Das Leben fällt, wohin es will - Roman

von: Petra Hülsmann

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732540853 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Das Leben fällt, wohin es will - Roman


 

Es ist erst gut, wenn es vorbei ist


Den Sonntag verbrachte ich mit Hanna in ihrem Bett, wo wir Sex and the City auf DVD schauten und Chips futterten. Nachdem wir noch bis sieben Uhr morgens durch die Clubs gezogen waren, war heute Katerpflege angesagt.

»Was war gestern eigentlich mit Sam los?«, fragte Hanna mich unvermittelt, als Mr Big Carrie mitteilte, dass er sich nach Paris verziehen würde. »Er hat richtig verstört gewirkt und behauptet, du hättest auf einmal angefangen zu klammern.«

Ich verdrehte die Augen. »Ach, der soll sich bloß nichts einbilden. Ich habe ihn nur gefragt, ob er mitkommt aufs Frühlingsfest. Aber zwei Sekunden später wurde mir schon klar, dass ich das auch sehr gut allein hinkriege. Wie alles andere.«

Hanna sah nachdenklich auf die verzweifelte Carrie. »Fändest du es nicht schön, jemanden zu haben, der für dich da ist?«

»Und der dann irgendwann nach Paris abhaut? Nein danke.«

»Aber so muss es doch nicht sein. Es kann auch gut gehen.«

»Klar«, sagte ich abfällig und stopfte mir eine Hand voll Chips in den Mund. »Bis jetzt ist es bei dir ja immer gut gegangen.«

»Du bist fies.« Hanna riss mir die Tüte aus der Hand, um sich ihrerseits daraus zu bedienen. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah Hanna prüfend an. Obwohl sie sich bemühte, einen gleichgültigen Gesichtsausdruck aufzusetzen, verrieten ihre Augen, dass ich sie verletzt hatte.

»Hey, tut mir leid. Das war blöd«, sagte ich und deutete auf Carrie und Mr Big. »Aber guck dir die beiden an. Sind die etwa glücklich? Willst du so was?«

»Nein«, seufzte sie.

»Siehst du. Ich auch nicht.«

Wir kuschelten uns enger aneinander und inhalierten eine Folge nach der anderen. »Sag mal, wollen wir was zu essen bestellen?«, fragte ich irgendwann, als mein Magen knurrte.

»Klar. Thailändisch?«

Thailändisch … da war doch irgendwas … »Ach du Schande!« Ich sprang aus dem Bett und rief: »Wie spät ist es? Wie spät ist es?!«

»Viertel vor sieben«, sagte Hanna verwundert. »Wieso?«

»Um sieben muss ich doch bei der Thai-Massage sein! Ich hab mich mit Christine verabredet. Ach verdammt, ich hätte für sie auch einen Termin machen sollen.« Ohne ein weiteres Wort rannte ich ins Badezimmer, duschte im Rekordtempo, zog mich an und suchte verzweifelt nach meiner Handtasche. Letzten Endes fand ich sie auf dem Hängeschrank in der Küche und konnte mir keinen Reim darauf machen, warum um alles in der Welt ich sie heute Morgen dorthin verfrachtet hatte. Ich rief Hanna ein schnelles »Tschüs« zu und hastete durch die Straßen des Schanzenviertels zum Siam Orchid Massage Center, das zum Glück nur zehn Minuten von unserer Wohnung entfernt lag.

Christine stand bereits draußen und sah strafend auf ihre Uhr. »Du bist mal wieder zu spät.«

»Aber nur ’ne Viertelstunde«, hechelte ich. »Das zählt doch fast gar nicht. Akademisches Viertel und so.«

»Akademisches Viertel, alles klar. Hast du mir einen Termin gemacht?«

»Jaja, hab ich. Also, genauer gesagt, ich hatte es wirklich vor.«

»Aber du hast es vergessen«, stellte Christine fest und klang dabei so nüchtern, als hätte sie mit nichts anderem gerechnet.

»Ja, okay, hab ich. Aber das ist bestimmt kein Problem, ich bin mir sicher, dass man da auch einfach so vorbeigehen kann. Und wenn alle Stricke reißen, kriegst du meinen Termin.«

»Das will ich doch auch wohl hoffen! Ich hab mir eine verdammte Massage so was von verdient, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«

Huch, normalerweise fluchte Christine nie. Im Gegensatz zu mir sagte und tat sie immer das Richtige. Heute trug sie kein Make-up, und es war deutlich, wie übernächtigt und fertig sie war. Sie hatte ein bisschen Wellness offensichtlich wirklich nötig.

»Marie, hör auf, mich anzustarren und lass uns endlich reingehen.«

Wir wurden von gedämpftem Licht und leiser asiatischer Meditationsmusik empfangen. Es duftete nach exotischen Ölen, und augenblicklich stellte sich relaxte Stimmung bei mir ein. Ich trat an den Tresen, wo mich eine wunderhübsche, zierliche Thailänderin anstrahlte. »Sawadee kaaa«, sagte sie langgezogen und verbeugte sich mit aneinandergelegten Händen. »Ich bin Mae.«

Christine und ich imitierten die Bewegung. »Hallo. Mein Name ist Marie Ahrens, ich habe jetzt einen Termin. Eigentlich hätte er schon vor zwanzig Minuten angefangen, ich hoffe, das ist kein Problem?«

Mae lächelte gütig. »Nein, nein, kein Problem.« Nun wandte sie sich an Christine. »Termin? Sie haben auch?«

»Nein, ich wollte eigentlich einen Termin für sie abmachen, aber leider ist mir etwas Dringendes dazwischengekommen«, erklärte ich schnell und ignorierte Christines Schnauben. »Haben Sie noch was frei?«

»Jaja«, sagte die bezaubernde Mae. »Kein Problem. Kommen Sie.«

Als sie hinter dem Tresen hervorkam, erkannte ich, dass sie einen langen Rock und eine Wickelbluse aus wunderschönen bunten Stoffen trug. Sie ging uns voraus in einen Raum, der einladend und exotisch wirkte und meine Wohlfühlstimmung noch verstärkte. Die Wände waren mit Bambusmatten verkleidet, und außer zwei dünnen Matratzen auf dem Boden enthielt er keine Möbel. »Kommen Sie«, wiederholte Mae und deutete auf zwei Umkleidekabinen. »Darin ausziehen, bis auf Slip, Kleidung an, rauskommen.«

Christine und ich tauschten einen Blick.

»Welche Kleidung an?«, fragte Christine verwirrt.

»Kleidung«, wiederholte Mae und deutete erneut auf die Umkleidekabine. »Ausziehen, Kleidung an, rauskommen, kein Problem.«

»Das klärt sich bestimmt von selbst«, raunte ich und ging in die Umkleidekabine. Und tatsächlich lagen dort eine weite Hose und eine Art OP-Shirt aus weichem Stoff.

Als ich aus der Kabine trat, hatte sich ein weiteres zartes Persönchen zu Mae und Christine gesellt, die inzwischen ebenfalls die Kleidung gewechselt hatte.

»Das ist Tida«, sagte Mae und zeigte auf ihre Kollegin. Wir lächelten uns alle vier an und verbeugten uns, dann deutete Tida auf die beiden Matratzen. »Hinlegen.«

»Auf den Rücken oder auf den Bauch?«, fragte Christine, die wie üblich alles richtig machen wollte.

»Hinlegen«, wiederholte Tida. »Da, hinlegen.«

Artig trotteten wir zu den Matratzen, und mir fiel auf, dass der Befehlston von Tida und Mae im krassen Gegensatz zu ihrem zarten Wesen und ihren freundlichen Gesichtern stand. »Ist doch völlig egal, wie wir uns hinlegen«, sagte ich zu Christine.

Wir legten uns auf den Rücken, was jedoch offenbar nicht richtig war, denn Tida und Mae, die sich neben uns gekniet hatten, stupsten uns an und gaben uns ein Zeichen, dass wir uns auf den Bauch drehen sollten.

»Siehst du«, flüsterte Christine. »Wir haben es falsch gemacht.«

»Na und?«, wisperte ich zurück. »Das wird hier nicht benotet, also entspann dich mal.«

Christine atmete laut aus und schloss die Augen. »Hast ja recht. Ich muss mich dringend entspannen.«

»Allerdings.« Ich schloss ebenfalls die Augen, in freudiger Erwartung darauf, von Tida, die neben mir hockte, ins Relax-Nirvana befördert zu werden. Doch was dann kam, hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Schon nach den ersten Sekunden wurde mir klar: Eine Thai-Massage, zumindest die Art, die Tida praktizierte, war nichts für zarte Gemüter. Das war nicht, als würden süße Hundewelpen einen abschlecken. Das! Tat! Weh! Sie knetete, kniff und haute mich, trampelte auf mir herum, zerrte mich hin und her und quälte mich auf jede nur erdenkliche Art. Es war mir ein völliges Rätsel, wie in einem so zarten Persönchen eine derart rohe Kraft stecken konnte. Meine Gedanken schwankten von »Warum bist du so böse auf mich, ich hab dir doch nichts getan!« über »Ja, ich gestehe alles, was du willst«, bis hin zu »Hör sofort auf oder ich hau zurück!« Allerdings hielt ich meine Klappe, weil ich a) Angst vor Tida hatte und sie sowieso stärker als ich war, sodass ich mich gar nicht getraut hätte, sie zu hauen, b) ich nicht als verweichlichte Deutsche dastehen wollte, die nicht mal eine Thai-Massage aushielt und c) Christine das Ganze auch noch zu genießen schien. Irgendwann fragte Tida mich: »Alles okay, kein Problem?«

Mit schwacher Stimme antwortete ich: »Das tut irgendwie ganz schön weh.«

Daraufhin lächelte sie milde und sagte: »Thai-Massage muss wehtun. Ist erst gut, wenn es vorbei ist.«

»Ach so«, wimmerte ich und ließ es über mich ergehen, dass sie einen unfassbar starken Daumen so heftig in meine Fußsohle drückte, dass ich befürchtete, er würde oben wieder herauskommen. »Du, Christine?«, fragte ich mit einem Blick auf die Nachbarmatratze, auf der meine Schwester bäuchlings lag, während Mae auf ihren Oberschenkeln hockte. »Wie geht’s dir denn so?«

»Beschissen«, antwortete sie ächzend, als Mae ihren Oberkörper an den Armen hochzog, sodass ihr Rücken beinahe einen 90-Grad-Winkel zu ihrem Hinterteil bildete.

»Das tut ganz schön weh, oder?«

»Nein, das ist es nicht. Ich mach doch Yoga.«

Angeberin. Tida war inzwischen anscheinend mit mir durch, denn sie deutete mir an, mich hinzusetzen. Vor Erleichterung hätte ich beinahe geweint, und ich dankte dem Himmel, dass ich, abgesehen von der einen oder anderen gebrochenen Rippe, noch mal davongekommen war. Doch dann stellte Tida sich hinter mich, und mir schwante Böses.

»Du wolltest doch gestern wissen, was mit mir los ist und warum ich so blass bin, oder?«, fragte Christine.

»Ja. Du siehst echt krank aus«, sagte ich, während Tida meine Arme hinter meinem Nacken verschränkte und mir unter die Achseln griff.

»Bin ich auch«, sagte Christine. »Ich hab...