Im Zeichen der Religion - Gewalt und Friedfertigkeit in Christentum und Islam

von: Christine Abbt, Donata Schoeller

Campus Verlag, 2009

ISBN: 9783593405209 , 228 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 31,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Im Zeichen der Religion - Gewalt und Friedfertigkeit in Christentum und Islam


 

Im Zeichen der Religion Christine Abbt/Donata Schoeller Religion mag aus heutiger Perspektive als eine der merkwürdigsten Ausprägungen der Ideen- und Geistesgeschichte der Menschheit erscheinen. Sie knüpft die Verbindung zu der unfassbaren Ursache der Welt und allen Lebens. Sie bricht den weltlichen Horizont auf und gibt doch die Sicherheit, dass nichts verloren gehen kann, sondern sich alles aufgehoben wissen darf. Die wundersame Beziehung zwischen Mensch und Gott, zwischen Weltlichem und Transzendentem, prägt seit jeher Denksysteme und Weltanschauungen, lässt überwältigende Architektur entstehen und regelt das Verhalten von Individuen teilweise minutiös bis hin zu Tagesablauf, Kleidung oder Speiseplan. Im Zeichen der Religion kommt es zu unbedingter Liebe und Gastfreundschaft, aber auch zu Gewalt und Krieg. Das im Jenseits liegende Ziel religiöser Sehnsüchte scheint beide Verhaltensweisen zu stimulieren. Die der Religion eigene Ambivalenz wird uns in jüngster Zeit immer wieder beunruhigend vor Augen geführt. Im Zeichen der Religion werden Kriege nicht nur geführt, sondern auch legitimiert. Fast täglich erreichen uns die Meldungen von religiös motivierter Gewalt, von Anschlägen, durchgeführt von Menschen, die sich sicher sind, gemäß Gottes Willen zu handeln. Wir lesen von Mord und Vergeltung, die neues Morden und Vergelten nach sich ziehen, und vernehmen begleitend dazu Stellungnahmen, in deren Rhetorik sich Religion und Politik, theologische Lehrmeinung und machtpolitisches Interesse auf unheimliche Art und Weise vermischen. Wie ist es möglich, dass Religionen, die grundlegende ethische Impulse motivieren und Werte wie Barmherzigkeit, Milde, Gastfreundschaft oder Nächstenliebe dem Anderen und Hilfsbedürftigen gegenüber als moralische Imperative formulieren, dennoch Anlass für Feindseligkeit und grauenvolle Taten sind? Wie kommt es, dass sogar wesensverwandte Religionen, die an nur einen Gott glauben, sich so erbittert bekämpfen? Ein Außenstehender, der dieses Treiben aus der Distanz beobachtete, würde sich wundern, wie Religionsgemeinschaften, die sich teilweise sogar auf ähnliche Traditionen berufen und deren zentraler Wert die Liebe zu einem Gott ist, zu scheinbar unüberbrückbaren Differenzen gelangen können. Die Vorlesungsreihe 'Wissenschaft und Weisheit', getragen vom Philosophischen Seminar der Universität Zürich, beschäftigte sich unter Anderem mit verschiedenen Aspekten der Thematik Religion. Die 'dunklen' Seiten des Themas standen dabei weder in den Vorträgen noch in den Diskussionen im Mittelpunkt. Schwerpunkte bildeten vielmehr die unterschiedlichen Gebetstraditionen, die verschiedenen Formen der Mystik oder die Frage nach der Erneuerungsfähigkeit von Religion. Im Rahmen dieser Veranstaltungen blitzte während eines Vorlesungstages plötzlich ein religiös motivierter, unterschwelliger Chauvinismus auf, den wir als Organisatorinnen nicht erwartet hatten. In einem Referat wurde auf einmal ein religiöser Geltungsanspruch vernehmbar, der die Überlegenheit der eigenen Religion unverhohlen einforderte. Argumentation verkam zu reiner Rhetorik. Die Diskussion bewegte sich im Anschluss wie auf Treibsand, da die Voraussetzungen für einen echten Austausch nicht mehr gegeben schienen. Was war geschehen? Die von uns, dem Publikum und dem Referenten selbst wahrgenommene starke Irritation veranlasste uns zu fragen, wie es zu dieser Radikalisierung der Positionen gekommen war und ob es sich hier um ein spezifisch religiöses Phänomen handle. Stellen sich dem Gespräch zwischen den Vertretern verschiedener Religionen besondere Hürden? Was macht die Verständigung zwischen Angehörigen auch der gleichen Religion so schwierig, wenn sie jene ganz unterschiedlich auslegen und leben? Warum weicht der kommunikative Austausch sehr schnell Misstrauen und sprachlicher Verweigerung, die ihrerseits zu Gewalt führen können? Denn Gewalt äussert sich bereits dort subtil, wo das Argument des Anderen prinzipiell keine Chance hat. Das Thema der Vorlesungsreihe 2007 stand damit fest. In welchem Verhältnis, fragten wir, stehen Aggression und Religion? Was hat es mit der Aggression durch Religion auf sich? Angesichts des politischen Diskurses unserer Tage entschieden wir uns, die Kontroverse zwischen Christentum und Islam als Ausgangspunkt zu wählen. Es sollte dabei vor allem darum gehen, die Verbindung zwischen religiösem Selbstverständnis und Gewalt besser zu verstehen und dabei einen Hintergrund zu öffnen, der in den laufenden Debatten kaum in den Blick gerät. Dabei war es unser Hauptanliegen, der Radikalisierung und Einseitigkeit des Vokabulars in Politik und medialer Öffentlichkeit, der Verschärfung des Tonfalls und der meist damit einhergehenden, erschreckenden Polarisierung im Denken etwas entgegenzusetzen. Gerade angesichts der Aktualität und Brisanz des Themas schien es uns notwendig, die Polarität, die sich in der immer häufigeren Verwendung gegensätzlicher Begriffspaare zeigt, durch den Hinweis auf komplexere Hintergründe in Frage zu stellen. Denn Staaten sind nicht einfach nur gut oder böse, Personen sind nicht nur entweder rechtgläubig oder ungläubig, Verhandlungen finden nicht nur unilateral, sondern immer auch multilateral statt, und der gerechte Krieg ist offensichtlich nicht das eindeutige Gegenteil von Terror. So versammelten wir Experten und Expertinnen, die sich in ihrer wissenschaftlichen und journalistischen Tätigkeit, aber auch aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit den religiösen Schriften, den Traditionen, der Auslegung und der sozialen Wirksamkeit von Christentum und Islam in der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit auseinandersetzen. Die vorliegenden Artikel spiegeln jene Gedanken, die innerhalb der Vorlesungsreihe zur Sprache kamen, und vertiefen diese noch. Sie zeugen von der Bereitschaft, sich der Spannung eines kritischen und doch unvoreingenommenen Blickes auf die eigene und die fremde religiöse Tradition zu stellen. Sie tragen das editorische Anliegen mit, sich der Komplexität des Problems anzunehmen, und machen deutlich, dass dies weder aus zu großer Distanz, noch in unmittelbarer Nähe gelingen kann. Der in den Texten zum Ausdruck kommende Blick zeichnet sich aus durch eine Nähe zur jeweiligen religiösen Tradition und ihrer Geschichte, die sich jedoch nicht vereinnahmen lässt. Diese Balance von Nähe und Distanz entsteht aus der Bereitschaft, die Oberfläche der momentanen Geschehnisse durch aufmerksames Nachfragen und profunde Kenntnisse von Zusammenhängen zu vervollständigen. Aus dieser Bereitschaft kristallisiert sich in den Artikeln immer wieder die Frage heraus, welche Bedeutung der persönlichen Haltung jedes Einzelnen im Umgang mit religiösen Texten zukommt.