Hedwig Courths-Mahler - Folge 152 - Eine ungeliebte Frau

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732521838 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 152 - Eine ungeliebte Frau


 

Der Geheime Baurat Matern trat in das Zimmer seiner Gattin. Mit der ihm eigenen, raschen und energischen Art schloss er die Tür hinter sich und begrüßte seine Frau mit einem etwas unsicheren Blick. „Hast du eine halbe Stunde Zeit für mich, Malwine?“

Frau Malwine Matern, eine stattliche Erscheinung in der Mitte der Vierzig, mit noch immer schönem, aber etwas unbeweglichem Gesicht, blickte von einem Buch auf, in dem sie gelesen hatte. In ihren grauen Augen leuchtete aber kein wärmeres Licht auf, als sie ihren Gatten ansah. „Hast du etwas von Wichtigkeit, Rolf?“, fragte sie ruhig.

„Allerdings.“

„Dann nimm bitte Platz. Ich wollte zwar ausfahren, um Besorgungen zu machen, aber selbstverständlich verschiebe ich das.“

Rolf Matern zog sich einen Sessel heran und ließ sich nieder. Seine große, sehnige Gestalt vornüber neigend, wandte er das scharf geschnittene, kluge Gesicht seiner Frau zu und sagte, mit einer an ihm befremdenden Hast und Unsicherheit: „Frau Ilse Rottmann ist heute Morgen gestorben – ich komme soeben von ihrem Sterbelager.“

Malwine Materns Gesicht rötete sich ein wenig, sonst verriet aber nichts, dass diese Nachricht sie erregte.

„Das ist ja sehr bedauerlich“, sagte sie kühl, „ist aber sicher nicht die Sache von Wichtigkeit, die du mit mir besprechen willst. Frau Ilse Rottmann ist zwar dein besonderer Schützling gewesen aber ich stehe der Dame völlig fern.“ Es klang eine fast eisige Abweisung aus ihren Worten.

„Du vergisst, Malwine, dass Ilse Rottmann die Witwe meines früh verstorbenen Jugendfreundes war, dem ich mancherlei Dank schuldete“, sagte Rolf Matern, nervös mit der Hand durch das dichte, graue Haar fahrend.

„Nein – das vergesse ich nicht. Du hast es mir immer wiederholt, sobald ich meinem Befremden Ausdruck gab, dass du dieser Frau Rottmann so unendlich viele Wohltaten erwiesest.“

Rolf Materns Gesicht rötete sich – und sein Blick irrte zur Seite. „Ist es zu verwerfen, wenn man bedürftige Menschen von seinem Überfluss unterstützt?“, fragte er hastig.

„Allerdings nicht. Aber sonst hast du derartige Pflichten mir übertragen und dich nicht persönlich darum gekümmert. Ich muss gestehen, dass mir die Art, in der du dich dieser Frau Rottmann annahmst, immer auffiel. Dass du sie so reichlich mit Geldmitteln versorgtest, hätte ich deiner vornehmen Gesinnung zugeschrieben, aber dass du – der du dich deiner Familie fast gänzlich entzogst, um deinen rastlosen Ehrgeiz zu befriedigen – Zeit hattest, dich fast jeden Tag persönlich von dem Wohlergehen der Frau Rottmann zu überzeugen – das hat mir zu denken gegeben.“

Sie hatte auch jetzt mit beherrschter, ruhiger Stimme gesprochen, aber auf ihren Wangen brannten rote Flecken, ein Zeichen großer, innerer Erregung, und ihre Augen hatten einen gespannten Ausdruck angenommen.

Rolf Matern blickte eine Weile stumm auf seine schlanken, wohlgebildeten Hände hinab, die ein sehr charakteristisches Gepräge hatten. Endlich sagte er, den Blick langsam zu ihr hebend: „Malwine – was hast du dir für Gedanken darüber gemacht?“

Sie blickte ihn groß an. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust. nur einen Augenblick zögerte sie, dann sagte sie, ohne den Blick von ihm zu wenden: „Jetzt, da diese Frau nicht mehr am Leben ist, kann ich es dir sagen, ohne in den Verdacht kleinlicher Eifersüchtelei zu kommen: Ich habe geglaubt, dass du Frau Rottmann – geliebt hast.“

„Malwine!“, rief er erschrocken, und sein Gesicht verfärbte sich. „Das hast du also geglaubt?“

„Ja“, sagte sie tief und schwer, „das habe ich geglaubt. Und das ist begreiflich – nicht wahr? Seit dem Tod Fritz Rottmanns tratest du seiner Witwe näher. Vorher waren wir nie mit ihr zusammengekommen. Überhaupt, ich hatte nie gemerkt, dass dir Rottmann besonders befreundet war. Du trafst nur im Büro mit ihm zusammen. Ihr hattet gemeinsam studiert – nun ja –, aber nachher schien es, als ginge jeder seine eigenen Wege. Dann ließ er dich freilich am Tag vor seinem Tod zu sich rufen. Und da hat er dich, wie du mir später sagtest, gebeten, dich seiner Frau und seiner kleinen Tochter anzunehmen. Im Grunde konnten wir in unseren damaligen, mehr als bescheidenen Verhältnissen kaum etwas für andre tun. Bald darauf wurde das allerdings anders. Aber auch du wurdest ein anderer, seit du in persönliche Beziehungen zu Rottmanns Witwe tratest. Du warst seitdem nichts als ein ruheloser Gast am heimischen Herd.“

Er lehnte sich mit einem Seufzer zurück und blickte sie schmerzlich an. „Und da hast du gedacht, eine andere Liebe sei in mein Herz gezogen?“

„Musste ich das nicht?“

Sein Gesicht verzog sich qualvoll. „Malwine, warum hast du mir nie etwas von diesem Verdacht gesagt?“

„Sollte ich dir in kleinlicher Eifersucht Szenen machen? Sollte ich um deine Liebe betteln, die mir doch verloren war? Ich kannte dich genug, um zu wissen, dass du dich nicht in frivolem Leichtsinn von mir abgewendet hattest. Ein Herz aber, das in einer großen anderen Liebe aufgeht, ist nicht zurückzugewinnen.“

Es lag eine schlichte Größe in ihren Worten und ein Stolz, der sich mit tausend Schmerzen behauptet hat. Er strich sich über die Stirn, als sei ihm zu heiß geworden.

„Malwine – du hast einen ganz falschen, grundlosen Verdacht genährt. Nie – ich gebe dir mein Wort –, nie ist mir Ilse Rottmann etwas anderes gewesen als die Witwe meines Freundes, als eine schutzbedürftige Frau.“

sie blickte ihn an. In ihren Augen glomm ein unruhiges Forschen. „Und doch hat sie dich mir entfremdet. Du kannst nicht leugnen, dass du ein anderer geworden bist, seit du sie kennen gelernt hast.“

Er sah zu Boden, und sein Gesicht zuckte in stummer Qual. Aber schnell gewann er seine äußere Ruhe wieder. „Mit dieser Umwandlung meines Wesens hatte Ilse Rottmann nichts zu tun, Malwine. Weißt du nicht, dass gerade in jener Zeit die große Änderung in mein – in unser Leben trat?“

Sie seufzte tief auf. „Ja, du wurdest plötzlich ein berühmter Mann. Aus dem einfachen Ingenieur, der bei einem Brückenbau so ziemlich an letzter Stelle beschäftigt, der in dem Büro einer großen Firma mit einem kleinen Gehalt angestellt war, wurde über Nacht eine Größe. Jene Aufsehen erregende Erfindung, heimlich in jahrelanger Arbeit gemacht, stellte dich mit einem Schlag in die erste Reihe. Große Auszeichnungen wurden dir zuteil – und jene Erfindung brachte dir in kurzer Zeit ein Vermögen ein, lässt noch heute Unsummen in deine Kasse strömen. Glanz und Fülle umgaben uns. Das sogenannte Glück hielt seinen Einzug bei uns – aber das wahre Glück entfloh.“

Eine tiefe Bitterkeit klang durch ihre Worte. Er stützte den Kopf in die Hände und sah düster vor sich hin. „Ja – das Glück entfloh“, sagte er dumpf, „das Glück – und die Ruhe.“

Sie sah schmerzlich auf sein gesenktes Haupt. „Und in all der Hast und Unruhe jener Zeit verlor ich dich – an eine andere“, sagte sie herb.

Er fuhr auf. „Nein, Malwine nein –, bei Gott, du irrst dich. Ich gebe zu, dass ich ein anderer wurde. Der Ehrgeiz erfasste mich und trieb mich vorwärts. Alle meine Kräfte setzte ich an meine Arbeit. Ich wollte zeigen, dass ich etwas leisten konnte, dass ich allen Ruhm, alle Auszeichnungen wirklich verdiente, nicht nur durch den Zufall einer Erfindung, die nun ja –, die auch ein anderer an meiner Stelle hätte machen können, wenn ihm eben der Zufall günstig gewesen wäre.“

Er war aufgesprungen und lief im Zimmer hin und her. Sie sah ihn mit einem wärmeren Ausdruck an als bisher. „Warum bist du nur gerade in Bezug auf dein bestes Werk so bescheiden, Rolf? Nie magst du davon sprechen.“

„Nein – auch jetzt nicht, schweig, ich bitte dich, sprich mir nicht mehr davon. Ich habe anderes mit dir zu reden.“

Und ruhiger werdend, nahm er wieder Platz und fasste ihre Hand. „Malwine, willst du mir nicht glauben, dass mir Ilse Rottmann nichts gewesen ist als die schutzbedürftige Witwe meines Freundes?“

Ihr Gesicht rötete sich. „Ich glaube dir, dass du nichts Unrechtes getan hast, aber geliebt musst du sie haben, teuer muss sie dir gewesen sein, anders kann ich mir dein Verhalten ihr gegenüber nicht erklären.“

Er wollte heftig auffahren, aber dann presste er die Lippen fest aufeinander. Was nützte es, mit Worten gegen diesen Verdacht anzukämpfen, der sich seit langen Jahren in der Seele seiner Frau festgesetzt hatte? Den wahren Grund, der ihn immer wieder zu Ilse Rottmann zog, konnte er ihr nicht sagen.

Viel hatte ihm dieser Verdacht genommen, das erkannte er jetzt. In diesem Augenblick erst wurde ihm so recht bewusst, welch tiefe Entfremdung zwischen ihn und seine Gattin getreten war. Sie war so langsam gekommen, dass er sie, in seinem vollbeschäftigten Leben, in der starken Inanspruchnahme durch gesellige Pflichten im Anfang kaum wahrgenommen hatte. Sein ganzes Sein und Denken war zudem zu sehr von dem einen in Anspruch genommen worden, das er als düsteres Geheimnis in seiner Brust barg, das ihm Ruhe und Frieden geraubt und für das er nur in der angestrengtesten Tätigkeit Vergessen finden konnte.

Er seufzte tief auf. „Ich kann nichts tun, Malwine, als dir mein Wort geben, dass es nicht wahr ist. Ich habe Ilse Rottmann nicht geliebt, das muss ich dir immer wieder sagen. Hättest du sie nur einmal gesehen, dann hättest du nimmer glauben können, dass sie mir begehrenswerter erscheinen könne als du selbst.“

„Ich habe sie gesehen –...