Trau dich doch - (K)ein Hochzeits-Roman

von: Ellen Berg

Aufbau Verlag, 2019

ISBN: 9783841217295 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Trau dich doch - (K)ein Hochzeits-Roman


 

Kapitel 1


Der schönste Tag im Leben – flaumiges Schweben, trommelndes Herzklopfen, himmelstürmendes Glück. Ein Tanz der ganz, ganz großen Gefühle. Unversehens geriet Amelie ins Träumen, und ein blütenumflorter Bilderstrom taumelte an ihr vorbei. Sie erinnerte sich an jede Sekunde ihrer Hochzeit. An den Brautstrauß aus pfirsichfarbenen Ambridge-Rosen, durchwirkt mit schimmernden kleinen Perlen. An die duftigen Tüllwolken, in denen sie zum Altar geschritten war, an ihren hartnäckigen Schluckauf, der fast das Ehegelöbnis gesprengt hätte. Und wie vor ihren Augen alles verschwamm, als Roland sie nach dem Ringetausch küsste. So sanft, so innig. Wie grenzenlos verliebt sie damals gewesen war …

»Wir brauchen einen Visagisten, einen Video-Artisten, einen Hochzeitssong!«, zerschnitt eine schrille Stimme die Luft.

Womit Amelie jäh aus ihren Blütenträumen gerissen wurde und in der Gegenwart landete. Genauer gesagt, in einem nüchternen Büro, in das soeben zwei Frauen gestürmt kamen, die sehr, nun ja, eigenwillige Vorstellungen vom schönsten Tag im Leben hegten.

»Wir brauchen Konfettikanonen mit Rosenblättern, ein spektakuläres Feuerwerk und, nicht zu vergessen, die Termine für Intimwaxing, Tan Shower, Wimpernkleben!«, rief Frau Trautwein, eine blondgesträhnte Mittfünfzigerin im beigefarbenen Kaschmirhosenanzug. »Wir brauchen noch so ziemlich alles, Frau Vogelsang! Und Sie? Sitzen hier nur rum? Ist das Ihre Vorstellung von Organisation?«

Herrje, manche Menschen glauben ernsthaft, je öfter sie den Fahrstuhlknopf drücken, desto schneller kommt der Aufzug, dachte Amelie innerlich seufzend. Frau Trautwein war so ein Mensch. Sie machte Druck. Sie sprach sehr laut. Und wieder einmal pochte sie darauf, alles müsse viel, viel schneller gehen, was sie mit hiebartigen Gesten ihrer üppig beringten Hände unterstrich.

Amelie hätte ihr gern mitgeteilt, dass es nun mal Dinge gab, die sich nicht von null auf hundert beschleunigen ließen. Schon gar nicht, wenn es um etwas so Wunderbares und Kompliziertes wie eine große Hochzeitsfeier ging. Stattdessen lächelte sie verbindlich, denn Frau Trautwein war nicht nur eine unfassbare Nervensäge, sie war vor allem eine wichtige Kundin von Wedding de luxe – Amelie Vogelsang & Team. Da hieß es, die Zähne zusammenzubeißen, bis es knirschte.

»Keine Sorge«, beteuerte sie. »Das Timing geht in Ordnung.«

»Ja, wie eine kaputte Uhr, die zweimal am Tag die richtige Uhrzeit anzeigt«, giftete Frau Trautwein.

Ihre Tochter, eine schlanke, wenngleich auffallend kurvig gestaltete junge Frau in Designerjeans und buntgemusterter Seidenbluse, hob theatralisch die Arme.

»Wenn Sie auch nur an-satz-wei-se wüssten, was Timing ist, hätten Sie uns schon was zu trinken angeboten.«

Na toll. Dabei waren die beiden doch gerade erst reingerauscht, unangemeldet wie ein Platzregen aus heiterem Himmel. Amelie stöhnte unhörbar. Wie war sie bloß auf den irren Gedanken verfallen, Hochzeitsplanerin sei ein romantischer Beruf? Manchmal fühlte es sich an, als müsste sie mit verbundenen Augen einen Jumbojet steuern, nebenbei für die Bordunterhaltung sorgen und obendrein Getränke servieren.

»So nehmen Sie doch bitte erst mal Platz«, sagte sie so freundlich wie möglich. »Was darf’s denn sein?«

Frau Trautwein setzte sich auf einen der mit weichem grauem Leder bezogenen Besuchersessel und schlug die Beine übereinander.

»Entkoffeinierter laktosefreier Vanilla Latte mit Süßstoff.«

»Für mich Jahrgangschampagner, gern von zweitausendacht«, ergänzte ihre Tochter.

Klar. So was hatte man ja dauernd irgendwo rumstehen. Amelie erhob sich, um die riesige chromglänzende Espressomaschine zu aktivieren, die auf einem silbergrauen Sideboard am Fenster stand.

»Latte kommt sofort, nur beim Champagner muss ich leider passen.«

»Kein Champagner?« Unwillig schüttelte Frau Trautwein junior ihr langes glänzendes Haar in einem raffinierten Honigton, den Amelie nur aus der Shampoowerbung kannte. »Was ist das denn für ein Saftladen hier?«

Eins stand mal fest: Die Tochter war mindestens so eine Klemmschwester wie die Mutter. Schon bei den Gesprächsterminen im luxuriösen Trautwein-Domizil, standesgemäß in München-Grünwald gelegen, hatte sie bei jeder Gelegenheit gezickt. Seitdem schien sich ihre Stimmung nicht gerade gebessert zu haben. Auch gut, sagte sich Amelie, wir wollen hier ja keine Freundschaftsbändchen flechten, nur eine Hochzeit vorbereiten.

Aufs Geratewohl drückte sie an der Espressomaschine herum und stellte einen weißen Porzellanbecher unter das Auslaufrohr. Dann wartete sie skeptisch. Sie und die Maschine waren nämlich nicht gerade die besten Freunde. Es handelte sich um eines dieser einschüchternden Hightech-Ungetüme, deren völlige Unverwendbarkeit sofort ins Auge sprang. Zu viele Knöpfe, zu viele Hebel, verwirrend viele Tasten, da konnte man von Glück reden, wenn das Ding überhaupt was ausspuckte. Allerdings war es ja auch nicht Amelies Kaffeemaschine. Dies war nicht mal ihr eigenes Büro. Und ob es sich um ihr eigenes Leben handelte, dessen war sie manchmal auch nicht ganz sicher. Wo blieb die gute Fee, die das vergangene Jahr ungeschehen machte? Ein Jahr, in dem sie fast alles verloren hatte, was ihr wichtig gewesen war?

Jetzt mal halblang, redete sie sich gut zu. Spar dir die sentimentale Rolle rückwärts, schau lieber nach vorn. Schlimmer kann’s eigentlich nicht mehr werden.

Gespannt beobachtete sie, wie mit viel Gezische und Geratter ein bräunliches Getränk aus der Maschine sprudelte, von dem sie inständig hoffte, dass es kaffeeähnlich schmeckte. Nachdem sie der Brautmutter den Becher gereicht hatte, setzte sie sich wieder an den Schreibtisch aus gehärtetem Glas, auf dem ein Laptop und eine Silberschale mit drei weißen Orchideen standen.

»Gnädige Frau«, Amelie beugte sich ein wenig vor, »ich werde alles so rasch wie möglich erledigen, wie unlängst besprochen.«

Doch Frau Trautwein, die an ihrem Latte-was-auch-immer nur genippt hatte, verzog das nach allen Regeln der kosmetischen Chirurgie gestraffte Gesicht. Im Rahmen der von ihrem Beauty Doc bemessenen Möglichkeiten sozusagen.

»Ihre Definition von ›rasch‹ ist genauso fragwürdig wie dieser Kaffee. Die Hochzeit meiner über alles geliebten Tochter Saskia findet bereits in drei Monaten statt. Ich will Ergebnisse sehen! Wo sind die weißen Tauben, die beim Jawort hochfliegen?«

»Sind bestellt«, versicherte Amelie.

»Stopp, stopp«, meldete sich die zukünftige Braut zu Wort, »ich will aber keine Tauben. Mein Hardy und ich, wir feiern doch auf Sylt, da würden Möwen besser passen.«

»Möwen?«, fragten Amelie und Frau Trautwein senior wie aus einem Mund.

Himmel noch eins. Es war Amelie ein Rätsel, wie man auf so eine hirnverbrannte Idee kommen konnte. Tagelang hatte sie mit sämtlichen Taubenzüchtern zwischen Husum und Bremerhaven telefoniert. Und das sollte jetzt alles umsonst gewesen sein? Andererseits gehörte es zu ihrer heiligen Pflicht und Routine, die Mediatorin zu spielen. Denn nie, wirklich nie waren sich Braut und Brautmutter über die Feierlichkeiten einig.

»Na ja«, sie schluckte, »Möwen sind ja letztlich auch nur, äh, Tauben mit Seepferdchenabzeichen, oder?«

Unauffällig schaute sie zur Uhr. Es war zwanzig vor zwei, und der Deal mit ihrem alten Kumpel Sebastian lief so: In seiner Mittagspause, von eins bis zwei, durfte sie das Schild Wedding de luxe – Amelie Vogelsang & Team – Wir geben Ihren Träumen eine Bühne neben die Tür seiner Büroetage hängen. Dort empfing sie ihre Kunden, in einem angenehm klimatisierten Raum mit hellgraugewischten Wänden und teuren Designermöbeln. Punkt zwei war’s vorbei. Dann hatte das Schild zu verschwinden, und darunter kam wieder die polierte Messingplakette mit dem Schriftzug Dr. Sebastian Hemmerle, Notar zum Vorschein.

Es war eine Notlösung. Nur so lange, bis die Hochzeitsagentur gut genug lief, damit sich Amelie solch ein Fünfsternebüro in bester Lage leisten konnte – hier am Münchner Odeonsplatz beispielsweise, mit Blick auf die imposante Feldherrnhalle. Oder wenigstens ein Zweisternebüro im Glockenbachviertel, wo sich Galerien, gemütliche kleine Cafés und Antiquitätenläden aneinanderreihten. Okay, ihr hätte auch ein Nullsternebüro in einer unspektakulären Gegend gereicht, Hauptsache, sie konnte vernünftig darin arbeiten.

Leider war Amelie noch weit davon entfernt. Erst vor einem halben Jahr hatte sie ihre Agentur gegründet, gleich nach der Scheidung, bei der sie komplett leer ausgegangen war. Selbst ihr angeblich mit allen Wassern gewaschener Anwalt war machtlos gegen die Finanztricks ihres Exmannes gewesen. Roland hatte das gesamte Vermögen in seine Charity-Aktion fließen lassen und angeblich so wenig Einkünfte, dass es nicht mal für einen anständigen Unterhalt reichte. Seitdem holperte Amelie finanziell auf der Felge und kämpfte tapfer um jeden Auftrag. Auch um diesen. Jetzt im Mai hatten Hochzeiten Hochsaison, für den Rest des Jahres sah es allerdings nach einer ziemlichen Flaute aus. Da kam die Trautwein-Heirat im August äußerst gelegen.

»Dressierte Möwen, schön, gar kein Problem«, nahm sie den Faden wieder auf.

Natürlich war es ein Problem. Sogar ein dickes, fettes. Unter Tierschutzgesichtspunkten sowieso, und was ein Möwenschwarm mit dem Fingerfoodbuffet unter freiem Himmel anstellen würde, wollte sich Amelie gar nicht erst ausmalen....