Der Buddhismus

von: Gottfried Hierzenberger

marixverlag, 2014

ISBN: 9783843802468 , 160 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Buddhismus


 

Der Dharma – die Lehre des Buddha


Die Lehre des Buddha ist kein Denksystem, keine Philosophie, schon gar nicht eine Theologie, sondern sie ist eine Antwort auf die bittere Erkenntnis, dass alle Erscheinungen in unserer Welt vergänglich sind. Diese Antwort hat er nicht theoretisch gesucht und gefunden, sondern in Auseinandersetzung mit den Ursachen des Leidens, mit falschen oder unzulänglichen Antwortversuchen der indischen Glaubenstradition, in der er stand, und mit einer konsequenten, ja geradezu unerbittlichen existenziellen Überprüfung der Antworten seiner Lehrer, seiner Gefährten und seiner Rivalen.

Siddhārta Gautama war ein überragender Mystiker, ein großer Einsamer, der sich in seiner Lernzeit von allen und allem absonderte, was ihn hinderte, die volle Wirklichkeit und reine Wahrheit zu erfassen und von jeder Art von Vorläufigkeit und Scheinwirklichkeit zu unterscheiden. Als er schließlich durch Verinnerlichung, Vergeistigung und Versenkung bis auf den Grund des Seins vordrang, den vollen Durchblick bekommen und seine Wesensvollkommenheit als irdischer Mensch erreicht hatte, erfüllte ihn ein übermenschlich großes Mitleid und eine grenzenlose Liebe und Gelassenheit aller Unvollkommenheit gegenüber. Der Buddha ist diesen seinen Weg aus eigener Kraft gegangen und ist doch kein Selbsterlöser – er hat vielmehr ausgelotet, was im Menschen steckt, und hat den Weg zum transzendenten Heil gewiesen, das er – wie schon die großen Suchenden seines Volkes vor ihm – Nirvāna nannte. Doch er wusste im Gegensatz zu ihnen, wovon er sprach, und hat es deswegen inhaltlich unbestimmt gelassen, weil er wusste, dass es in menschlichen Begriffen ungreifbar ist.

Der katholische Theologe Hans Küng hat sich bei seiner »Spurensuche« auf den Wegen der Weltreligionen auch im Dialog zwischen Christentum und Buddhismus engagiert und zitiert dabei den großen christlichen Mystiker und Gelehrten Romano Guardini, der bereits 1937 in seinem Christusbuch »Der Herr« (S. 381) erkennen ließ, wie klar er die Bedeutung des Buddha für die gesamte Menschheit erkannt hat:

Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft. Vielleicht wird Buddha der letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinander zu setzen hat. Was er christlich bedeutet, hat noch keiner gesagt. Vielleicht hat Christus nicht nur einen Vorläufer aus dem Alten Testament gehabt, Johannes, den letzten Propheten, sondern auch einen aus dem Herzen der antiken Kultur, Sokrates; und einen dritten, der das letzte Wort östlich-religiöser Erkenntnis und Überwindung gesprochen hat, Buddha.

Der Buddha erklärte sich niemals bereit, seiner Lehre die Gestalt eines philosophischen Denksystems zu geben, er äußerte sich nicht zu philosophischen Fragestellungen und auch nicht über Inhalte, die kontrovers sind, weil sie die Vorstellungs- und Fassungskraft des irdischen Denkvermögens übersteigen. Auf viele Fragen antwortete er mit Gegenfragen oder – wie schon erwähnt – aus gutem Grund mit Erzählungen, Bildern und Gleichnissen oder auch mit denkunmöglichen Äußerungen, die man als Vorläufer der Koāns des japanischen Zazen-Buddhismus bezeichnen könnte.

Damit – und auch mit seinem Schweigen zu einzelnen Problemen – hat er zwar den einander widersprechenden Interpretationen seiner Schüler oder der verschiedenen Fahrzeuge des Buddhismus keinen Riegel vorgeschoben, ist sich aber stets treu geblieben und hat vage philosophische Spekulationen in keiner Weise gefördert.

Ein gutes Beispiel für die oftmals sokratisch anmutenden Dialoge des Buddha mit seinen Schülern ist der berühmte Dialog mit dem Mönch Mālunkyaputta, der sich darüber beklagt, dass der Buddha ihm auf Entweder-Oder-Fragen die Antwort schuldig bleibe:

Ist das Universum ewig oder nicht? Ist es endlich oder unendlich? Ist die Seele das gleiche wie der Körper oder ist sie von ihm unterschieden? – Der Mönch bittet ihn, präzise Antworten auf diese wesentlichen Unterscheidungsfragen zu geben – die man sich in Indien seit Jahrhunderten stellt – oder zuzugeben, dass er darauf keine Antwort wisse. Der Buddha erzählt ihm darauf die Geschichte von einem Mann, der von einem vergifteten Pfeil getroffen wurde. Ein herbeigeeilter Chirurg will ihn von dem Geschoss befreien, doch der Mann sagt: »Ich werde diesen Pfeil nicht herausziehen lassen, bevor ich weiß, wer mich getroffen hat, ob er ein Krieger oder ein Brahmane war, aus welcher Familie er stammt, ob er klein, groß oder von mittlerer Größe ist, aus welchem Ort er kommt und von welcher Art der Bogen ist, mit dem er mit dem Pfeil auf mich gezielt hat …« Der Mann starb, ohne Antworten auf diese vielen präzisen Fragen bekommen zu haben. Ebenso geht es dem Menschen, der sich weigert, den Weg der Heiligung zu gehen, bevor er dieses oder jenes philosophische Problem gelöst hat. Ich weigere mich, diese Fragen zu diskutieren, weil es nicht nützlich ist, weil es nicht mit dem heiligmäßigen und spirituellen Leben verbunden ist und nicht zum Ekel vor der Welt, zur Loslösung, zum Aufhören der Begierden, zur Ruhe, zum tiefen Eindringen, zur Illumination, zum Nirvāna beiträgt. Erinnere dich doch daran, dass ich dich die vier ›Edlen Wahrheiten‹ gelehrt habe. (Majjhimanikāya)

Die vier Edlen Wahrheiten


Die erste edle Wahrheit betrifft den Dukkha (= Leiden, Schmerz): Alles ist Leiden. Jeder Kontakt mit irgendeinem der fünf Skandha (= Aggregatzustände des Lebens) beinhaltet Dukkha. Und dieser Begriff beinhaltet auch Formen des Glücks, der Meditation usw., weil diese unbeständig sind.

Die zweite edle Wahrheit erkennt den Ursprung des Dukkha im Trsnhā (= Begierde, Durst, Verlangen), der beständig nach neuen Wonnen sucht – sinnliche Freuden, Fortbestehen, Auslöschen usw. –, was zu neuen Inkarnationen führt.

Die dritte edle Wahrheit verkündet, dass die Erlösung vom Dukkha in der Zerstörung des Trsnha besteht, was im Nirvāna Wirklichkeit wird – einer dem Bereich des Leidens und Werdens diametral entgegen gesetzten Ebene des Nicht-Bedingten (asamskrta): »Kein Auge, keine Zunge, kein Gedanke kann den Heiligen im vollkommenen Nirvāna erreichen, er ist außerhalb von Raum und Zeit.« (Samyutta-Nikāya IV, 52/3)

Die vierte edle Wahrheit schließlich offenbart den Weg der acht Glieder oder Edlen achtfachen Pfad zum Erreichen des Nirvāna: (1) rechte Meinung, (2) rechtes Denken, (3) rechtes Wort, (4) rechte Aktivität, (5) rechte Existenzmittel, (6) rechte Anstrengung, (7) rechte Aufmerksamkeit, (8) rechte Konzentration. – Diese acht Schlagworte geben nur die Richtung an, sie muss vom Einzelnen erst konkretisiert werden. »Rechtes Wort« meint z. B. Verzicht auf Lügen, Verleumdung, üble Nachrede, harte Worte, Geschwätz usw.

Die vier Edlen Wahrheiten werden auch Weg der Mitte genannt, da sie analog der indischen Medizin aufgebaut sind: Bestimmung der Krankheit / Entdeckung der Ursache / Entschluss zur Beseitigung der Ursache / Therapie mit geeigneten Medikamenten.

Die fünf Skandha (= Daseinsgruppen)


Der Meditierende entdeckt, dass sowohl die Dinge dieser Welt als auch er selbst keine Substanzialität haben und dass er dies im Grunde bejaht und sich gewöhnlich damit abfindet, weil alles in der Welt Existierende sich in die folgenden fünf Aggregatzustände einteilen lässt:

Die Gesamtheit der Erscheinungen (= des sinnlich Wahrnehmbaren, das sich aus den vier großen Elementen oder aus feinstofflicher Körperlichkeit zusammensetzt). Die Empfindungen (die durch den Kontakt mit den Sinnen entstehen und angenehm, unangenehm oder neutral sein können. Sie entstehen aus dem Kontakt der sechs inneren Organe – Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist – mit sechs äußeren Objekten: Aussehen, Geräusch, Geruch, Geschmack, Berührung, geistige Objekte).

Die Wahrnehmungen und Begriffe, die aus diesen Empfindungen entstehen.

Die bewussten oder unbewussten Geistesformationen oder psychischen Konstruktionen (samskara) oder Reaktionen des Willens auf die sechs äußeren Objekte.

Die Erkenntnisse bzw. das Bewusstsein (vijnana), welche(s) der »Geist« (manas) daraus gewinnt.

Mit den Begriffen dieser fünf Daseinsgruppen kann das ganze weite Feld der Lebenserfahrungen des Menschen beschrieben werden. Sie sind durchwegs bedingt, weil sie die vier Kennzeichen des Bedingten aufweisen: Entstehen und Vergehen, Bestehen und Wandel. Diese fünf Daseinsgruppen sind aber nicht das Selbst (atman), denn sonst wären sie nicht der Krankheit und Vergänglichkeit unterworfen und könnten nicht willentlich kontrolliert werden.

Die Welt, in der die Wiedergeburt in ihren fünf Formen stattfindet, besteht aus der Sinnenwelt (kāmadāthu) – in der die Höllenwesen, Tiere, Gespenster, Menschen und die niedere Götterwelt wiedergeboren werden –, aus der Feinkörperlichen Welt (rūpadhātu) – bewohnt von den siebzehn Klassen der Brahma-Götter – und aus der Unkörperlichen Welt (arūpyadhātu) – in der sich jene Götter aufhalten, die in reiner Geistigkeit existieren und sich der Seligkeit (samāpatti) erfreuen und über die Unendlichkeiten und den...