Vom Winde verweht

von: Margaret Mitchell

mehrbuch, 2020

ISBN: 9783967244830 , 987 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,49 EUR

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Vom Winde verweht


 

ERSTES BUCH


Scarlett O'Hara war nicht eigentlich schön zu nennen. Wenn aber Männer in ihren Bann gerieten, wie jetzt die Zwillinge Tarleton, so wurden sie dessen meist nicht gewahr. Allzu unvermittelt zeichneten sich in ihrem Gesicht die zarten Züge ihrer Mutter, einer Aristokratin aus französischem Geblüt, neben den derben Linien ihres urwüchsigen irischen Vaters ab. Dieses Antlitz mit dem spitzen Kinn und den starken Kiefern machte stutzen. Zwischen den strahlenförmigen schwarzen Wimpern prangte ein Paar blaßgrüner Augen ohne eine Spur von Braun. Die äußeren Winkel zogen sich ein klein wenig in die Höhe, und auch die dichten, schwarzen Brauen darüber verliefen in einer scharf nach oben gezogenen schrägen Linie von jener magnolienweißen Haut, die in den Südstaaten so geschätzt und von den Frauen Georgias mit Häubchen, Schleiern und Handschuhen ängstlich vor der sengenden Sonne geschützt wird. Reizend war der Anblick dieses Mädchens, wie es an einem sonnigen Aprilnachmittage des Jahres 1861 auf Tara, der Plantage ihres Vaters, mit Stuart und Brent Tarleton im kühlen Schatten der weiten offenen Veranda vor der Eingangstür des Hauses saß. Ihr neues Kleid aus grün geblümtem Musselin paßte genau zu den niedrigen grünen Maroquinschuhen, die ihr Vater ihr kürzlich aus Atlanta mitgebracht hatte. Zwölf Meter dieses duftigen Gewebes umbauschten mit der Krinoline ihre Hüften, so daß die ganze Schlankheit einer Taille, die in der Provinz ihresgleichen suchte, zur Geltung kam. Das knapp sitzende Mieder umschloß eine für Scarletts sechzehnjährige Jugend wohlgerundete Brust. Aber was halfen die Fülle des Kleides, das glatt zurückgestrichene Haar, der sauber im Netz festgehaltene Knoten, die Ruhe, mit der die kleinen weißen Hände im Schoß gefaltet lagen. Hinter so viel Sittsamkeit verbarg sich nur mühsam ihre wahre, unbändige Natur. In den grünen Augen blitzte und trotzte es und hungerte nach Leben, so wenig der mit Bedacht gehütete sanfte Gesichtsausdruck und die ehrbare Haltung es auch zugeben wollten. Das Benehmen war ihr von ihrer Mutter in milden Ermahnungen, von ihrer Amme in weit strengerer Zucht beigebracht worden. Die Augen aber waren ihr eigen.

Zu ihrer Rechten und Linken lagen lässig in ihre Sessel zurückgelehnt die beiden Tarletons. Durch die hohen Gläser voll Pfefferminz- Whisky blinzelten sie in die Sonne, lachten und schwatzten vergnügt und hatten die langen, vom Reiten gestählten, bis ans Knie gestiefelten Beine bequem übereinandergeschlagen. Beide waren sie neunzehn Jahre alt und übersechseinhalb Fuß hoch, hatten lange Knochen und feste Muskeln, sonnverbrannte Gesichter, kastanienrotes Haar und lustige, herrische Augen; beide steckten in den gleichen blauen Jacken und senffarbenen Reithosen und glichen einander wie eine Baumwollkapsel der anderen. Draußen sandte die späte Nachmittagssonne schräge Strahlen auf den Parkrasen vor dem Haus und übergoß die Ligustersträucher mit prangendem Licht, ein undurchdringliches weißes Blütenmeer vor dem saftigen Grün. Die Pferde der Zwillinge, große Tiere und ebenso rot wie das Haar ihrer Herren, waren in der Einfahrt angebunden. Zwischen ihren Beinen balgte sich eine Meute nervöser, magerer Jagdhunde, die Stuart und Brent auf Schritt und Tritt begleiteten. Etwas abseits, wie es sich für einen Aristokraten gehört, lag ein schwarz gesprenkelter Dalmatiner, die Schnauze auf den Pfoten, und wartete geduldig darauf, daß die jungen Herren zum Abendbrot nach Hause ritten.

Zwischen Hunden, Pferden und Zwillingen bestand eine tiefere Verwandtschaft, als sie aus beständigem Zusammensein hervorgehen kann. Alle miteinander waren es gesunde, temperamentvolle junge Tiere von geschmeidiger Anmut und unbeschwert von Gedanken, die Burschen ebenso reizbar wie die Pferde, die sie ritten, feurig und gefährlich und dabei fügsam, sobald jemand mit ihnen umzugehen verstand.

0bwohl sie in der Sorglosigkeit des Plantagenlebens geboren und seit frühester Kindheit nie ohne Bedienung gewesen waren, hatten die drei auf der Veranda weder schlaffe noch weiche Gesichter. Es lag etwas von der Kraft und Wachheit der Landleute darin, die ihr ganzes Leben im Freien zubringen und sich den Kopf wenig mit dem Gewicht der Bücher beschweren.

In der Provinz Clayton, im nördlichen Georgia, waren die Lebensformen nach Maßstäben von Augusta, Savannah und Charleston etwas rauh, und gesetztere ältere Kreise des Südens blickten sehr von oben herab auf die Leute von 0ber-Georgia; aber hier im Norden des Staates waren Mängel in den Feinheiten klassischer Erziehung keine Schande, wenn man nur schneidig in dem war, worauf es ankam: eine tadellose Baumwolle züchten, gut reiten, sicher schießen, gewandt tanzen, den Damen elegant den Hof machen und wie ein Gentleman seinen Schnaps vertragen.

In allen diesen Künsten waren die Zwillinge ebenso Meister wie in der schon berüchtigten Findigkeit, mit der sie allem, was zwischen Buchdeckeln beschlossen ist, aus dem Wege zu gehen wußten. Ihre Familie hatte mehr Geld, mehr Pferde und Sklaven als alle anderen in der Provinz, aber sie, die Söhne, wußten von der Grammatik weniger als die mittellosen weißen Kleinfarmer und Trapper aus der Nachbarschaft.


Und gerade darum stahlen Stuart und Brent an jenem Aprilnachmittag zu Tara ihrem Herrgott die Zeit. Sie waren soeben von der Staatsuniversität Georgias ausgewiesen worden, der vierten Universität, die sie im Laufe zweier Jahre hinausgeworfen hatte, und ihre beiden älteren Brüder Tom und Boyd waren mit ihnen heimgekommen, weil sie in einer Anstalt, wo die Zwillinge nicht gern gesehen wurden, nicht bleiben wollten. Stuart und Brent betrachteten ihre letzte Relegation als einen Hauptspaß, und Scarlett, die freiwillig kein Buch geöffnet, seitdem sie im Jahre vorher die Töchterschule in Fayetteville verlassen hatte, fand es gerade so lustig wie sie.


»Euch beiden macht es doch nichts aus, daß ihr hinausgeworfen seid, und Tom auch nicht«, sagte sie, »aber wie steht es mit Boyd? Er ist doch wohl auf Bildung versessen, und ihr beide habt ihn nun von den vier Universitäten der Staaten Virginia, Alabama, Südcarolina und Georgia vertrieben. In diesem Tempo wird er niemals fertig.«


»0h, er kann ja drüben in Fayetteville in Richter Parmalees Büro weiterstudieren«, antwortete Brent obenhin. »Übrigens, was liegt daran, wir hätten ohnehin vor Semesterschluß nach Hause g emußt.«


»Warum denn?«


»Wegen des Krieges, Gänschen. Er kann jeden Tag losgehen, und glaube doch nicht, daß irgend jemand von uns weiterstudiert, wenn es Krieg gibt.« »Du weißt ganz genau, daß es keinen Krieg gibt!« Scarlett langweilte sich. »Das ist alles nur Gerede. Ashley Wilkes und sein Vater haben Pa doch gerade vorige Woche erzählt, daß unsere Unterhändler in Washington wegen der Konföderierten Staaten mit Mr. Lincoln zu einem ... einem Freundschaftsvergleich kommen würden, und überhaupt haben die Yan kees viel zu große Angst, mit uns zu kämpfen. Es gibt keinen Krieg, und ich habe es satt, davon zu hören.«


»Keinen Krieg?« Die Zwillinge waren entrüstet, als sollte ihnen etwas, was ihnen zustand, unterschlagen werden.


»Aber Kind, natürlich gibt es Krieg«, sagte Stuart, »die Yankees mögen noch so bange vor uns sein, aber nachdem General Beauregard sie vorgestern aus Fort Sumter hinausgetrommelt hat, müssen sie einfach kämpfen, wenn sie nicht vor aller Welt als Feiglinge dastehen wollen. Siehst du, die Konförderierten Staaten ...«


Scarlett langweilte sich sehr und verzog vor Ungeduld den Mund.


»Wenn ihr noch einmal >Krieg< sagt, gehe ich ins Haus und mache die Tür zu. Nie im Leben habe ich ein Wort so satt gehabt. Pa redet morgens, mittags und abends davon, und alle die Herren, die ihn besuchen, schwatzen von Fort Sumter und dem Recht der Staaten und Abe Lincoln, daß es zum Auswachsen ist, und auch die Jungens reden nur davon und von ihrer dummen Truppe. Ich habe mich auf


keiner Gesellschaft mehr amüsiert, weil die Jungens von nichts anderem mehr reden können. Ich bin nur froh, daß Georgia mit seiner Lostrennung bis nach Weihnachten gewartet hat, sonst wäre mir die Weihnachtsgesellschaft auch noch verleidet worden. Wenn ihr wieder >Krieg< sagt, geheich hine in.«


Es war ihr voller Ernst. Sie konnte keine Unterhaltung lange ertragen, in der sie nicht der Hauptgegenstand war. Aber doch lächelte sie zu ihren Worten und wußte es dabei wohl einzurichten, daß ihre Grübchen noch tiefer wurden und ihre schwarzen Strahlenwimpern flink wie Schmetterlingsflügel aufund nieder klappten. Die Jungens waren entzückt und baten eilends um Entschuldigung, daß sie sie gelangweilt hatten. Angesichts solcher Teilnahmslosigkeit schätzten sie Scarlett keineswegs geringer, sondern eher noch höher. Der Krieg war Sache des Mannes, nicht der Frau, und Scarletts Verhalten war ihnen ein Beweis für ihre weibliche Natur.


So hatte sie sie glücklich von dem langweiligen Thema wegmanövriert und kam nun voller Eifer auf die unmittelbare Gegenwart zurück: »Was hat eure Mutter dazu gesagt, daß ihr wieder geflogen seid?« Den beiden war diese Frage sichtlich unbehaglich. Ihnen fiel wieder ein, wie ihre Mutter sich vor einem Vierteljahr verhalten hatte, als sie von der Universität Virginia weggemußthat ten.


»Nun«, sagte Stuart, »sie hatte noch gar keine Gelegenheit, etwas zu sagen. Tom ist heute morgen ganz früh, ehe sie aufstand, mit uns weggegangen und sitzt nun bei Fontaines herum, während wir hier sind.«


»Hat sie nichts gesagt, als ihr gestern nach Hause kamt?«


»Gestern abend hatten wir...