Betriebliches Gesundheitsmanagement: Ein Leitfaden für kommunale und öffentliche Verwaltungen

von: Michael Koop, Ulrike Potratz

Maximilian Verlag, 2016

ISBN: 9783786909880 , 104 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Betriebliches Gesundheitsmanagement: Ein Leitfaden für kommunale und öffentliche Verwaltungen


 

2GRUNDLAGEN DES BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSMANAGEMENTS


2.1Das Ziel der gesunden Verwaltung


Wie in anderen Dienstleistungsunternehmen sind auch in der öffentlichen Verwaltung die Mitarbeiter zentraler Produktionsfaktor. Wenngleich im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien erheblicher Kapitaleinsatz vonnöten ist und wie etwa bei Grünflächenämtern und Bauhöfen in einigen Aufgabenbereichen Maschineneinsatz notwendig ist, bleibt doch insbesondere bei den Aufgaben der Kernverwaltung das Personal der entscheidende Faktor. Damit der Produktionsfaktor Personal auch zum Erfolgsfaktor wird, bedarf es vor dem Hintergrund arbeitsorganisatorischer Entwicklungen, des demografischen Wandels und Veränderungen gesellschaftlicher Werte und Normen einer gezielten Strategie, die Mitarbeiter leistungsfähig und leistungswillig zu erhalten. Plastisch formuliert, bedeutet dies: Nur eine gesunde Verwaltung ist eine gute Verwaltung.

2.1.1WAS IST GESUNDHEIT?


Wenn die Gesundheit der Mitarbeiter ein zentraler Erfolgsfaktor für eine leistungsfähige Verwaltung ist, muss zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff Gesundheit zu verstehen ist. Wegweisend bei der Begriffsklärung ist bereits die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1948:

»Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.«

Präambel des Statuts der Weltgesundheitsorganisation vom 7. April 1948

Kritisiert wird an dieser Definition insbesondere, dass Gesundheit als Zustand – als Momentaufnahme – verstanden wird (Ulich, Wülser 2012). Inzwischen dominieren in der wissenschaftlichen Literatur prozessorientierte und zusätzliche Aspekte umfassende Definitionen, etwa die der Ottawa-Charta von 1986:

»Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können.«

Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung,
verabschiedet anlässlich der 1. Internationalen Konferenz
zur Gesundheitsförderung der WHO am 21.11.1986

In dieser Begriffsbestimmung wird Gesundheit (a) als Prozess verstanden, und es erfolgt (b) ein Wandel von der »Freiheit wovon« hin zu einer »Freiheit wozu«. Nicht die »Freiheit von Krankheit« zu einem bestimmten Zeitpunkt steht im Mittelpunkt, sondern die Freiheit, bei umfassendem körperlichem, seelischem und sozialem Wohlbefinden Wünsche und Hoffnungen zu erfüllen und die Umwelt zu meistern und zu verändern.

Dieser Wandel im Verständnis von Gesundheit spiegelt sich auch darin wider, dass der lange vorherrschende Ansatz der Pathogenese – der Suche nach den Ursachen für Erkrankungen – durch salutogenetische Gesundheitsmodelle abgelöst wurde. In salutogenen Modellen, die auf Arbeiten von Antonovsky (1997) zurückgehen, steht die Frage im Mittelpunkt, welche Prozesse Gesundheit erhalten und fördern. Danach reagieren Menschen auf physische, psychosoziale oder biochemische Stressoren in unterschiedlicher Weise. Ob diese Stressoren zu einer Gesundheitsschädigung führen, hängt davon ab, in welchem Umfang die Betroffenen mit sog. Ressourcen oder Widerstandsressourcen ausgestattet sind. Solche Ressourcen können physischer, psychischer oder materieller, aber auch familiärer, sozialer und kultureller Natur sein (Ulich, Wülser 2012). Vereinfacht ausgedrückt ist und bleibt ein Mensch gesund, solange seine unterschiedlichen Ressourcen ausreichen, die Herausforderungen zu meistern, die seine Umwelt ihm stellt. Für das BGM lassen sich daraus zwei sehr breit angelegte Strategien ableiten. Zum einen können die Herausforderungen, mit denen ein Mitarbeiter in seiner Arbeitswelt konfrontiert wird, verringert werden (Verhältnisprävention), zum anderen können auch die Ressourcen, die Mitarbeitern zur Verfügung stehen, verbessert werden (Verhaltensprävention).

Ganz im Sinne dieses salutogenetischen Ansatzes ist auch Ilmarinens (2012) Bild vom »Haus der Arbeitsfähigkeit« zu verstehen. Die vier Stockwerke Gesundheit, Kompetenz, Werte (Einstellungen, Motivation) und Arbeit (Arbeitsumgebung, Führung) tragen gemeinsam das Dach Arbeitsfähigkeit. Defizite in jedem einzelnen Stockwerk, aber auch in der Umgebung des Hauses (Familie, Region, Gesellschaft) können das Haus und damit auch das Dach der Arbeitsfähigkeit ins Wanken oder zum Einsturz bringen. Für das BGM impliziert dies, dass Maßnahmen an ganz unterschiedlichen Stellen des Arbeitslebens ansetzen können und müssen und dass »BGM-Programme von der Stange« weder einzelnen Mitarbeitern noch Organisationseinheiten gerecht werden und somit insgesamt keinen großen Nutzen versprechen.

2.1.2ZUNEHMENDE ARBEITSBELASTUNG AUCH IN DER VERWALTUNG


Die Arbeitswelt befindet sich seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Phase tiefgreifenden Wandels. Im 21. Jahrhundert haben Quantensprünge in der Informations- und Kommunikationstechnologie diesen Wandel weiter beschleunigt. Kaum ein Unternehmen oder eine Verwaltung kommt heute noch ohne einen eigenen Internetauftritt aus. Smartphones und Tablets haben stationäre Kommunikations- und Arbeitsmedien verdrängt. Selbst die »Produktion« von Dienstleistungen ist mithilfe von Onlinelösungen in Teilen auf den »Nachfrager«, also den Bürger oder Konsumenten, übertragen worden. Diese Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie haben offenkundig auch vor der öffentlichen Verwaltung nicht halt gemacht, in der aber mindestens drei Entwicklungen zu weiteren Veränderungen in der Arbeitswelt geführt haben:

Der Paradigmenwechsel weg von der rechtlich orientierten Ordnungsbehörde hin zu einem effizienzorientierten Dienstleistungsunternehmen bzw. einem aktivierenden Partner der Bürger hat zu massiven Änderungen geführt. In der Form z. B. des (nicht mehr so) Neuen Steuerungsmodell der Kommunen wurden Aufbau- und Ablauforganisation verändert. Im Laufe dieser Umstrukturierungen wurden die Anforderungen an die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung komplexer, und die Halbwertszeit von Fachwissen ist gesunken. Multidimensionale Flexibilität hat den traditionellen »Behördentrott« verdrängt.

Die inzwischen chronischen Finanzierungsengpässe der öffentlichen Haushalte haben Personalabbau und damit einhergehende Arbeitsverdichtung befördert. Darüber hinaus weisen Richter, Buruck, Nebel, Wolf (2011) darauf hin, dass ein »Downsizing«, also ein Personalabbau, zu deutlichen Stressreaktionen und Motivationsverlust bei den »survivors« führt.

Ausgliederungen, formelle und materielle Privatisierungen haben insgesamt zu sehr viel komplexeren Strukturen der öffentlichen Verwaltung geführt und damit auch die Arbeitsverhältnisse und -bedingungen der Mitarbeiter weiter aufgefächert.

In den Sozialwissenschaften werden die beschriebenen Prozesse unter der Überschrift Entgrenzung diskutiert (Ducki 2012). Verstanden als Auflösung »…von ehemals für sicher gehaltenen Grenzziehungen und Zuordnungen …« (Sauer 2012, S. 7), kann Entgrenzung in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens beobachtet werden, insbesondere aber auch in der Arbeitswelt. Tabelle 1 zeigt exemplarisch, in welchen Bereichen eine Entgrenzung zu beobachten ist.

TABELLE 1: Dimensionen der Entgrenzung

Erosion von Grenzen Historischer Referenzzustand Entwicklungstendenzen
Zwischen Unternehmen und Markt Dominanz der Produktions- über die Marktökonomie; Abschottung der Organisation gegenüber dem Markt Vermarktlichung und Vernetzung; Finanzialisierung und indirekte Steuerung; Permanente Reorganisation
Zwischen Arbeits- und Lebenswelt Institutionelle und kollektive Standardisierung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitszeit; strikte Trennung von Erwerbsarbeit und privater Lebenswelt Flexible Erwerbsformen (Entsicherung und Prekarisierung); flexible (informelle und individuelle) Arbeitszeiten; Verschränkung von Arbeit und Leben
Zwischen Unternehmen und Arbeitskraft Trennung von Planung und Ausführung; Hierarchische Anweisung und Kontrolle; Kollektive und standardisierte Leistungsregulierung; Sinnperspektiven in Freizeit und Konsum Hierarchieabbau; Delegation von Verantwortung; verstärkte Nutzung von lebensweltlichen Ressourcen von Arbeit; Selbstbestimmung und Selbstgefährdung

Quelle: Sauer 2012, S. 5

Ohne auf die Details näher eingehen zu wollen, macht Tabelle 1 deutlich, dass viele der beschriebenen Entwicklungstendenzen auch in der öffentlichen...