Die stumme Sünde - Ein Krimi aus dem Mittelalter

von: Stefan Blankertz

Virulent, 2012

ISBN: 9783864740565 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,49 EUR

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Die stumme Sünde - Ein Krimi aus dem Mittelalter


 

KAPITEL II


»Alles Unvollkommene strebt zur Vollendung.«

Thomas von Aquin

Ich zitterte ein wenig, als ich hinter den sich leicht von einem Windhauch bewegten Vorhang schlüpfte, weil Ingeborg es mir nämlich diesmal verboten hatte. Sonst ließ sie mich zusehen, nachdem sie festgestellt hatte, dass ich solcherart mehr Freude empfand als daran, es selbst zu tun. In einer Art unausgesprochenem Einverständnis verheimlichten wir es meinem Lehrmeister, dem sarazenischen Gelehrten Averom, in dessen Obhut ich mich seit nunmehr sieben Jahren befand und mit dem ich seit zwei Jahren in Paris an der Universität weilte. Meister Arab, wie ich ihn zärtlich nannte, war Ingeborg zugetan und bezahlte sie dafür, mich in anderer Hinsicht zu unterrichten. Dass Ingeborg aus dem fernen Königreich Dänemark in den kalten Landen herkam, deutete schon ihr Name an, doch ihre fast durchsichtige Haut, ihre hellblauen Augen und ihr silbern schimmerndes, feines Haar machten es zur Gewissheit. Sie stammte aus gutem Hause und war entlaufen, als ihr Vater sie mit einem Grafen zu vermählen beabsichtigte, den sie als vertrocknet, grob und einfältig beschrieb. Fortan führte sie ein wildes Leben im Gefolge von Fahrensleuten und Burgsängern. In Luik, wo sie einige Zeit verbrachte, bevor sie, als sie ungefähr fünfundzwanzig Jahre zählte, nach Paris kam, entdeckte sie die Berufung zu dem Gewerbe, dem sie von da an nachging. Sie war größer als viele der Männer in Paris, ausgenommen die nordischen Studenten, und ihre Schönheit wäre vollendet gewesen, wären ihre Brüste ein wenig bescheidener und ihre Hüften etwas unbescheidener gewesen.

Ingeborg ging ihrem Geschäft in einem ehemaligen Heuspeicher auf der Rue du Fouarre nach. Der Heuspeicher war zum Schulraum der Artistenfakultät hergerichtet worden, um Studenten aus der ganzen Welt in die Sieben Freien Künste der Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie einzuführen. Man meinte, in dem Raume noch das süße Heu zu riechen, obgleich der herbe Duft des harzigen Holzes, aus dem die erst jüngst aufgestellten Bänke waren, überwog.

Die großen Magister Siger von Brabant und Roger Bacon hatten hier schon gelehrt, noch bevor es die Bänke gab und die Studenten statt dessen im Heu saßen, um ihren überaus weisen Worten zu lauschten. Später polterte ein anderer bedeutender Magister von Paris, Bruder Thomas von Aquin, vor uns Studenten: »Mein Widersacher Siger betreibt seine Lehre im Verborgenen, anstatt sich wie üblich der klösterlichen Einrichtungen zu bedienen.« Meister Arab, der Bruder Thomas fast mehr noch als Magister Siger schätzte, verübelte ihm das, vor allem, weil er sich gewünscht hätte, die beiden Scholastiker Thomas und Siger würden sich gegen den unheilvollen Einfluss der Franziskaner verbünden, die das Studium der Schriften des Aristoteles zu verbieten trachteten.

Während nun Siger und die anderen Magister am Tage den Hunger der Studenten nach Wahrheit stillten, befriedigten Ingeborg und ihre Freundinnen des Nachts denjenigen nach Fleischeslust. Zu selbigem Zwecke unterteilten sie den Raum mit leichten Vorhängen. Ingeborg war beliebt unter den gebildeteren Studenten, denn sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, den letzten Disputationen des Tages beizuwohnen, um auch ein paar Worte mit ihren Gästen wechseln zu können. Mehr noch jedoch, so nehme ich an, war ihre Beliebtheit darauf zurückzuführen, dass Meister Arab sie in morgenländischer Liebeskunst unterwiesen hatte. Während sich die meisten Studenten gierig auf die Weiber warfen und einem Wettlauf gleich zum Ziele strebten, wusste es Ingeborg besser als diejenigen ihrer Freundinnen, die es mit sich geschehen ließen, weil sie derart in der Lage waren, mehr Kundschaft zu bedienen. Meister Arab aber lehrte, dass die »unverzügliche Wollust«, wie er es nannte, nicht nur die wahre Freude unterbindet, sondern sowohl beim Manne als auch beim Weibe zu der schweren und bisweilen sogar tödlich verlaufenden Krankheit führt, die »Edica« genannt wird. So zündete Ingeborg ihre Besucher zuvor mit liebreizenden Worten und schmeichelhaften Zärtlichkeiten sorgfältig an und kannte für einen jeden die angemessene Stellung. Ingeborg hütete das Geheimnis, wie sie die übereiligen Buben zügeln konnte, und weil das deren Labsal nur erhöhte, nahm sie aufs Ganze gesehen mehr ein als ihre schnellen Freundinnen.

Ich tue dies dar, weil ich nicht möchte, dass man das Erstaunen und Erschaudern über das, was ich an jenem Tage mitansehen musste, einer übergroßen Empfindsamkeit oder mangelnder Kenntnis fleischlicher Dinge zuschreibt. Ingeborg begrüßte nun also einen hageren, bärtigen Studenten, der um einige Jahre älter war als ich. Er war groß und muskulös und trug ein gutes teures Gewand in blauer Farbe über seinem gelben Hemd, Schuhe mit einer sehr langen Spitze sowie eine rote Mütze auf dem Kopf. Mitten in seinem einfältigen Gesicht befand sich eine lächerlich kleine Stupsnase, als sei sie dort nur zu Besuch. Ich kannte ihn nicht und nahm an, er habe vielleicht schon das Studium der Theologie aufgenommen. Er machte einen so wohlhabenden Eindruck, dass ich vermutete, er müsse sich nicht wie ich seinen Unterhalt durch das Kopieren von Büchern verdienen – alldieweil ich mich darüber nicht beklagen sollte, denn dergestalt genoss ich den Vorzug, wohl mehr Bücher als alle anderen zu Gesicht zu bekommen. Ingeborg schien den Gast anders als mir schon vertraut.

»Ah, mein vom Schicksal so schwer gebeutelter Freund«, begrüßte sie ihn auf Diutisch, denn die Studenten kamen aus aller Herren Länder und nicht jeder lernte wie ich die Landessprache gut, so dass Ingeborg sich anheischig machte, zu ihnen zu sprechen in der Weise, wo sie also herkamen. Sie umarmte ihn kurz und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, jedoch nicht in der Art einer Buhlerin, sondern in der einer liebenden Mutter. Der Student dagegen blieb stumm. Nur seine geweiteten wässrigen Augen wanderten unschlüssig hin und her.

»Bei mir«, sagte Ingeborg und blickte ihn dabei fest an, »müsst Ihr Euch nicht schämen. Für nichts. Nicht einmal der gütige Vater im Himmel schaut Euch hier zu.«

»Gott fürchte ich nicht so sehr«, flüsterte der Student mit dunkler Stimme und wandte seinen Kopf ab, wohl um ihrem Blick zu entgehen, »denn ich weiß, er ist barmherzig.« Offensichtlich wusste er dagegen nicht, wohin mit seinen Händen, die er fahrig mal vor dem Bauch faltete, mal die Arme seitlich hängen ließ oder gar auf den Rücken legte und sich dabei vorbeugte wie ein alter Mann.

»Wer also sitzt Euch im Nacken?«, fragte Ingeborg und strich, um ihren Gast zu beruhigen, vorsichtig über seinen Hals. Mit einem leichten Druck ihrer Hände brachte sie ihn dazu, sich auf die Bank zu setzen, und nahm dicht neben ihm Platz.

»Wenn ich seinen Namen nenne, wird das die ganze Sache verderben«, weinte der Student, um dann in einer heftigen Gebärde seine Arme nach oben zu reißen, fast als wolle er Ingeborg schlagen. »Und du bekämest dann auch nichts.«

Ingeborg aber war geübt und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wenn Ihr es nicht sagt«, beharrte sie, ohne ihn aus dem Blick zu entlassen, »werdet Ihr auch keine Freude empfinden können. Denn Lust und Angst verhalten sich so gegensätzlich zueinander wie Himmel und Hölle.«

»Pah«, machte der Student verächtlich, zog den Mund schief und schloss seine Lider, »was braucht es eine Hölle, wenn man einen solchen elenden Schlappschwanz wie Richard zum Vater hat!«

»Aha!«, rief Ingeborg aus. Sie vollführte eine ausladende Bewegung mit den Armen und Händen. »Da haben wir es. Euer Vater, wo hält er sich nun auf?«

»Wo wohl?« erwiderte der Student ungehalten, wobei er die Augen endlich wieder öffnete. »In Regensburg!«

»Das ist so weit«, beruhigte ihn Ingeborg gütig, »dass nicht einmal ich diese Stadt kenne.«

»Wenn meine stolze Mutter es sehen könnte …«, heulte der Student und wischte sich übers benetzte Antlitz. »Ich schäme mich so.«

»Wenn es sie nicht gäbe, könntest du dich auch nicht erfreuen, denn dann wärst du nicht da«, sagte Ingeborg zärtlich.

Der Student wurde darob wieder roh und lief zornrot an. »Dieses ganze Geschwätz«, wütete er, »von: Du sollst Vater und Mutter ehren widert mich an! Mir ist zum Erbrechen! Der Magen dreht sich mir um! Ich möchte mich entleeren auf diesem Pack!«

Nun war es Ingeborg, die nichts sagte. Ich dachte schon, sie gebe auf und würde ihren Gast entlassen, ohne dass etwas geschehen sei. Doch dann beobachtete ich, wie sie sich einen Schuh vom Fuße zog und ihm diesen reichte. Ich verstand diese Geste nicht und konnte mir keinen Reim darauf machen.

Der Student nahm den dargebotenen Schuh mit der linken Hand entgegen, während er sich mit der rechten Hand entblößte. Dann holte er seinen erstarkten Lyedemyt hervor und benutzte den Schuh, als wäre er ein weibliches Vogelhuß. Seine Stöße wurden immer heftiger und schneller, ganz so, als vollzöge er einen normalen Akt der Unkeuschheit, bis er sich in den Schuh von Ingeborg ergoss. Dabei gab er jedoch keinen einzigen Laut von sich. Ingeborg schaute ihm mitfühlend zu. Währenddessen hielt ich erstarrt den Atem an und konnte nicht fassen, was ich da sah.

Alsdann richtete sich der Student wieder auf,...