hohes Alter erreichte, die Kräfte stets einzeln nacheinander den Dienst versagten. Aber Johannes hatte gemerkt, dass die Wissenschaft gegen den Aberglauben nichts auszurichten vermochte und mit der Zeit verzweifelte er daran nur noch selten.

Herr Wido, der Abt der Bettelbrüder, verlangte von den Mönchen meistenteils nicht, während der Mahlzeiten zu schweigen, jedoch in der Quadragesima vor Ostern wurde aus der Schrift gelesen. Heute war Bruder Lukas an der Reihe, der arme, der darum überhaupt nichts essen konnte. Mit jämmerlicher, träger Stimme trug er aus der Offenbarung vor, während seine Augenlider tief über seine kleinen Knopfaugen herabhingen: »Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen …«

… rauschen … rauschen … die Worte rauschten an Johannes vorbei und seine Gedanken schweiften ab. Was für ein Unsinn es doch war, die Schrift nichts als einfach vorzulesen, wo doch der große Magister Abaelard zeigte, dass die Schrift nur verstanden werden könne, wenn sie mit den Mitteln der Philosophie ausgelegt werde … Während er so vor sich hin döste, stellte Johannes erstaunt fest, dass ihm die grüne Tunke trotz des Fisches darin gar nicht so schlecht mundete. Bruder Paul war eben ein vortrefflicher Koch. Arnulf, einer der Novizen, der Johannes gegenübersaß, stieß ihn unter dem Tisch mit dem Fuß an. Er hob zwei Finger, um anzudeuten, dass er mit Johannes in Zeichen sprechen wolle. Johannes liebte dieses Spiel nicht, in welchselbiges die Novizen ihn seiner jungen Jahre wegen eingeweiht hatten, obgleich er ihr Lehrer war.

Doch bevor Johannes sich eine Antwort einfallen lassen konnte, wurde seine Aufmerksamkeit durch Eselsrufe, Poltern und Geschrei in Anspruch genommen. Aller Augen wandten sich zum Eingang, Bruder Lukas hielt in seinem Lesefluss inne und Johannes sah, dass dessen Hände, mit denen er die Schrift hielt, zitterten. Einige Mönche schickten sich schon an aufzustehen, als Herr Wido mit strenger Stimme zu dem Famulus sagte: »Bruder Konrad, schaue doch bitte nach, was los ist.«

Die anderen Brüder begriffen, dass ihr Abt ihnen damit verboten hatte, die Tafel zu verlassen. Es war nicht klar, ob Bruder Konrad beneidet oder bedauert werden sollte, denn die Unterbrechung war zwar eine willkommene Abwechslung, man fürchtete sich aber wohl auch vor der ungewohnten Aufregung, die zu erwarten war. Angespannte Stille herrschte, nachdem Bruder Konrad den Saal verlassen hatte. Johannes beobachtete, dass auch Herrn Widos Hände unruhig auf das Holz der Tischplatte trommelten. Das Tok-Tok-Tok war das einzige Geräusch, das er vernehmen konnte. Ausgenommen das Gackern der Hühner vor der Küche …

Nach kurzer Frist kam Bruder Konrad atemlos zurück und wandte sich aufgelöst an Herrn Wido: »Ehrwürdiger Vater und Herr Abt. Der Wagen … hat den Kreuzgang …«

»Welcher Wagen?«

Ohne auf die Frage einzugehen, fuhr Bruder Konrad fort zu stammeln: »Tot … der Schöffe ist da … Bruder Moneta … ist … tot.«

»Bruder Moneta weilt in Brauweiler bei seiner Mutter«, sagte Herr Wido wie um sich zu beruhigen und erhob sich. »Du redest wirr, Bruder Konrad! Bringe Magister Albertus in seine Klause. Wir werden selbst nachsehen, was dort draußen vor sich geht. Bruder Johannes, bitte begleitet uns. Von euch anderen erwarten wir, dass ihr euch in demütiger Zurückhaltung übt.«

Johannes schloss sich gehorsam dem Abt an, der mit schnellen Schritten zur Tür eilte, die Treppe hinunterhastete und auf den Innenhof trat, in welchem der Kreuzgang angelegt war. Unten angekommen, sah er, dass im Hof tatsächlich ein Karren stand, der sich wohl, gezogen von einem Esel, durch die Unterführung der Bibliothek gequetscht hatte. Die Büsche des Kreuzganges an der Ecke vor der Küche waren umgeknickt. Neben dem Wagen befanden sich der Schöffe Franz Weinhold sowie ein Büttel. Magister Jacob, der während des Mahles die Torwache hielt, war zeternd hinterdreingekommen.

»Was erlaubt Ihr Euch, ehrenwerter Herr Schöffe?«, fragte der Abt streng. Franz Weinhold war bei den Dominikanern nicht wohlgelitten, denn einst wirkte er daran mit, die Mutter von Johannes, die hoch angesehene Leiterin des weißen Hauses, ungerecht der Ketzerei anzuklagen. Zwar hatte man sich inzwischen wieder versöhnt, die alten Narben aber waren geblieben und ließen den Abt schroff sein im Umgang mit dem Schöffen.

Franz machte nur eine Kopfbewegung, die darauf deutete, dass der Abt und Johannes auf dem wegen des andauernden Regens mit einer Plane abgedeckten Wagen nachschauen sollten.

Johannes schlug die Plane zurück. Der Wagen war mit feinstem blauen Coelsch Garn beladen, zwischen diesem aber lag … Bruder Moneta, offensichtlich entseelt. Der voll Regenwasser gesogene schwarze Mantel des Mönches war mit Erd- und Lehmklumpen verunreinigt, ebenso der Saum seiner weißen Kutte, der unter dem Mantel hervorlugte.

Der Schrecken durchzuckte Johannes wie eine Glut. Er wusste nicht, wie lange er regungslos auf den toten Bruder geblickt hatte, bevor er sich umsah und entdeckte, dass auch sein Abt, den doch, wie er dachte, nie etwas aus der Bahn zu werfen vermochte, erstarrt war und unfähig zu sein schien, etwas zu sagen oder zu tun. Johannes’ Augen füllten sich mit Tränen der Erschütterung. Als Physikus fühlte er sich gegen den Tod gewappnet. Aber dieser Verblichene war doch all die Jahre im Konvent sein Bruder gewesen!

Schließlich erwachte die Pflicht in ihm, nach Art eines Physikus’ zu verfahren. Wie ist er wohl zu Tode gekommen?, fragte er sich betrübt. Krank oder siech war Bruder Moneta nicht gewesen; er erfreute sich bester Gesundheit, als Johannes ihn zum letzten Male lebendig gesehen hatte. Mit einem beherzten Satz war er auf dem Karren. Er drehte unter ächzenden...