Der Operator - Wie ich Osama bin Laden getötet habe. Mein Leben als Navy SEAL Sniper

von: Robert O'Neill

riva Verlag, 2017

ISBN: 9783959719131 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Der Operator - Wie ich Osama bin Laden getötet habe. Mein Leben als Navy SEAL Sniper


 

Kapitel Eins


Ich schulde meine Laufbahn als Navy SEAL einem Mädchen. Da bin ich nicht der erste und sicher auch nicht der Letzte.

Sie war jünger als ich, brünett, sah aus wie ein Supermodel, konnte gut tanzen und besaß – der Schlüssel zu meinem Herzen – einen guten Sinn für Humor. Als ich sie zum ersten Mal küssen wollte, schloss ich meine Augen zu früh, und ich hörte sie sagen: »Äh, was soll das werden?«

»Ich küsse dich gleich.«

»Bevor du mit mir ausgehst, sicher nicht«, sagte sie.

»Also gut. Gehst du morgen mit mir aus?«

»Hol mich um sieben Uhr ab«, sagte sie, küsste mich innig – auf jeden Fall besser, als ich verdient hatte – und verschwand ins Haus.

Am nächsten Abend holte ich sie um Punkt sieben ab und fuhr sie, spendabel wie ich war, zu Taco Bell. Sie aß eine große Portion Nachos und drei weiche Tacos Supreme.

Sie war ein hübsches Mädchen mit einer tadellosen Figur und dem Appetit eines Holzfällers. Ich hatte keine Ahnung vom Leben, aber ich glaubte, ich sei verliebt.

Als ich die Highschool in Butte, Montana, abschloss – dieselbe Schule, die schon mein Großvater und mein Vater besucht hatten – und mich dort an der Montana Tech einschrieb, ging dieses Mädchen immer noch zur Schule. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, das besagt: Wenn man aufs College geht, hat man keine Freundin, die noch an der Highschool ist. Also ließ ich mich immer seltener bei ihr blicken, obwohl ich trotzdem hin und wieder an sie denken musste. Sie lebte ihr Leben an der Highschool, traf sich mit Freunden und ging tanzen, was Jugendliche eben so tun. Aber ich wollte beides, meinen Spaß und sie in der Hinterhand. So gingen mehrere Wochen ins Land, bis ich schließlich durchdrehte, als ich erfuhr, dass sie den Tag mit einem Jungen aus der Highschool verbracht hatte. Nachdem ich mir ordentlich Mut angetrunken hatte, fuhr ich zu ihr nach Hause, um sie zur Rede zu stellen, und blamierte mich sehr schnell in Grund und Boden.

Ihr Vater, ein bulliger Italoamerikaner mit dunklen Haaren, dichtem Schnurrbart und kantigem Kinn, war ein stadtbekanntes Raubein. Er besaß eine Firma für die Errichtung und Beförderung von Fertighäusern. Ich war mir sicher, dass er kein Problem damit haben würde, auch mich vor die Tür zu befördern. Aber er hatte Mitleid. Statt mich k. o. zu schlagen, was mehr als gerechtfertigt gewesen wäre, packte er mich und schob mich entschlossen zur Tür hinaus.

Diese Güte löste so etwas wie eine außerkörperliche Erfahrung aus. Als er seinen eisernen Griff um meinen Ellbogen lockerte und mich in die Nacht stieß, war es so, als sähe ich mich selbst als Außenstehender. Und was ich sah, gefiel mir nicht. Wenn ich so weitermachte wie bisher, würde alles mit der Zeit nur schlimmer werden. Ich würde einer jener Männer werden, die für immer in Butte blieben und über einem Bier darüber jammerten, dass früher alles besser war.

Mir war also klar: Ich musste gehen.

Ich war noch sehr unerfahren, aber ich dachte, dass man Butte nur verließ, um dem Militär beizutreten. Obwohl ich diese Option nie zuvor in Betracht gezogen hatte, stand in jenem Augenblick mein Entschluss fest. Die Zukunft, die Vorsehung, oder was auch immer, nahm ihren Lauf.

Heute würde man vielleicht sagen, dass ich ein »freilaufendes Kind« war. Am Samstagmorgen war ich nach dem Frühstück gleich draußen und kam erst wieder, wenn die Straßenbeleuchtung anging. Wir Kinder zogen in Gruppen durch die Straßen. Wir überfielen uns gegenseitig mit Spielzeugpistolen und spielten Ninja, sprangen von Dächern und trieben allerhand Unsinn, den ich meinen Kindern natürlich untersagen würde. Wir gingen in die Butte Plaza Mall und sahen uns dort Rambo im Kino an. Das war ziemlich cool. Jeder wollte der Held sein, der die Schurken mit seinem M60 ins Jenseits befördert. Aber für mich war das alles Fantasie, nicht realer als die immer realistischer wirkenden Ego-Shooter, die ich mit meinen Freunden zockte. Das Militär spielte in meinem Leben nie wirklich eine große Rolle. Ich hatte nicht vor, Soldat zu werden, deshalb dachte ich auch nicht wirklich darüber nach. Ich wollte nur spielen, Tarnkleidung tragen und so tun, als würde ich meine Freunde erschießen.

Auf den ersten Blick scheint Butte kein besonders idyllischer, kinderfreundlicher Ort zu sein. Die Stadt ist eine Bergarbeitersiedlung, die ihre besten Jahre Anfang des 20. Jahrhunderts hatte, als jede Gewehrpatrone, die während des Ersten Weltkriegs über den großen Teich verschifft wurde, aus Kupfer war – das hauptsächlich in Butte gefördert wurde. Das Bevölkerungswachstum war 1920 auf einem Höchststand, als die Stadt 100.000 Einwohner zählte, doch als ich auf die Welt kam, war sie bereits um zwei Drittel geschrumpft. Die Wohnviertel wuchsen praktisch direkt neben den Tagebaugruben, und die gesamte Stadt war auf einem Plateau errichtet, das neben der größten Grube stand, Berkeley Pit – eine gewaltige, außer Betrieb gesetzte, offene Kupfermine, die anderthalb Kilometer breit und fünfhundert Meter tief war. Zwischen ihrer Eröffnung im Jahre 1955 und ihrer Schließung am Tag der Erde 1982 waren ihren Tiefen eine Milliarde Tonnen Erz und Gestein entrissen worden. Nachdem die Grubenpumpen zum letzten Mal ausgeschaltet worden waren, stieg das Grundwasser langsam an, wodurch Säuren und Schwermetalle aus der klaffenden Wunde in der Erde nach oben sickerten. Das Wasser, das sich in der Grube sammelte, war so giftig, dass es jede Gans, die auf die dumme Idee kam, dort zu landen, sofort umbrachte.

Aber ich richtete meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge in Butte, speziell auf die Metallringe, die drei Meter über dem Turnhallenboden hingen, wie auf die Hirsche, Elche und Gabelböcke, die in den unberührten Rocky Mountains lebten, die auf der anderen Seite der Stadt wie ein zu Stein gewordener Tsunami emporragten.

Mein Vater, der Sohn eines Minenarbeiters, war Aktienhändler und meine Mutter Mathematiklehrerin (ich hatte sie dreimal als Lehrerin – in der siebten und achten Klasse und dann wieder in der Highschool). Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich sechs oder sieben Jahre alt war. Für mich war es völlig normal, getrennt lebende Eltern zu haben. Ich erinnere mich nicht daran, dass es jemals anders gewesen wäre. Mein Vater war nie weit weg und immer da, wenn wir ihn brauchten, aber normalerweise besuchten meine Geschwister und ich ihn an jedem zweiten Wochenende. Das war für uns in Ordnung; alle unsere Freunde wohnten nicht weit weg von dem Haus, in dem wir Kinder mit unserer Mutter lebten, und wir spielten an den Wochenenden vor allem draußen: Verstecken, Fangen, Krieg, Ninjas, oder wir kletterten und sprangen vom Dach. Wir spielten immer gemeinsam, nur nicht beim Klettern oder Springen. Kris, meine ältere Schwester, wollte nichts davon wissen. Aber ich konnte meine drei Jahre jüngere Schwester Kelley zum Mitmachen überreden. Sie wollte um jeden Preis zur Clique gehören. Also gingen wir aufs Dach und sprangen herunter. Heute würde ich meinem Sohn eine Standpauke halten, wenn er einen solchen Unfug machen würde, aber als Kind dachte ich nicht an die möglichen Gefahren. Es machte einfach nur Spaß. Kelley war jahrelang meine beste Freundin; ich brachte sie sogar dazu, einen Vertrag zu unterschreiben, der sie dazu verpflichtete, meine Teamkollegin im Football zu sein, das wir immer auf dem Rasen vor der Kirche spielten. Sie war ein verdammt guter Receiver und auch später am College eine tolle Sportlerin.

Mein älterer Bruder Tom war ein absoluter Vollidiot, und das änderte sich erst, als er in die Highschool kam. Dann legte sich bei ihm ein Schalter um und er wurde grandios. Oder vielleicht hörte ich einfach auf, eine Nervensäge zu sein. Keine Ahnung. Irgendetwas geschah und er wurde nicht nur der lustigste Mensch, den ich kannte, sondern auch ein hervorragender All-State-Crossläufer. Er brachte sich selbst das Gitarrespielen bei und seine erste Band hieß The Fake IDs. So jung waren wir damals. Er spielt auch heute noch und hat seine eigene Morgensendung bei einem lokalen Radiosender.

Kris war immer die Vernünftigste von uns, obwohl meine Mutter sicher widersprechen würde. Vielleicht waren sie sich einfach zu ähnlich, und manchmal flogen zwischen den beiden so richtig die Fetzen. Kris war mir gegenüber immer wohlwollend, umgänglich und hatte die beste Lache, die ich je gehört habe. Sie war sehr gewissenhaft, schrieb immer Einsen und war sanftmütig – wenn sie mir nicht gerade den Hintern versohlte, was ich mir bis zum ersten Jahr der Highschool gefallen ließ … ich weiß nicht mehr genau, vielleicht sogar länger.

In meiner Kindheit pflegten meine Mutter und mein Vater einen kooperativen, freundschaftlichen Umgang. Falls sie Probleme hatten, ließen sie es sich nicht anmerken. Die Trennung war für meine Eltern eine gute Sache. Meine Mutter arbeitete an der Junior Highschool, die direkt neben der Highschool lag, das heißt, sie konnte uns in die Schule bringen und wieder nach Hause fahren. Sie war gerne Mutter, aber sie nahm sich jedes zweite Wochenende frei, um mit ihren durchgeknallten, lustigen und zugegebenermaßen ziemlich aufreizenden Freundinnen Lynn und Sue die Stadt unsicher zu machen. Ich erinnere mich, wie sie bei uns am Küchentisch saßen, Daiquiris tranken und sich darüber unterhielten, was Samstagabend los gewesen war. Das war für meine zarten Knabenohren zu viel. Ich war im Zimmer nebenan und musste mich aus dem Haus schleichen, weil ich die Einzelheiten nicht ertragen konnte. Meine erste verdeckte Operation.

Wir verbrachten jene Wochenenden gerne mit unserem Vater. Er war ein typischer Junggeselle, aber das fiel uns zu der Zeit nicht auf. Wir hätten aber...