Das größte Glück meines Lebens - Roman

von: Maeve Haran

Blanvalet, 2017

ISBN: 9783641198756 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das größte Glück meines Lebens - Roman


 

KAPITEL 1

2016

Stella breitete die Zutaten für die Spaghetti bolognese auf der hölzernen Arbeitsplatte ihrer im Stil der Arts-and-Crafts-Bewegung gestalteten Küche aus: Rinderhack, Zwiebeln, Knoblauch, Dosentomaten, Tomatenmark, Salz, Pfeffer, getrockneter Oregano und Basilikum. Dazu kamen noch ihre geheimen Ingredienzien: Rotwein und eine Parmesanrinde, die laut Aussage eines Fernsehkochs das Gericht verwandeln würde, was tatsächlich stimmte. Stella fragte sich, wie oft sie wohl schon Spaghetti bolognese gekocht hatte. Prufrock von T. S. Eliot mochte sein Leben in Kaffeelöffeln bemessen haben, doch Stellas teilte sich eindeutig in Töpfe mit Spaghetti bolognese auf.

Es war zwar ein einfaches Gericht, eignete sich aber ausgezeichnet für einen Tag, an dem ihre Tochter Emma mit Schwiegersohn Stuart und den geliebten Enkelkindern plus ihrem überkorrekten Mann Matthew und dazu noch ihre unzuverlässige beste Freundin Suze zu unterschiedlichen Zeiten aufkreuzen würden.

Außerdem hatte sie heute Nachmittag einen Termin mit einem ganz besonders mäkeligen Hundebesitzer. Stellas Karriere als Tiermalerin florierte zu ihrer großen Überraschung, seit es soziale Medien gab. Alles hatte damit angefangen, dass sie zu dem Schluss gekommen war, ein Blog könne gut fürs Geschäft sein. Also hatte sie einen mit einem niedlichen Jack Russell namens Frank angefangen, den sie vor einigen Jahren porträtiert hatte. Nach und nach hatte sie Bilder von Franks vierbeinigen Freunden hinzugefügt, und so war die ganze Sache ins Rollen gekommen.

Und sie musste zugeben, dass das Resultat ausgesprochen zufriedenstellend war: eine ganze Reihe von Haustieren, die gemalt werden sollten. Natürlich war es schwierig, sie so reizend darzustellen wie Frank. Doch wie jeder erfolgreiche Porträtmaler wusste, war ein wenig Schmeichelei stets angebracht, ganz gleich ob es um Menschen, Haustiere und vermutlich auch um Marsmännchen ging. Selbst wenn man es damit wohl nie in die National Portrait Gallery schaffen würde, konnte man doch ganz ordentlich daran verdienen. Außerdem war es Stella, seit Matthew nicht mehr arbeitete, immer wichtiger geworden, aus dem Haus zu kommen. Darüber dachte sie lieber nicht zu gründlich nach, insbesondere deshalb, weil die Statistiken zum Thema »gestiegene Lebenserwartung« ihnen mögliche weitere dreißig gemeinsame Jahre verhießen.

Bei dieser Vorstellung wären Stella beinahe die Zwiebeln angebrannt. Sie wurde von Suzes Ankunft gerettet, der Freundin, die ihr seit der Kindheit und während des Kunststudiums treu geblieben war. Sie hatte einen Käsekuchen von Marks and Spencer mitgebracht. Wie immer bot Suze ein farbenfrohes Bild, ein wenig wie Vivienne Westwood mit einem Hauch von Grayson Perry. Auch in ihrem Alter liebte sie es, Secondhandläden nach Samtvorhängen und Überresten von Lampenschirmen aus Brokat zu durchkämmen, die sie dann erstaunlich geschickt auf ihrer betagten Singer-Nähmaschine zu beeindruckenden Gewändern verarbeitete.

»Der kommt gerade aus der Gefriere und muss auftauen«, verkündete Suze. »Deshalb bin ich jetzt schon da. Es stört dich doch nicht, oder? Wenn ich nicht so damit beschäftigt wäre, mir die Wiederholungen von The Wire anzusehen, hätte ich einen fettfreien Schokokuchen mit einer Füllung aus Pariser Creme zaubern können, aber wie du ja weißt, habe ich mit meiner hausfraulichen Phase abgeschlossen.«

Stella verkniff sich die Frage, wann das bei ihrer Freundin je anders gewesen wäre, und nahm den Kuchen dankbar entgegen. »Magst du einen Kaffee?«

»Tolle Idee. Hast du Schokokekse da? Ich muss nämlich meinen Cholesterinspiegel hochtreiben. Meine dämliche Ärztin verschreibt mir keine Statine, solange er nicht höher ist, also gebe ich mir Mühe, ihr den Gefallen zu tun.« Suze war davon überzeugt, dass Statine die Antwort auf sämtliche Zipperlein ihrer Generation waren, und hatte sich schrecklich geärgert, als man ihr dieses Wundermittel mit der fadenscheinigen Ausrede, sie sei doch kerngesund, verweigert hatte. Erstaunlicherweise bewahrte Suze sich diesen Zustand, obwohl sie hauptsächlich im Bademantel herumlungerte und eine DVD nach der anderen glotzte. »Wenn man keinen Mann hat«, lautete ihr Lieblingsargument, »sind Filme ein annehmbarer Ersatz. Wenigstens muss man nicht stundenlang darüber debattieren, wer wohl der Mörder ist.«

»Ich dachte immer, genau darum geht es bei den Serien«, erwiderte Stella. »Sie liefern alten Ehepaaren Gesprächsstoff, wenn die Kinder erst mal aus dem Haus sind. Ehen, gerettet von sadistischen Mordfällen.«

Offen gestanden, hatten Stella und Matthew auch Spaß daran. Eigentlich, so dachte Stella manchmal, war es das Einzige, woran sie noch Spaß hatten. Vielleicht sollte man diese Lebensphase danach benennen. Sich verlieben. Sich häuslich niederlassen. Kinder kriegen. Das Haus abzahlen. Rente. Und danach Serien schauen.

Stella holte die Schokokekse aus der Speisekammer. Natürlich befanden sie sich in einer Arts-and-Crafts-Dose. Auf dieser hier prangte ein beliebtes Drossel-Dekor.

»Leidet Matthew noch immer am William-Morris-Wahn?«, fragte Suze. »Wo ist er eigentlich? Versucht er, die letzte Tapetenrolle des großen Meisters auf irgendeinem Flohmarkt aufzutreiben?«

Sie lachten beide.

Eigentlich hatte alles ganz harmlos angefangen. Als die meisten ihrer Altersgenossen vor dreißig Jahren in die Metropole gezogen waren, hatte Matthew darauf gedrungen, in Camley an Londons südlichstem Stadtrand zu bleiben, wo die Immobilienpreise günstig waren und die Hauptstraße unter dem Einfluss seiner Helden stand, der Vertreter der Arts-and-Crafts-Bewegung. Also hatten sie sich hier niedergelassen und ein Haus mit einem Türmchen und einem Erkerfenster entdeckt. Mit der Zeit hatte es Matthew mit Schätzen aus der Arts-and-Crafts-Periode gefüllt – Kaminumrandungen aus gehämmertem Kupfer, schlichten Holzstühlen mit Sitzflächen aus Binsen, marokkanisch inspirierten Couchtischen von Liberty, der großen Stilikone, runden Messingspiegeln mit Intarsien aus türkisfarbenem Emaille. Was nicht in jene Zeit passte, wurde im Haus nicht geduldet. Das Prunkstück war ein gewaltiger bestickter Wandteppich, auf dem der berühmteste Ausspruch von William Morris prangte:

HABE NICHTS IN DEINEM HAUS,

VON DEM DU NICHT GLAUBST,
DASS ES NÜ
TZLICH ODER SCHÖN IST.

Wenn Stella den Wandteppich betrachtete, musste sie hin und wieder den Gedanken beiseiteschieben, dass Matthew inzwischen möglicherweise in keine dieser beiden Kategorien mehr passte.

»Warum ziehst du nicht einfach in ein Museum, da hast du es gemütlicher?«, hänselte Suze sie gelegentlich, und Stella wusste genau, was sie meinte. Das Haus spiegelte Matthew viel mehr wider als sie selbst. Es war Stella unangenehm zuzugeben, wie unsicher sie zu Anfang ihrer Ehe in Geschmacksfragen gewesen war (wie peinlich für eine Frau!) und welches Selbstbewusstsein Matthew hingegen in diesem Bereich besaß. Allerdings hatte auch sie ihre Refugien: das Schlafzimmer und ihr Atelier. Den Rest hatte sie der Arts-and-Crafts-Bewegung geopfert. Deren Vertreter hätten sich sicher hier wie zu Hause gefühlt, wenn sie je zu Besuch gekommen wären. Nur, dass sie schon tot waren.

Natürlich war es nicht immer so gewesen. Als sie sich kennenlernten, war Matthew nicht exzentrisch und zwanghaft, sondern auf interessante Weise anders. Obwohl er einen Abschluss in Chemie hatte, interessierte er sich hauptsächlich für Matisse und für alte Saxophone, die er in aller Stille sammelte. Vielleicht hätte sie die Anzeichen damals schon bemerken sollen. Er war düster und faszinierend und trug nur Schwarz und ab und zu eine Baskenmütze und eine Sonnenbrille wie seine saxophonspielenden Abgötter. In der Hippiezeit, die geprägt war von langen Haaren und Schlaghosen, war er damit eindeutig aufgefallen.

Man musste ihm zugutehalten, dass er sofort nach ihrer Hochzeit und Emmas Geburt seinen Traum von einer Musikerkarriere aufgegeben und stattdessen eine Ausbildung zum Steuerberater gemacht hatte. Immer wieder hielt Stella sich streng vor Augen, dass sie es ohne Matthews Einkünfte niemals geschafft hätten. Allerdings hatte auch sie Kompromisse gemacht. Sie hatte den Wunsch, Architektur zu studieren, auf Eis gelegt und war Hausfrau und Mutter geworden. Hatte sie zu schnell das Handtuch geworfen und sich eingeredet, dass sie sich während Matthews Ausbildung auf gar keinen Fall eine Kinderbetreuung leisten konnten?

Doch sie hatte große Freude daran gehabt, sich um Emma zu kümmern. Während es ihrer eigenen Mutter schwergefallen war, Gefühle zu zeigen, hatte Stella nichts mehr geliebt, als in ihrem großen Vorstadtgarten mit ihrem niedlichen Baby auf einer Decke unter dem Apfelbaum zu liegen. Als ihre ehrgeizigen Freundinnen, die Camley verlassen hatten, um sich höherfliegenden Träumen zu widmen, entsetzt die Augen aufrissen, weil sie lieber in der Vorstadt blieb und ihr Kind bemutterte, schloss Stella neue Freundschaften. Und Suze, exzentrisch wie eh und je und überhaupt nicht in eine Vorstadt passend, hatte eine Brücke zwischen den beiden Welten geschlagen und interessierte sich so wenig dafür, was andere Leute dachten, bis die irgendwann nicht mehr gewagt hatten, sich irgendetwas zu denken.

Also dachte sie, dass es Matthew nach einem Leben voller Maloche vermutlich verdient hatte, so exzentrisch zu sein, wie er wollte. Sie wünschte nur, er würde Golf spielen, anstatt auf Flohmärkten seinem Morris-Wahn zu frönen. Allein die leiseste Andeutung, sie könnten sich vielleicht verkleinern und in eine hübsche Wohnung mit tiefen,...