Kalte Rache - heißes Herz?

Kalte Rache - heißes Herz?

von: Kate Walker

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783862950324 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,49 EUR

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Kalte Rache - heißes Herz?


 

1. KAPITEL

Regen prasselte herab, und jeder neue Windstoß peitschte ihr Wasser ins Gesicht. Trotzdem fiel es Sadie nicht schwer, den Weg zu dem Bürogebäude zu finden, in dem sie schon früh am Morgen einen Termin hatte. Seit sie aus der U-Bahn-Station gekommen war, schienen ihre Füße wie von selbst die richtige Richtung zu kennen.

Zum ersten Mal seit Jahren war sie wieder in dieser Gegend, aber noch immer erschien ihr hier alles sehr vertraut. Damals wäre sie mit dem Taxi gekommen oder sogar in einem Wagen mit Chauffeur. Dieser hätte sie natürlich direkt vor der Tür abgesetzt und wäre ihr auch noch beim Aussteigen behilflich gewesen. Damals, als das Büro noch ihrem Vater gehörte. Aber dies war Vergangenheit. Jetzt befand sich hier die Geschäftszentrale des Mannes, dessen erklärtes Ziel es war, Sadies Familie zu ruinieren. Aus Rache dafür, wie man ihn behandelt hatte.

Es war ihm gelungen – vielleicht sogar gründlicher, als geplant.

Tränen mischten sich in die Regentropfen, die Sadie über die Wangen liefen. Während sie auf die gläsernen Eingangstüren zumarschierte, musste sie immer wieder blinzeln. Auf den Scheiben leuchtete in riesigen Goldlettern der Name Konstantos, und zwar genau dort, wo früher der Name ihres Vaters – ihrer Familie – zu lesen war. Schmerzhaft zog sich ihr der Magen zusammen.

Würde es ihr jemals gelingen, dieses Gebäude zu betreten, ohne an ihren Vater zu denken? Seit einem halben Jahr war er nun tot, und der Mensch, der ihm alles genommen hatte, stand jetzt an der Spitze des Unternehmens, das ihr Urgroßvater aus dem Nichts aufgebaut und zu einem Imperium gemacht hatte.

„Nein, niemals!“, murmelte sie, warf ihre langen kastanienbraunen Haare in den Nacken und öffnete die Tür. Mit einem entschlossenen Ausdruck in den grünen Augen steuerte sie auf den Empfang zu. Die Absätze ihrer Pumps ließen jeden Schritt auf dem Marmorfußboden des Foyers widerhallen.

„Nein!“, flüsterte sie wieder.

Niemals würde sie es den bitteren Erinnerungen erlauben, die Gegenwart zu überschatten und ihre hart erkämpfte Entschlossenheit ins Wanken zu bringen. Sie hatte sich vorgenommen, in die Höhle des Löwen zu gehen, und nichts würde sie aufhalten. Es war ihre letzte Chance. Sie würde ihn bitten – wenn es sein musste, sogar auf Knien anflehen –, ihnen noch diesen einen Aufschub zu gewähren. Es wäre nicht auszudenken, wie es sonst weiterginge. Nicht nur für Sadie selbst, sondern auch für ihre Mutter und ihren kleinen Bruder. Eine Schwäche konnte sie sich jetzt einfach nicht leisten.

„Ich habe einen Termin mit Mr. Konstantos … Nikos Konstantos“, teilte sie der Empfangssekretärin mit.

Sie hoffte, das Zittern in ihrer Stimme würde nicht verraten, wie schwer es ihr fiel, diesen Namen auszusprechen. Seinen Namen. Den Namen des Mannes, den sie einst bedingungslos geliebt hatte. Den Namen, der beinahe auch ihrer geworden wäre – für immer. Zumindest hatte sie das geglaubt, bis ihr schmerzlich klar wurde, dass sie nur eine Schachfigur in einem Machtspiel war – einem sehr grausamen Spiel, in dem es um Rache und Vergeltung ging. Und um Wunden, die schon vor sehr langer Zeit geschlagen worden, die nie verheilt waren und das Leben aller Beteiligten noch immer stark beeinträchtigten – ihr eigenes eingeschlossen.

„Wie ist denn Ihr Name?“, erkundigte sich die Dame am Empfang freundlich.

„Carter“, antwortete Sadie und blickte verlegen zu Boden. „S…Sandie Carter“. Eine Lüge!

Trotzdem hatte sie keine andere Wahl. Niemals wäre Nikos Konstantos bereit, sie unter ihrem wirklichen Namen zu empfangen. Kühl und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, würde er ablehnen. Und Sadie würde sich weiter so fühlen, wie das seit Anfang der Woche der Fall war – mittellos, verloren und völlig verzweifelt.

Auch jetzt war sie nicht gerade optimistisch, wenn sie an das Gespräch dachte. Immerhin aber wurde sie erwartet, wie ihr die Sekretärin nach einem Blick auf eine Liste im Computer bestätigte.

„Ich bin etwas früh dran“, entschuldigte Sadie sich. Das war leicht untertrieben, denn tatsächlich war sie viel zu früh dran. Sie hatte noch über eine halbe Stunde Zeit. Ihre innere Unruhe hatte sie weitaus früher als nötig aus dem Haus getrieben.

„Das macht nichts. Eigentlich passt es sogar recht gut“, erwiderte die Sekretärin zu Sadies Überraschung. „Ich sehe gerade, ein Termin wurde abgesagt – das heißt, Mr. Konstantos kann Sie sofort empfangen.“

„Oh, danke“, stieß Sadie hervor. Das war alles, was ihr einfiel.

Sie hatte sich vorgenommen, den Stier bei den Hörnern zu packen, und nun würde sie die Sache auch durchziehen. Dennoch zitterten ihr die Knie beim Gedanken daran, Nikos gegenüberzutreten – noch dazu in dem Büro, in dem einst ihr Vater gesessen hatte. Welcher Teufel hat mich nur geritten, hierherzukommen? fragte sie sich kleinlaut. Wie konnte ich nur annehmen, ich würde dieser Begegnung gewachsen sein? Der ersten Begegnung nach fünf Jahren – in dem Gebäude, das sie so sehr an den Untergang des Familienunternehmens erinnerte.

„Vielleicht sollte ich doch …“, begann sie zögernd. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob sie das alles durchstehen konnte. Ich erfinde einfach eine Ausrede, dachte sie, einen anderen Termin … meine Mutter hat angerufen … irgendetwas. Hauptsache, ich komme hier heraus, bevor ich ihm …

„Mr. Konstantos …“

Allein am Gesichtsausdruck der Empfangsdame, ihrem Lächeln und dem Tonfall ihrer Stimme hätte Sadie schon erkannt, wer soeben das Foyer betreten hatte – auch ohne, dass der Name gefallen wäre.

Die Dame deutete mit einer leichten Kopfbewegung zu Sadie hinüber und runzelte verwirrt die Stirn, als diese keinerlei Anstalten machte, sich umzudrehen.

„Wie sieht es mit meinem Zehnuhrtermin aus?“

„Die Dame ist gerade eingetroffen.“

Sadie erstarrte, und ihr Kopf war plötzlich ganz leer. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen … außer dem einen, dass er hinter ihr stand.

Nikos Konstantos war unmittelbar hinter ihr. Im nächsten Augenblick würde ihm klar werden, wer sie war.

Seine Stimme … Obwohl nur ein paar Worte gefallen waren, ließ der tiefe, raue Klang Sadie abwechselnd heiße und kalte Schauer über die Haut laufen. Zu einer anderen Zeit hatte diese Stimme ihr im Dunkel der Nacht Worte des Begehrens ins Ohr geflüstert und ihr den Himmel auf Erden versprochen. Und sie war so hingerissen gewesen von diesem sinnlichen Akzent, so bezaubert von der Atmosphäre der Leidenschaft und Verheißung, dass sie jedes Wort für bare Münze genommen hatte.

Jede einzelne seiner Lügen.

„Mrs. Carter?“

Ihr langes Schweigen hatte das Gegenteil von dem bewirkt, was sie sich wünschte. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst oder wäre im dem eleganten Marmorfußboden versunken. Stattdessen war die Sekretärin nun irritiert, sodass sie mit einem fragenden Blick versuchte, Sadie erneut auf den Mann aufmerksam zu machen, der hinter ihr stand.

Auf den Mann, der längst bemerkt haben musste, dass mit dieser Frau da vorne etwas nicht stimmte. Jeder vernünftige Mensch hätte sich gefragt, warum sie so steif und unbeweglich dastand und es an den Grundregeln der Höflichkeit fehlen ließ.

Wenn sie sich jetzt nicht einen Ruck gab und sich umdrehte, würde sie sich nur noch verdächtiger machen und riskieren, dass Nikos misstrauisch wurde. Energisch straffte sie die Schultern, atmete tief durch und drehte sich um … und fand sich von Angesicht zu Angesicht dem Mann gegenüber, den sie einst für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte.

Natürlich erkannte er sie sofort – gleichgültig, wie sehr sie sich innerhalb der letzten fünf Jahre verändert haben mochte. Und verändert hatte sie sich – sehr sogar. Das war unvermeidlich bei dem, was hinter ihr lag. Es war nichts mehr übrig geblieben von dem jungen, glücklichen und unbedarften Mädchen, das Nikos damals kennengelernt hatte. Derselbe Nikos, dem sie jetzt gegenüberstand. Sie konnte beobachten, wie ein Schatten über sein Gesicht huschte. Er presste die Lippen zusammen, und seine Wangenmuskeln waren deutlich angespannt. Gleichzeitig stahl sich etwas in seinen Blick – etwas Wildes und Gefährliches, sodass es Sadie eiskalt den Rücken hinunterlief.

„Du!“, stieß er hervor. Nur dieses eine Wort. Aber mehr brauchte er auch nicht zu sagen. Allein in diesem Wort lagen so viel Verachtung und offene Feindseligkeit, dass Sadie förmlich das Blut in den Adern gefror.

„Ja, ich. Hallo Nikos“, sagte sie betont forsch, um ihre Nervosität zu überspielen. Ein Fehler, wie sie sofort erkannte, denn Nikos’ Brauen zogen sich drohend zusammen.

„Wir gehen in mein Büro – sofort!“ Abrupt drehte er sich um und eilte durch das Foyer, ohne sich auch nur noch einmal umzusehen. Offensichtlich hatte er nicht den geringsten Zweifel daran, dass Sadie nachkommen würde. Dass ihr nichts anderes übrig blieb, als seinem Befehl zu gehorchen.

Leider lag er mit dieser Vermutung genau richtig. Sadie hatte zwei Möglichkeiten. Entweder sie folgte ihm in sein Büro, oder sie ging sofort wieder. Aber was dann? Das Schlimmste habe ich ja schon hinter mir, tröstete sie sich. Ich habe mich in die Höhle des Löwen gewagt. Eigentlich kann mir ja jetzt nichts mehr passieren.

Oder vielleicht doch? Immerhin war ihr fester Vorsatz, ruhig und gefasst aufzutreten, bereits gescheitert.

...