Goetheglut - Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

von: Bernd Köstering

Gmeiner-Verlag, 2011

ISBN: 9783839237168 , 278 Seiten

6. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 10,99 EUR

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Goetheglut - Der zweite Fall für Hendrik Wilmut


 

2. Kapitel


 

Dienstag, 24. August 2004. Der Tag, der mir Angst machte.

 

Es war bereits kurz nach Mitternacht, als die Zellentür hinter mir ins Schloss fiel. Ich zuckte zusammen. Die mächtigen Riegel rasteten ein. Als Kind hatte ich mich oft gefragt, wie es wohl in einer Gefängniszelle aussehen mochte, wie man sich fühlte, so allein. Doch jetzt, als ich es erlebte, interessierte mich das überhaupt nicht mehr. Ich war so erschöpft, dass ich mich nur noch auf die Pritsche legen und schlafen wollte. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, meine Kleidung auszuziehen. Als ich im Dunkeln dort lag, wollte die Müdigkeit jedoch nicht über mich kommen. Ein fremder Geruch störte mich, undefinierbare Geräusche ließen mich ein ums andere Mal aufhorchen. Ich drehte mich zur Wand und wieder zurück, meine Füße waren kalt und das Kissen zu dünn. Bilder zogen durch meinen Kopf: grüne Uniformjacken, ein lebloser Körper im Wasser, eine chromblitzende Espressomaschine, die mutterseelenallein mitten auf dem Rollplatz stand. Und dann kamen die Gedanken an den vergangenen Abend, an meine Festnahme und die Vernehmung.

 

Siggi hatte mich über meine Rechte belehrt. Während er im Hausflur wartete, packte ich ein paar Sachen zusammen. Einer der Uniformierten beobachtete mich dabei unablässig. Das sei so Vorschrift, meinte er. Selbst als ich auf die Toilette musste, kam er mit. Ich forderte ihn auf, mir wenigstens beim Packen zu helfen, was er jedoch ablehnte. Nach zehn Minuten hatte ich endlich alles beisammen.

Wir gingen stumm die Treppe hinunter. Erst im Streifenwagen sprach Siggi wieder mit mir. »Ich muss dich darauf hinweisen, dass ich ab sofort nur noch in Begleitung eines Kollegen mit dir sprechen darf. Wir bringen dich jetzt zur Vernehmung ins Polizeipräsidium.«

»Aber Siggi, du glaubst doch nicht etwa, dass ich diesen Fedor …«

»Balow«, ergänzte er.

»… dass ich den wirklich umgebracht habe?« Ich wartete jeden Moment darauf, dass Siggi in Lachen ausbrechen würde und sich das Ganze als schlechter Scherz herausstellte. Vielleicht kam auch irgendwo eine versteckte Kamera zum Vorschein.

»Was ich glaube, ist nicht von Belang«, antwortete Siggi förmlich, »fest steht, dass wir Beweise haben.«

»Beweise … mein Gott, was denn für Beweise?«

»Fingerabdrücke.«

Ich schluckte.

»In Balows Wohnung …« Er sah mich an. »Mensch, Hendrik, das sind zweifelsfrei deine Fingerabdrücke! Was hast du nur in dieser Wohnung gemacht?«

Ich stierte eine Weile vor mich hin, unfähig zu antworten.

»Hendrik?«

»Ich war noch nie in dieser Wohnung!« Meine Stimme klang schrill. »Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, ich hätte den Mann umgebracht?«

»Ich denke, du hältst jetzt besser den Mund.«

Wir fuhren zum Weimarer Polizeipräsidium am Rathenauplatz. Siggi führte mich durch die verwinkelten Flure des alten Gebäudes, das aus der NS-Zeit stammte. Die beiden Uniformierten begleiteten uns, es wurde nicht geredet. Zunächst erfolgte eine ›erkennungsdienstliche Behandlung‹, wie Siggi das nannte. Meine Fingerabdrücke wurden genommen, obwohl die ja offensichtlich schon vorhanden waren, meine persönlichen Daten aufgenommen und Fotos für die Verbrecherkartei angefertigt. Mein Foto zusammen mit den Visagen von Mördern und sonstigen Schwerkriminellen in derselben Kartei – unfassbar! Endlich erreichten wir den Vernehmungsraum: nüchtern, graubraune Wände, ein Tisch, Stühle, Telefon, ein Mikrofon. Nichts, was vom Zweck des Aufenthalts in diesem Raum ablenken konnte. Wenigstens war der Raum hell erleuchtet. Ich fühlte mich sehr unwohl. Zum Glück hatten sie mir keine Handschellen angelegt. Ich bekam Kaffee und Mineralwasser.

Kaum hatte ich mich gesetzt, wurde die Tür aufgerissen. Ein etwa 30-jähriger Mann stürmte herein, nach hinten gekämmte Gel-Haare, irgendein Boss-Armani-Lacoste-Shirt, italienische Schuhe.

»Was ist denn hier los?«, fragte er in den Raum hinein.

»Das ist KOK Meininger«, sagte Siggi in meine Richtung.

»Sie haben ihn ja schon geholt«, rief Meininger.

»Allerdings!«, antwortete Siggi.

Kriminaloberkommissar Meininger verzog sein Gesicht. »Ohne Handschellen?«

»Wie Sie sehen, ist er hier angekommen.«

»Ich übernehme ihn.«

»Natürlich«, antwortete Siggi, nicht mehr ganz so ruhig, und ging zur Tür. Er hatte mir vor ein paar Wochen erzählt, dass Kommissar Hermann, mit dem er viele Jahre gut zusammengearbeitet hatte, zum LKA nach Erfurt versetzt worden war und ihm stattdessen ›so ein junger Schnösel aus Berlin‹ als Mitarbeiter zugeteilt wurde. Ich hatte mir damals den Namen nicht gemerkt. Die Tür fiel ins Schloss.

Ich wackelte auf meinem Stuhl hin und her, unentschlossen, ob ich aufstehen oder sitzen bleiben sollte.

Meininger bemerkte das. »Bleiben Sie sitzen, Herr Wilmut!«

»Was ist denn los?«, fragte ich.

»Das geht Sie zwar eigentlich nichts an«, antwortete er betont gelassen, »aber damit Sie es gleich wissen, Ihr Freund Dorst wurde von dem Fall abgezogen, wegen Befangenheit.« Damit setzte er sich mir gegenüber, schickte einen der beiden Uniformierten hinaus und wies den anderen an, auf dem Stuhl neben der Tür Platz zu nehmen.

»Eigentlich war ich von Kriminalrat Lehnert beauftragt worden, Sie festzunehmen, Dorst ist mir zuvorgekommen. Ich werde das melden müssen.«

Ich grinste. »Tun Sie das.«

»Herr Wilmut, Ihnen wird vorgeworfen …«

»Ich weiß, was mir vorgeworfen wird. Ich soll einen Mann aus Tiefurt ermordet haben, das hat mir Sig… also Herr Dorst bereits erklärt. Sagen Sie mir lieber, was das soll, das ist doch absurd, ich kenne diesen Fedor Balow überhaupt nicht und habe in seiner Wohnung auch keine Fingerabdrücke hinterlassen!«

Meininger lächelte mildsüß. »Hat er Sie über Ihre Rechte aufgeklärt?«

»Ja, natürlich hat er das, also, was ist nun?«

»Wollen Sie einen Anwalt?«

»Weiß ich noch nicht, sagen Sie mir erst mal, wie Sie auf diese hirnverbrannte Idee kommen!«

Er drehte das Mikrofon zu mir herüber. »Ich weise Sie darauf hin, dass diese Vernehmung aufgezeichnet wird. Ich bin verpflichtet, Ihnen das zu sagen.«

Er wollte mich zappeln lassen, das war klar, mich schon vorab weichkochen. Nicht mit mir. »Vielen Dank für den Hinweis.«

»Bitte sehr!«

Ich sagte nichts.

Er sah mich spöttisch an. »Es sieht nicht gut aus für Sie.«

Ich reagierte nicht.

Meininger ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen. »Woher wissen Sie eigentlich von den Fingerabdrücken? Von KHK Dorst?«

Ich nickte.

Meininger hob die Augenbrauen. »Dazu war er nicht berechtigt.«

»Quatsch, Sie hätten mir das jetzt sowieso gesagt. Außerdem war er auch nicht dazu berechtigt, mich ohne Handschellen hierher zu bringen.«

»Ahaa …«, sagte Meininger gedehnt, »damit bestätigen Sie also, dass KHK Dorst vertrauliche Ermittlungsergebnisse an Sie weitergegeben und Sie entgegen der Dienstvorschrift ohne Handschellen hierher gebracht hat?«

Ich schwieg.

»Bestätigen Sie das, Herr Wilmut, oder nicht?« Seine Stimme wurde lauter.

Ich nickte.

»Wenn Sie nicken, hört man das auf dem Tonband nicht!«, rief er. »Also, bestätigen Sie das oder nicht?«

»Ja …«, antwortete ich.

»Lauter bitte!«

»Ja, verdammt noch mal!«, schrie ich und schoss aus meinem Stuhl hoch. Der Uniformierte an der Tür erhob sich sofort. Meininger winkte ab und blieb ruhig sitzen.

»Nehmen Sie bitte wieder Platz, Herr Wilmut!«

Ich setzte mich und nahm einen Schluck Wasser. Meine Hände zitterten. »Ich soll ein Mörder sein? Das ist ja lachhaft!«

Die Tür wurde geöffnet und ein Kollege reichte Meininger eine Akte, in die er kurz hineinsah. Dann wedelte er triumphierend mit dem Aktendeckel. »Hier ist der endgültige Beweis. Schöne klare Fingerabdrücke, Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand, alles auf einem Glas in der Spülmaschine. Sie müssen also mit ihm getrunken haben. Macht man ja nicht mit einem Unbekannten.«

»Und anschließend habe ich vergessen, die Spülmaschine anzustellen, oder wie?«

»Richtig, Herr Wilmut!«, erwiderte Meininger mit einem übertriebenen Kopfnicken.

Meine Stimme zitterte. »Das kann doch nur … ein Versehen sein, eine Verwechslung oder so etwas!«

»Nein.«

»Was heißt ›Nein‹?«

»Keine Verwechslung. Wir haben das mehrmals geprüft. Genauer gesagt, KHK Dorst hat es...