Das Geheimnis der Glashütte

von: Theo Auer

Rosenheimer Verlagshaus, 2017

ISBN: 9783475546310 , 227 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Das Geheimnis der Glashütte


 

I

Vom »Schwirzen«

Schimpfend und fluchend rutschte mein Bruder Heinrich auf dem Moos hangabwärts. Mit knapper Not konnte er sich an einer Wurzel festklammern und wieder hocharbeiten. Ich wartete auf ihn und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf trockenem Land.

»’s geht schon noch, Heinrich«, feuerte ich ihn an. Er war ein Bär von einem Mannsbild und hatte Kraft wie ein Ochse. Aber Laufen, gar Bergauflaufen, nein, das war nicht seine Stärke. Es war nicht mehr weit ins Bayerische, aber mit einem halben Zentner Pottasche auf dem Rücken und auf der Flucht vor den böhmischen Zöllnern, da hatte der Spaß ein Loch. Ums Haar hätten sie uns eingefangen dort unten am Teufelssee. Wir hatten uns bereits in Sicherheit gewähnt. Denn unser Kauderer, der Eibl-Hias, hatte uns erklärt, dass die Zöllner heute auf der Arberseite, dem Stangenruck zu, patrouillieren würden. Prustend und hechelnd ging es weiter bergauf.

Dann sahen wir sie endlich, die weiß-blauen Stangen: die Grenze! Noch ein Stück hinüber in ein wildes Staudengebüsch, da sahen wir die Zöllner heranstapfen. In ihren schweren, grün-braunen Uniformen spähten sie herüber, machten aber keine Anstalten, weiterlaufen zu wollen.

Wenn sie uns weiter verfolgt und uns womöglich auf der bayerischen Seite geschnappt hätten, so hätte uns das auch nichts genützt. Kein Hahn hätte danach gekräht, hätten sie uns ins Böhmische verschleppt und eingesperrt. Aber sie nahmen Zunder und Pulver von den Pfannen ihrer Donnerbüchsen und verschnauften, bevor sie zurück ins Böhmische marschierten.

Mein Bruder und ich waren »Schwirzer«. So nannte man hierzulande die Schmuggler, weil man sich, um unerkannt zu bleiben, auf der Tour das Gesicht mit Ruß schwärzte. Zwei Dinge waren es im Wesentlichen, die über die Grenze nach Böhmen geschmuggelt wurden. Das war zum einen Salz. Böhmen war ein salzloses Land. Und zum anderen war es Pottasche. Die Pottasche brauchten die Glasmacher zur Glasproduktion. Und davon konnten sie nie genug haben. Der Salzschmuggel war zwar das bessere Geschäft, aber da kamen kleine Leute wie wir nicht dran.

Der Salzschmuggel war längst in festen Händen. Mit einem halben Zentner – und mehr konnte man zu Fuß nicht so weit tragen – war da nichts anzufangen. Dieses Geschäft hatten die hohen Herren fest im Griff. Sie betrogen da zwar ihren eigenen Kurfürsten, aber das war ihnen ziemlich egal. Umso mehr freuten sie sich, wenn sie einen kleinen Schwirzer in Eisen legen lassen konnten. Der Salzschmuggel war eine Domäne der Herren von Nothafft in Runding oder der Rabensteiner im Zwieseler Winkel.

Dass ich ein Schmuggler wurde, hatte seinen Grund darin, dass man anders in diesen Zeiten kaum Geld verdienen konnte. Das Geld im bayerischen Land war wie ausgekämmt. Selbst der Kurfürst hatte, wie man hörte, einen Haufen Schulden. Aber dem war das wohl egal. Er brauchte ja nur die Steuern und Abgaben erhöhen. Und das tat er auch, in diesem Jahr des Herrn 1795.

Ich war gelernter Glasmacher. Das hatte ich vom Vater, der unter dem Arbersrigl, im Stangenruck-Gebiet, eine große Glashütte betrieben hatte.

In einer Glashütte wurde damals aber keineswegs nur Glas erzeugt. Eine Glashütte versorgte ihre Mitarbeiter und deren Familien mit allem, was man zum Leben brauchte. Sie war also gleichzeitig Landwirtschaft, Getreidemühle, Bäckerei, Schmiede, Metzgerei, Fischerei, Schneiderei, Schusterei, ja selbst eine arzneikundige Person durfte nicht fehlen. Nicht zu vergessen das Recht zum Bierbrauen. Ohne einen ordentlichen Rausch zur rechten Zeit waren viele der Arbeiter auf die Dauer in der Abgeschiedenheit einer Glashütte nicht zu halten. So ein Hüttenherr war damals schon jemand!

Später waren wir in Bodenmais, wo uns der Bergamtsverwalter Schmid mit Heimtücke und böser List schließlich von Haus und Hof vertrieb. Mein Vater starb darüber. Meine Mutter hatte als Inhäuslerin, als Dienstmagd, beim Böhm, einem Oberrieder Bauern, nur ein mühsames Fortkommen.

So haben wir neun Kinder geschaut, dass wir der Mutter bald nicht mehr auf der Tasche gelegen haben. Zu Anfang habe ich als »Eintragbub«, wie man das nannte, verschiedene Hilfsdienste in der Bodenmaiser Glashütte verrichtet. Später habe ich dort als Glasbläser gearbeitet. Aber Geld hab ich da so gut wie nie gesehen. Ein Ganserl oder einen Scheffel Korn hab ich gekriegt. Und wie oft ich nachfragen musste, bis ich es gekriegt hab! Dabei bin ich noch nie ein Faulenzer gewesen. Das Arbeiten haben wir Kinder alle gelernt. Aber der Bergamtsverwalter hat mich immer öfter spüren lassen, dass ich »dem Hainz seiner« bin. Der Sohn des Mannes, den er vertrieben hatte.

Mit siebzehn hab ich ihm die Arbeit vor die Füße geworfen und mein Bündel gepackt. Dann war ich als Aschenbrenner beim Balthasar Frisch von der Lohberger Glashütte. Dort erhielt ich doch im Monat, neben Kost und Naturalien, einen Gulden und 48 Kreuzer Lohn. Das war damals schon viel, denn Bargeld war eine rare Sache. Im ganzen Bayernland.

Beim Aschenbrennen hat man die umgestürzten Bäume zu Asche verbrannt, aus der dann die Pottasche gewonnen wurde. Ich kam bald auf die Idee, das Geschäft selbst zu machen. Die Glashütten auf der böhmischen und der bayerischen Seite wurden immer mehr und konnten gar nicht genug Pottasche bekommen. Der Zentner kostete hier im Bayerischen fünf Gulden, im Böhmischen aber bereits neun Gulden und achtzig Kreuzer. So kann man sich leicht ausrechnen, wie lange ich auf der Glashütte hätte schaffen müssen, um den Verdienst zu erreichen, den mir eine Tour ins Böhmische einbrachte.

Für dieses Mal waren wir den Zöllnern entwischt. Richtig gesehen hatten sie uns überhaupt nicht. Die Hänge zum Teufelssee hinunter waren eine echte Wildnis, wo man schon auf zwei, drei Schritte an jemanden herankommen musste, um ihn richtig zu erkennen.

Dies war, neben dem Eisenbach, dem Weißriegel und dem Osser, die beste Schwirzertour. Aber warum waren heute die Zöllner da? Die Tipps des Eibl aus der Lam, von dem wir unsere Pottasche hatten, waren bisher immer gut gewesen. Er hatte Beziehungen ins Böhmische. Seine Base hatte einen Böhmischen geheiratet. Und diese Kontakte wusste er zu nutzen. Am Ende auch gegen uns? Das musste ich noch herausfinden. Aber vorher wollte, nein musste ich ein weiteres Mal ins Böhmerland. Wir wollten ja unsere Pottasche, die wir jetzt notgedrungen wieder auf die bayerische Seite der Grenze herübergeschleppt hatten, drüben an den Mann bringen. Eine halbe Stunde blieben wir noch im Unterholz, nachdem die Schritte der abziehenden Zöllner verklungen waren. Vorsichtig nach allen Seiten schauend krochen wir schließlich heraus.

»Was jetzt?«, fragte der Heinrich.

»Wir gehen durch die Seewand hindurch und hinüber zur Eisendorfer Hütte.« Das war zwar viel mühsamer, aber in jedem Fall sicherer. Selbst wenn die Zöllner damit rechneten, dass wir noch einmal hineingingen ins Böhmische, dann würden sie keinesfalls in die Seewand einsteigen. Die Seewand über dem Teufelssee ist zwar keineswegs eine blanke Felswand, sondern ein steiler Abhang, der mit Felsbrocken und umgestürzten Bäumen übersät ist. Aber es war dort mühsam und gefährlich genug. Zumal mit dem schweren Sack kamen wir immer wieder aus dem Gleichgewicht und ins Straucheln.

Es war schon heller Mittag, als wir Eisenstraß erreichten, die erste Ortschaft im Böhmischen. Beim Prunner kehrten wir ein. Zu einem Krug Scheps, dem landläufigen Dünnbier, kauten wir unsere Brotkrusteln und hörten, dass die Zöllner schon seit einer Woche am Teufelssee patrouillierten. Und das sollte dem Eibl entgangen sein?

»Heinrich«, sagte ich, »ich möchte fast glauben, dass uns der Eibl absichtlich zum See geschickt hat.«

Der Heinrich machte ein ungläubiges Gesicht. »Warum sollte er denn das tun?«

Viel konnte ich dazu nicht sagen. Ich hatte halt so meine Vermutungen. Am Ende wollte er das Schwirzen selber in die Hand nehmen? Möglicherweise war ihm der Verdienst als »Kauderer«, das war ein Aufkäufer, ein Zwischenhändler für die Pottasche, nicht mehr genug?

»Weißt, Heinrich«, erklärte ich meinem jüngeren Bruder, »wir werden ihn einfach zur Rede stellen. Dann sehen wir schon, was passiert.«

»Wie du meinst«, gab er zurück. Heinrich war ein starker und seelenguter Kerl. Aber den Finessen und Hinterhältigkeiten böswilliger, habgieriger Leute war er nicht gewachsen. Vielleicht deshalb, weil er sich selber keinerlei Gemeinheiten ausdenken konnte. Er meinte, dass alle Leute so gutwillig wären wie er selber.

»Es ist Zeit«, sagte ich, »wenn wir abends wieder zurück sein wollen, dann müssen wir weiter!« Wir bezahlten die zwei Kreuzer für das Dünnbier und marschierten weiter zur Eisendorfer Glashütte, wo wir vor dem Haus des Hüttenherrn unsere Säcke abstellten. Vier Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren rannten heraus und sprangen um uns herum.

»Die Schwirza, die Schwirza, die Schwirza, die san da!« So riefen und sangen sie. Für die Kinder waren wir Abenteurer und geheimnisvolle Leute. Was ja auch nicht ganz unrichtig war. Obwohl ich es nie so angeschaut habe. Für mich war es eine, ja die einzige Möglichkeit, relativ schnell zu Geld zu kommen.

Ziegler, der Hüttenmeister, kam von der Glashütte herüber. »Setzts euch, Boum«, rief er, und wir ließen uns auf der Bank vor dem Haus nieder.

»War recht schwer heut, Hüttenmeister!« Der Heinrich schnaufte tief durch. »Hätten uns fast erwischt!«

Der Ziegler rang die Hände. »Es ist ein Kreuz. Seit drei Tagen ist der Glasofen schon kalt, weil ich keinen Fluss mehr hab.«

Fluss, das ist...