Wasenknaller - Kriminalroman

von: Michael Krug

Gmeiner-Verlag, 2018

ISBN: 9783839257043 , 277 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Wasenknaller - Kriminalroman


 

7. Kapitel


Palm steckte in einem Dilemma. Nachdem die Polizei die Identität des Mordopfers bekannt gegeben hatte, konnte er im Tagblatt darüber gerade mal so viel wie alle anderen berichten – und das war wenig. Oder er konnte mit seiner Kenntnis der Stuttgarter Szene die Spekulation und damit die Hysterie anheizen. Die erste Alternative bedeutete Langeweile, die andere ein großes Risiko, denn dafür musste er recherchieren, nachlegen – und wehe, es stellte sich nichts heraus. Sollte mit dem Mord an Johannes »Hansi« Vegesack in Stuttgart allerdings eine Art Banden­krieg begonnen haben, eine Abrechnung zwischen den Platzhirschen, müsste Palm nahe ran ans Geschehen, um immer an der Spitze der Informationsfront zu sein. Ein weiterer Aspekt des Risikos. Sein Ressortleiter Schlehenmeyer hatte schon geunkt: »Wenn der JJ morgen was vom Bandenkrieg schreibt, traut sich in Stuttgart keiner mehr auf die Straße. Dann kann man die Bürgersteige schon bei Einbruch der Dunkelheit hochklappen.«

Oder sollte er erst einmal direkt den Ermittler fragen? Bolz würde ihn angesichts der Brisanz auf Armlängendistanz halten. Es sei denn, er könnte ihm etwas bieten. Um seine Arbeit/Familie-Balance wäre es in der nächsten Zeit geschehen, dabei war man gerade dabei, sich harmonisch einzupendeln. Der Nervenstress war zurückgegangen, soweit die zwei angeheirateten pubertierenden Söhne dies zuließen. Neulich hatte ihn Inge sogar gelobt. Auf sie würde der inzwischen fast 18-jährige Björn nicht hören, von seinem Ersatzvater JJ ließ er sich jedoch ab und zu Erfahrungen über die Risiken von Gras und Alkohol erzählen. Palm war in seinen Sturm- und Drangjahren der seinerzeitigen Drogenmode nie ganz und gar erlegen. Über Probieren von allem, was der Markt an vermeintlich harmlosem Stoff bot, gingen seine Erfahrungen nicht hinaus. Der erste Joint hatte bei ihm Übelkeit ausgelöst, sodass er den Zweitversuch lange hinauszögerte. Das ging zunächst besser, führte in Kombination mit reichlich billigem Rotwein aber zu einem Filmriss und tags darauf zu einem solchen Kater, dass er jederzeit spontan geschworen hätte, Drogen nie wieder anzurühren. Das wäre ihm fast gelungen, hätte er sich nicht ein Jahr später bei einer Semesterabschlussfete zum Schnupfen von Kokain verleiten lassen. Nein sagen wäre aber ganz unmöglich gewesen, wurde ihm das weiße Pulver doch von einer aus Schweden stammenden und unwiderstehlich aussehenden Kommilitonin angeboten. Um sich ihr voll und ganz nähern zu können, hätte Palm damals alles geschnupft oder geschluckt, was man ihm geboten hätte, notfalls in einen ekelhaften Surströmming gebissen. Die Erinnerung an alles, was in den folgenden zwei Stunden passierte, hatte sich ihm trotz seiner Narkotisierung bis in jedes Detail so in seinem haptischen und fotografischen Gedächtnis eingebrannt, dass er dieses Erlebnis seit Jahrzehnten in der Erinnerung genoss. Gegenstand seiner Erörterung mit Björn war das natürlich nicht. Palm beschränkte sich einerseits auf das Verständnis dafür, dass man vieles im Leben mal ausprobieren, aber sehr diszipliniert im Griff behalten müsse. Wie in solchen Fällen üblich, behauptete sein Ziehsohn, genau das sei bei ihm der Fall: »Klar, hab’ ich das im Griff, Alter. Mach ich, wenn ich will, ich muss aber nicht.« Palms Hinweise auf zurückgehende Verlässlichkeit bei Absprachen und deutlich nachlassende Fürsorge für die schulischen Pflichten führten nicht zu spontaner Zustimmung. Immerhin gewann er Björns Aufmerksamkeit mit dem Hinweis, dass in seiner Erfahrung Frauen keinerlei Präferenz für Drogenkonsumenten zeigten, sondern diese Neigung als zweifelhafte Labilität interpretierten.

»Wenn eine den Eindruck hat, du stehst eher auf den Stoff als auf sie, stärkt das nicht deine Attraktivität. Frauen suchen starke Typen, die ohne das Zeugs auskommen.« Wie stark solche Diskussionen halfen, blieb offen. Palm konnte nur raten, in welchem Kreis der Drogenhölle Björn bereits angelangt war. Immerhin schien das anstehende Abitur nicht gefährdet. So glomm immerhin ein Funken Hoffnung. Illusionen indes bezüglich überdurchschnittlicher Ergebnisse waren nicht mehr im Spiel. Und danach? Erst mal den nächsten Schritt tun, dann würde man weitersehen. Mit einfachen Weltsichten war der Alltag besser zu bewältigen. Das hatte sich auch im Hause Palm durchgesetzt.

Die zeitlichen Anforderungen der Familie waren inzwischen durch den jüngeren der beiden Stiefsöhne gestiegen, genauer gesagt durch dessen sportlichen Ehrgeiz. Schon als Kind hatte Falk – ganz wie einst sein leiblicher Vater – einen Hang zum Tennis und ebenso Talent dafür entwickelt. Neben den Mannschaftsterminen war er inzwischen als Einzelspieler unterwegs, natürlich mit Trainer – und den unterstützenden und bewundernden Eltern. Somit war die Agenda für viele Wochenenden des Jahres vorgegeben. Palms Begeisterung dafür hielt sich mit dem Gefühl, in die Pflicht genommen zu werden, die Waage. Seinem Naturell entsprechend war er eher als nüchterner Begleiter denn als feuriger Fan mit dabei.

»Falk hätte mehr Enthusiasmus von dir verdient«, tadelte ihn Inge dafür gelegentlich. Realistisch, wie sie selbst nun mal war, forderte sie aber nicht mehr, als JJ an Engagement aufbringen konnte. Seit JJs Wiedereinzug bei der Familie in Fellbach lief der Alltag einerseits weniger gedrängt und hektisch ab als während ihrer Phase als alleinerziehende Mutter. Andererseits forderte JJ alleine durch seine Präsenz Aufmerksamkeit und interpretierte persönliche Zuwendung oft als Einladung zum spontanen intimen Zusammensein, selbst wenn ihr lediglich nach einer Streicheleinheit zumute war. So ging sie damit wie schon früher bewusst und dosiert um, obwohl dies sicher mit ein Grund für JJs gelegentliche Eskapaden mit anderen Frauen war. Davon ahnte sie etwas, wollte es aber nicht wirklich wissen, und sagte sich pragmatischerweise, dass Klarheit darüber das Leben bestimmt nicht leichter machen würde. Immerhin wertete sie JJs verstärkte häusliche Präsenz als Beweis für die Stabilität ihrer Beziehung.

Palm waren die Empfindungen seiner Frau durchaus bewusst. Ständige Absenzen verunsicherten sie. Also: Wie lange würde ihn der Szene-Mord binden und auf der Straße statt zu Hause auf der Couch halten? Wenn es schnell ging, ein paar Tage, könnte sich aber auch über Wochen hinziehen. Der Ärger zeichnete sich also ab. Aber: War er nun Journalist, also ein richtiger, oder nicht? Also: Was könnte er Bolz bieten, um mehr zu erfahren? Palm erinnerte sich an sein morgendliches Telefonat mit Herrlein, dem Pressemann im Rathaus. Herrlein war keine Plaudertasche, die sich ständig wichtigmachen wollte. Wusste er aber etwas, konnte er es schwer verbergen, der Wahrheit zu sehr verpflichtet, als es seine Profession gelegentlich gebot. Vielleicht war er so kurz vor Mittag zur Duz-Form aufgelegt.

»Hallo, Egon«, flötete Palm in sein iPhone, »hat sich der Rauch über Cannstatt verzogen? Ist der Wasen wieder begehbar? Ich bin gespannt, was du inzwischen weißt.«

»Ob der Wasen programmgemäß läuft?«

»Klar, hat sogar schon der MP heute Morgen verkündet.«

»Der hat gar nichts verkündet. Mit so schlechten Gedanken finden wir beide nie mehr aus der Hölle, lieber JJ. In welchem Kreis sind wir denn jetzt angekommen?«

»Alles noch harmlos, vermute ich. Aber was fragst du mich? Ich dachte, du führst uns hier raus.«

»Dazu müssten wir erst ins Zentrum gelangen, den neunten Kreis. Das ist entweder eine Mörder- und Ganoven­höhle oder die Landesregierung.«

»Von den einst Regierenden waren bei Dante viele in der Hölle. Da würden wir auch in Stuttgart einigen begegnen.«

»Allerdings leiden die nicht so richtige Höllenqualen.«

»Wissen wir’s? Aber zurück zur PK unseres Freundes Knarzmann und zum Wasen. Er geht am Samstag hin. Okay, hatte aber gar keiner angezweifelt. Und dass das Volksfest weitergeht? Hat niemand bezweifelt. Was geht den das eigentlich an?«

»Eigentlich nichts«, bekräftigte Herrlein. »Man hat ihn halt gefragt.«

»Ja, aber zu dem Vorfall. Er hätte weiter gar nichts sagen müssen. Oder: Fragt im Rathaus, wie’s auf dem Wasen weitergeht.«

»Hat er aber nicht.«

»Und hat das einen Grund?«

»Nichts geschieht ohne Grund, aber den dafür kennt keiner.«

»Na, jetzt aber – keiner? Auch nicht der Herr Pressesprecher oder sein OB?«

»Hör her, JJ, in diesem Falle wirst du den Schultes selber fragen müssen.«

»Dazu bräuchte ich meinen Führer durch das Rathaus. Welchem Höllenkreis wollen wir das zuordnen?«

»Hier findest du Schmeichler und Heuchler wie überall in der Politik. Die sitzen in Dantes Hölle zur Strafe in der Kloake, müssen sich im Kot wälzen.«

»Einen kleinen Vorgeschmack dazu haben die in diesem Gewerbe doch täglich«, spottete Palm mit professionellem Sarkasmus.

»Jetzt aber aufgepasst, Herr Journalist: Die Verräter und Lügner erleiden erst in einem nächsten Kreis ihre Qualen. Da pass mal einer auf!« Herrlein kannte seinen Dante halt ganz gut.

»Noch mal zur Pressekonferenz: Warum hat sich der MP auf der Pressekonferenz dazu geäußert?«

»Mein Name ist Hase«, winkte Herrlein mit so heftig wegwerfender Hand ab, dass Palm dies beinahe durchs Telefon spürte.

Das war deutlich. Palm bedankte sich. Das war mehr, als er erhofft hatte. Um Weiteres zu erfahren, musste man nun bluffen. Auf Bolz’ Handy antwortete ein Anrufbeantworter. Warum also nicht auf der Festnetznummer im Präsidium anrufen?

»Gromer, Apparat Bolz«, war zu hören. »Nein, Herr Bolz ist nicht im Präsidium … Was es...