Der Elefantenflüsterer - Mein Leben mit den sanften Riesen und was sie mir beibrachten

von: Anthony Lawrence, Graham Spence

mvg Verlag, 2010

ISBN: 9783864152283 , 440 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 2,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Elefantenflüsterer - Mein Leben mit den sanften Riesen und was sie mir beibrachten


 

Kapitel 1


Aus der Ferne klang der krachende Gewehrschuss wie das Bersten eines riesigen Stücks Feuerholz.

Ich sprang von meinem Stuhl auf und lauschte. Ein solches Geräusch versetzt jeden Wildhüter unwillkürlich in höchste Alarmbereitschaft. Dann folgte eine Salve … tack-tack-tack. Ein schreiender Vogelschwarm erhob sich als Silhouette gegen den blutroten Sonnenuntergang.

Wilderer. An der Westgrenze.

David, mein Wildhüter, sprintete schon zu unserem zuverlässigen alten Landrover. Ich packte meine Schrotflinte, folgte ihm und sprang auf den Fahrersitz. Max, mein gescheckter Staffordshire-Bullterrier, kletterte in Windeseile zwischen uns. Instinktiv spürte er unsere Aufregung und würde uns um nichts in der Welt von der Seite weichen.

Während ich den Wagen anließ und das Gaspedal durchtrat, griff David zum Funkgerät.

»Ndonga!«, bellte er. »Ndonga, bist du auf Empfang? Over!«

Ndonga war der Chef unserer Wambo-Wachen, und da er in der Armee gewesen war, definitiv jemand, den man bei einer Schießerei gerne an seiner Seite hatte. Ich hätte mich deutlich wohler gefühlt in dem Wissen, dass er und sein Team auf dem Weg waren, aber Davids Funksprüche wurden nur von einem monotonen Rauschen beantwortet. Wir waren auf uns alleine gestellt.

Meine Verlobte Françoise und ich hatten Thula Thula, ein prächtiges Wildreservat im Herzen von Zululand, vor etwa einem Jahr gekauft. Und von Anfang an mussten wir uns mit diesen Wilderern herumschlagen. Es gab praktisch keine Chance herauszufinden, wer sie waren oder woher sie kamen. Immer wieder hatte ich mit den Izinduna – also den Häuptlingen – der in der Umgebung lebenden Zulu-Stämme gesprochen, die darauf bestanden, dass ihre Leute nichts damit zu tun hatten. Und ich glaubte ihnen. Unsere Angestellten stammten überwiegend aus der Gegend und waren ausnahmslos loyal. Also mussten diese Ganoven von irgendwoandersher kommen.

Es wurde rasch dunkel, und ich musste langsamer fahren. Als wir uns dem Westzaun näherten, schaltete ich auch die Scheinwerfer aus. Ich hielt hinter einem großen Ameisenhügel und folgte David durch eine Gruppe von Akazienbäumen. Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt, die Finger nervös am Abzug, angestrengt lauschend tasteten wir uns vorwärts. Zu unserer Verteidigung hatten wir unsere Repetier-Jagdflinten mit schwerem Postenschrot geladen, denn bei einer Begegnung mit Wilderern im Busch, und noch dazu in der Dunkelheit, kann man nie wissen. Wie jeder Wildhüter in Afrika weiß, sind die meisten professionellen Wilderer absolut rücksichtslos und schießen ohne zu zögern. Es waren noch knapp 50 Meter bis zum Zaun. Da ich wusste, dass Wilderer sich gerne den Fluchtweg offen halten, machte ich mit meinem Arm eine kreisförmige Bewegung. David wusste genau, was ich damit meinte und nickte nur. Er würde seinen Posten halten, während ich zum Zaun kroch, um ihnen im Falle eines Schusswechsels den Fluchtweg abzuschneiden.

Der Geruch von Schießpulver lag in der Abendluft. Er hing wie ein Leichentuch in der Stille. In den Weiten Afrikas ist es niemals völlig ruhig. Zumindest die Grillen hören nie auf zu zirpen. Außer nach Schüssen.

Nach einigen Minuten absoluter Lautlosigkeit wusste ich, dass wir einer Finte aufgesessen waren. Ich schaltete meine Halogentaschenlampe ein und suchte mit ihrem Licht den Zaun ab. Nirgendwo gab es ein Loch, durch das Wilderer hätten ins Reservat schlüpfen können. Auch David schaltete seine Taschenlampe an und suchte nach Tritt- oder Blutspuren, die uns verraten hätten, ob ein Tier getötet und weggebracht worden war.

Nichts. Nur gespenstische Stille.

Da es innerhalb des Reservats keine Spuren gab, begriff ich, dass die Schüsse außerhalb des Zauns abgefeuert worden sein mussten.

»Verdammt, ein Täuschungsmanöver.«

Kaum hatte ich das ausgesprochen, fielen auch schon weitere Schüsse – ein gedämpftes, aber deutliches »Grollen« am anderen Ende des Reservats, mindestens 45 Minuten entfernt, nur erreichbar auf Feldwegen, die sich nach einem Frühlingsregen in puren Morast verwandeln. Wir sprangen zurück in den Landrover und rasten los, aber ich wusste, dass es aussichtslos war. Sie hatten uns hereingelegt. Wir würden sie nie erwischen. Bevor wir an Ort und Stelle wären, hätten sie sich längst mit ein paar erschossenen Nyala – einer der schönsten Antilopen Afrikas – aus dem Staub gemacht.

Ich verfluchte mein unüberlegtes Vorgehen. Hätte ich zeitgleich einige Ranger ans andere Ende des Reservats geschickt, statt kopflos loszustürmen, dann hätten wir sie auf frischer Tat ertappt.

Aber immerhin war damit etwas anderes bewiesen: Offenbar hatten die Izindunas recht, die behauptet hatten, meine Probleme seien interner Art – es müsse also jemand innerhalb des Reservats mit den Wilderern zusammenarbeiten. Dies war mit Sicherheit nicht das Werk einer Handvoll hungriger Stammesmitglieder und abgemagerter Hunde, die auf der Jagd nach etwas Essbarem durch die Wildnis streiften. Hier hatten wir es mit einer gut organisierten kriminellen Tat zu tun, die von jemandem begangen wurde, der jeden unserer Schritte kannte. Wie sonst hätten sie alles zeitlich so perfekt abstimmen können?

Es war bereits stockdunkel, als wir im östlichen Bereich des Reservats ankamen und den Schauplatz mit unseren Taschenlampen beleuchteten. Die Spuren sprachen Bände. Allem Anschein nach waren zwei Nyala von Jagdgewehren mit Hochgeschwindigkeitsmunition niedergestreckt worden. Wir konnten das flache, blutgetränkte Gras sehen, auf dem man ihre Kadaver zu dem Loch gezerrt hatte, das mit Bolzenschneidern grob aus dem Zaun herausgeschnitten worden war. Etwa zehn Meter außerhalb des Zauns fanden sich die schlammigen Reifenspuren eines Geländefahrzeugs mit Allradantrieb, das inzwischen sicher schon etliche Meilen Vorsprung hatte. Die Tiere würden an ortsansässige Metzger verkauft werden, die sie für Biltong verwenden würden, eine Art Dörrfleisch, das in ganz Afrika hochgeschätzt ist.

Im Licht meiner Taschenlampe entdeckte ich ein blutiges Büschel dunkelgrauen Fells, das an einem zerschnittenen Stück Draht wehte. Mindestens eine der toten Antilopen war ein Männchen – weibliche Nyala sind hellbraun und haben schmale weiße Streifen auf dem Rücken.

Mich fröstelte, und ich fühlte mich plötzlich alt und müde. Bevor ich es gekauft hatte, war Thula Thula ein Jagdrevier gewesen, und ich hatte mir geschworen, dass diese Zeiten ein für alle Mal vorbei sein würden. Solange ich hier das Sagen hatte, sollte kein Tier jemals wieder unnötigerweise getötet werden. Ich hatte nicht geahnt, wie schwierig es sein würde, dieses Versprechen zu halten.

Mutlos fuhren wir zum Haus zurück. Françoise begrüßte uns mit dunklem, starkem Kaffee. Genau das, was ich jetzt brauchte.

Ich blickte sie an und lächelte dankbar. Hochgewachsen, anmutig und sehr französisch war sie so wunderschön wie an dem Tag, an dem ich ihr vor zwölf Jahren zum ersten Mal begegnet war, als sie an einem kalten Morgen in London ein Taxi rief.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

»Eine Finte. Sie haben sich aufgeteilt. Einer feuerte ein paar Schüsse am entlegenen Ende des Grundstücks ab und beobachtete dann unseren Landrover. Sobald wir dort angekommen waren, holten sich seine Kumpane an der Ostseite zwei Antilopen.«

Ich trank einen Schluck Kaffee und setzte mich. »Diese Kerle sind bestens organisiert; wenn wir nicht aufpassen, wird noch jemand sterben.«

Françoise nickte. Vor drei Tagen waren die Wilderer so nah gewesen, dass es sich anfühlte, als würden ihre Geschosse direkt über unsere Köpfe hinwegpfeifen.

»Am besten, du gehst gleich morgen zur Polizei«, sagte sie.

Ich antwortete nicht. Es war kaum zu erwarten, dass die Polizei zwei erschossenen Antilopen allzu große Aufmerksamkeit widmen würde.

Als ich Ndonga am nächsten Morgen erzählte, dass noch mehr Tiere erschossen worden waren, wurde er wütend. Er fragte mich vorwurfsvoll, warum ich ihn nicht angerufen hätte. Ich sagte, dass wir genau das versucht, aber leider keine Antwort erhalten hatten.

»Oh … Entschuldigung, Mr. Anthony. Ich war letzte Nacht unterwegs und habe mir einige Drinks genehmigt. Geht mir heute auch nicht besonders«, sagte er und grinste dabei verlegen.

Ich verspürte keine Lust, seinen Kater näher zu besprechen. »Kannst du das zur Chefsache machen?«, fragte ich.

Er nickte. »Wir schnappen diese Mistkerle.«

Ich war kaum zu Hause angekommen, als das Telefon klingelte. Es meldete sich eine mir unbekannte Frau. Marion Gara von der Elephant Managers and Owners Association (EMOA), einer privaten Organisation, die aus etlichen, in Südafrika ansässigen Elefantenhaltern besteht und sich um das Wohl dieser Tiere kümmert. Ich hatte schon von ihnen und der guten Arbeit gehört, die sie für den Schutz der Elefanten leisten, aber da ich selbst keine besaß, hatte ich nie direkt etwas mit ihnen zu tun gehabt.

Ihre warme Stimme war mir auf Anhieb sympathisch.

Und sie kam auch gleich auf den Punkt. Sie habe von Thula Thula und seiner großen Vielfalt an typischen Zululand-Wildtieren gehört; ebenso sei ihr bekannt, dass wir eng mit der einheimischen Bevölkerung zusammenarbeiten, um ein Bewusstsein für den Naturschutz zu entwickeln, und deshalb habe sie sich gefragt … ob ich nicht daran interessiert sei, eine Elefantenherde zu adoptieren? Die gute Nachricht, so fuhr sie fort, ehe ich etwas...