Als der Himmel zerriss

von: Stephanie Rapp

SCM Hänssler im SCM-Verlag, 2016

ISBN: 9783775173483 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Als der Himmel zerriss


 

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

KAPITEL 2


»Wir müssen dringend die Pacht eintreiben«, sagte ihr Vater beim Abendessen, während Bailey ihnen das Fleisch auftrug.

»Jetzt schon?«

Er lachte bitter. »Was denkst denn du? Wir sind schon fünf Wochen hier. Wir können nicht ewig von unserem Ersparten leben. Je schneller wir an die Pachtgelder herankommen, desto besser.«

»Und wie sollen wir das machen? Sollen wir herumreiten und die Hand aufhalten?« Sie hatte sich bis jetzt keine Gedanken darüber gemacht, wie Großgrundbesitzer an ihr Geld kamen. Ihr Vater würde doch sicherlich nicht erwarten, dass sie gemeinsam von Haus zu Haus gingen? Nicht dass sie sich zu fein gewesen wäre, mit den Pächtern zu reden, aber als Dame sprach man nicht über Geld. Wie peinlich, es explizit einzufordern.

»Ja, das trifft es ganz gut. Man muss sich auch die Hände schmutzig machen können.« Er hob die rechte Hand, um Bailey anzuzeigen, dass es genug war, und fuhr dann fort: »Aber die meisten von ihnen werden nicht zahlen, das weiß ich jetzt schon aus den Büchern, die Bernard hinterlassen hat.«

»Wollen sie nicht zahlen oder können sie nicht?«

»Das ist mir gleichgültig. Auf ihre Probleme kann ich keine Rücksicht nehmen. Auf meine nimmt auch niemand Rücksicht.«

»Du willst sie unter Druck setzen?«, fragte sie.

»Nicht ich. Ich brauche dabei Hilfe und ich bekomme sie auch.« Er lächelte zuversichtlich. »Wir scheinen Glück zu haben. Mr Reddock hat mir heute mitgeteilt, dass er einen Verwalter für uns gefunden hat.« Als sie nichts erwiderte, fuhr er fort: »Ich habe dem Glück allerdings auch etwas nachgeholfen.« Sie sah ihn fragend an. Er sprach weiter: »Ich habe dem neuen Verwalter in Aussicht gestellt, dass er einen Teil des Besitzes übertragen bekommt.«

»Ohne ihn zu kennen?« Sie nickte Bailey dankend zu, nachdem er Soße über das Fleisch auf ihrem Teller gegossen hatte.

»Wir müssen die guten Leute irgendwie ködern, sonst finden wir niemanden.« Ihr Vater griff zu Messer und Gabel. »Damit er besser arbeitet. Wenn ihm ein kleiner Teil des Landes gehört, zahlt sich das am Ende für uns aus.«

Sie hatte ihr Besteck immer noch nicht angerührt. »Und dann ist er Miteigentümer?«

Ihr Vater blickte sie verärgert an. »Hast du einen besseren Vorschlag?«

Sie schwieg. Dann sagte sie: »Ich kann verstehen, dass wir ihm etwas bieten müssen. Aber was machen wir, wenn er irgendwann seine Kisten packt, wir ihn nie wiedersehen und von einem fernen Fremden abhängig sind, dem ein Prozentsatz unseres Anwesens gehört?«

»Wenn er geht, zahlen wir ihn aus. Das wird alles vertraglich geregelt.«

Emily hätte sich gerne verblüfft zurückgelehnt, aber sie war so erzogen worden, dass sie niemals die Lehne berührte. Sie setzte sich noch aufrechter hin. »Macht man das hier so?«

»Hier ist alles anders. Wir müssen umdenken. Andere Länder, andere Sitten. Er wird hier wohnen. Und er wird einen Anteil bekommen.« Er lächelte sie aufmunternd an. »Er hat einen tadellosen Ruf. Sohn aus einer wohlhabenden Familie aus Shropshire. Und wie es der Zufall so will, kenne ich sogar seinen älteren Bruder. Wir haben eine Zeit lang gemeinsam in der Armee gedient, als junge Soldaten. Der Bruder heißt Edmond. Ich weiß nicht, ob sich Edmond noch an mich erinnert. Die beiden kommen jedenfalls aus einer sehr guten Familie. Wir können froh sein, dass wir Ronald Tuppence bekommen, er hat in England große Güter verwaltet. Und er ist noch gar nicht so alt.« Beim letzten Satz stach ihr Vater mit der Gabel in sein Roastbeef, um seine Worte beiläufig klingen zu lassen.

Nichts hätte Emily mehr alarmieren können. Er hätte ebenso offen sagen können: Kind, endlich ein Heiratskandidat für dich. Der König versprach dem Retter seines Reiches die Hälfte des Besitzes und die Hand seiner Tochter. Wunderbar. Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet. Bestimmt war Ronald Tuppence ein dickbauchiger Zwerg mit geölter Halbglatze und roten Äderchen auf der Nase.

Tuppence, was für ein Name für einen wohlhabenden Verwalter.

Sean Lawlor hatte den Männern aufgetragen, leise zu klopfen, aber als er sich im dunklen Dorf umsah, stellte er fest, dass die Anweisung überflüssig gewesen war. In fast allen Hütten standen die Hausherren schon neugierig an der Tür.

Er hörte seine Männer mit den Bewohnern flüstern. Als sich die Tür direkt vor ihm öffnete, fuhr er sich mit der Hand über den Bart und wandte dann den Kopf dem Bewohner zu. Aedan stand im Rahmen und musterte ihn misstrauisch. »Was soll das, Sean? Was holst du mich aus dem Schlaf, mitten in der Nacht?«

»Wir erteilen den Grundbesitzern eine Lektion. Zur Abschreckung. Damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen und uns so behandeln wie ihr Vorgänger.«

»Das ist doch Unsinn.«

Sean machte einen Schritt auf ihn zu und stieß ihm den Zeigefinger auf die Brust. »Aedan, ich sage dir eines: Ich habe hier mindestens fünfzig Männer, die bereit sind, den Engländern zu zeigen, wo der Hammer hängt. Es ist mir egal, ob du mit erhobenem Zeigefinger dagegenwetterst oder mitkommst. Was auch immer. Unsere Aktion wird auf jeden Fall stattfinden.«

Aedan senkte den Kopf und sah ruhig auf den Finger auf seiner Brust, bis Sean ihn wieder wegnahm. Dann blickte Aedan sich um. Schatten bewegten sich vor den Häusern zu seiner Rechten und Linken. Er seufzte. »Und du willst sie anführen?«

Sean antwortete nicht gleich. »Jemand muss es tun.«

»Was sagt denn Brendan dazu?«

Sean wusste, dass Aedan ihn mit dieser Frage provozieren wollte. Brendan war der Anführer der Bruderschaft. Aber das hier war keine Aktion der Bruderschaft. Das hier war Seans Idee. Und er würde damit Erfolg haben.

Aedan fragte: »Ist Brendan auch dabei?«

»Das interessiert mich nicht.«

»Brendan ist dagegen, stimmt's? Du ziehst das hier alleine durch. Nicht wegen den Grundbesitzern, sondern um Brendan zu zeigen, wer mächtiger ist.«

»Ich zeige den Männern, was die Lösung ist. – Da Brendan es nicht tut.«

Aedan schnaubte. Dann sagte er: »Ich schätze, ich kann dich sowieso nicht aufhalten. Aber ihr nehmt keine Kinder mit. Niemanden unter zwanzig.«

Sean grinste höhnisch. »Fehlt nur noch, dass du gleich den Zeigefinger hebst, Herr Lehrer. Warum sollten wir die jungen Leute zu Hause lassen? Sie haben am meisten Dampf im Kessel. Hast du Angst, dass du am Ende keine Schüler mehr hast und niemand dich anhimmelt?«

Aedan erwiderte seinen Blick. »Vielleicht.«

»Ich kann für nichts garantieren. Die Männer sind bereit. Die Jungs auch.«

»Dreckskerl«, sagte Aedan und griff nach seiner Jacke, die neben der Tür hing. Während er in die Schuhe schlüpfte, sagte er: »Um alles muss man sich selbst kümmern. Sogar mitten in der Nacht die Jugendlichen einsammeln und ihnen ins Gewissen reden.« Er zog seine Jacke an und folgte den Schatten, die mit Fackeln in den Händen die Straße hinabeilten.

Stimmen bahnten sich in ihr Bewusstsein, rollten wie eine Welle heran, flossen ineinander und vereinigten sich zu einem Rhythmus. Ein pochender Kriegsgesang aus einer anderen Welt. Sie schlug die Augen auf, stützte sich auf den Ellbogen und lauschte. Ihr Blick ging zum offenen Fenster. Der Gesang kam von draußen. War das ein Traum?

Der Traum wurde lauter, wälzte sich langsam auf sie zu.

Das hier war Wirklichkeit. Sie war plötzlich hellwach. Warum grölte jemand in der Nacht Parolen?

Fahrig schlug sie die Bettdecke zurück, sprang auf und hastete ans Fenster. Lichter bewegten sich im Park. Emily benötigte einen Moment, um zu verstehen, dass die Lichter Fackeln waren, in den Händen von Männern, die näher kamen. Dazwischen leuchteten Gesichter auf, halb in Schatten getaucht. Die Männer redeten aufeinander ein, schienen sich gegenseitig anzustacheln. Wie viele waren es? Siebzig?

Sie sah die Augen in der Farbe von Zimt vor sich. Die Sommersprossen des anderen, hörte seine Worte: Wir sind diejenigen, die wissen, wie man mit Feuer umgeht.

Wollten sie das Haus in Brand setzen?

Still stand sie da, die Hand auf den Mund gelegt. Sie war wie gelähmt, aber sie wusste, sie durfte nicht länger herumstehen. Sie musste handeln. Damals, als Hatty auf dem Boden gelegen hatte, die Augen weit geöffnet, der Körper verdreht, hatte sie nicht gehandelt. War in Angst geschwommen. Wäre fast darin untergegangen. Das würde ihr nicht noch mal passieren.

Denken, nicht fühlen, Emily. Handle. Sie rannte zur Tür, riss sie auf, eilte im Dunkeln den Korridor hinab und stolperte ins Zimmer ihres Vaters. Sie hörte, wie er einen Schnarcher aussetzte und schmatzte. In der Dunkelheit lief sie vorsichtig zum Bett, konnte ihn kaum erkennen, tastete nach seiner Schulter. »Vater, draußen kommt ein Haufen Männer mit Fackeln auf uns zu!«

Er rührte sich und setzte sich auf. Einen Moment lang nahm sie den Glanz seiner Augen in der Dunkelheit wahr. Offenbar sah er sie an. Dann schnitten seine Worte durch das Dunkel. »Mit Fackeln, sagst du? Es sind nicht einfach Laternen?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, schlug er die Decke zurück und wirbelte dabei Luft auf. Sie spürte, wie er sich erhob, dann hantierte er an seinem Nachttisch mit einem Streichholz und entzündete zwei Kerzen. Seine Hand zitterte. Seine Stimme war jedoch fest. »Ich gehe in den roten Salon zu den Waffen. Hol David und Merrill.«

Sie hatte erwartet, dass er ihr die Geschichte zunächst nicht glauben würde. Dass er abwinken würde. Lässig sagte, sie habe nur geträumt. Doch hier stand er und erteilte Befehle. Sie griff nach einer Kerze und rannte die...