Die Königin der Flammen - Rabenschatten 3

von: Anthony Ryan

Klett-Cotta, 2016

ISBN: 9783608100594 , 896 Seiten

3. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Königin der Flammen - Rabenschatten 3


 

Verniers’ Bericht


Als ich mit meiner Gefangenen am Kai eintraf, stand er bereits da und wartete. Aufrecht wie immer. Das kantige Gesicht dem Horizont zugewandt.Er hatte sich fest in seinen Mantel gehüllt, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Meine ursprüngliche Überraschung, ihn dort vorzufinden, ließ nach, als ich das auslaufende Schiff sah. Es war meldeneischer Bauart, mit schlankem Rumpf, und auf dem Weg in die Nordlande. An Bord befand sich ein wichtiger Passagier, den er – wie ich wusste – sehr vermissen würde.

Er drehte sich um und blickte uns entgegen, ein schmales, wachsames Lächeln auf den Lippen, und mir wurde klar, dass er wohl gewartet hatte, um Zeuge meiner Abreise zu sein. Seit der Befreiung Alltors hatten wir uns kaum gesehen und selbst dann nur kurz: Das unaufhörliche Kriegsgetümmel und die merkwürdige Krankheit, die ihn nach seinem inzwischen legendären Angriff heimgesucht hatte, nahmen ihn zu sehr in Anspruch. Die Erschöpfung hatte seine einst von Stärke kündenden Gesichtszüge in eine schlaffe, lethargische Maske verwandelt, seine Augen waren rot unterlaufen und seine durchdringende – wenn auch heisere – Stimme war ein monotones Krächzen. Doch wie ich jetzt sehen konnte, war die Müdigkeit fast verschwunden: Offenbar hatten die letzten Schlachten ihm neue Kraft verliehen, und ich fragte mich, ob Blut und Grauen ihn stärker machten.

Er deutete eine förmliche Verbeugung an. »Euer Lordschaft.« Dann nickte er meiner Gefangenen zu. »Meine Dame.«

Fornella erwiderte das Nicken schweigend und blickte ihn ausdruckslos an, während ihr der salzige Wind das rotbraune Haar zerzauste, in dem sich eine einzelne graue Strähne zeigte.

»Ich habe bereits ausreichende Anweisungen erhalten …«, begann ich, doch Al Sorna winkte ab.

»Ich bin nicht hier, um Euch Anweisungen zu erteilen, Euer Lordschaft. Ich möchte mich lediglich verabschieden und Euch für Euer Vorhaben viel Glück wünschen.«

Ich beobachtete sein Mienenspiel, während er meiner Antwort harrte. Sein Lächeln war kleiner geworden, die schwarzen Augen wachsam. Ist das die Möglichkeit?, dachte ich. Sucht er etwa Vergebung?

»Vielen Dank, Euer Lordschaft«, erwiderte ich und hängte mir die schwere Segeltuchtasche über die Schulter. »Aber wir müssen vor der Morgenflut an Bord sein.«

»Selbstverständlich. Ich werde Euch begleiten.«

»Wir brauchen keine Wache«, sagte Fornella schroff. »Ich habe mein Wort gegeben, und Euer Wahr-Sager hat es bestätigt.« Das stimmte. Wir waren am Morgen ohne jegliche Eskorte oder Formalität aufgebrochen. Der neu eingesetzte Hof der Vereinigten Königslande hatte weder Zeit noch Muße für Zeremonien.

»Das weiß ich, ehrenwerte Bürgerin«, antwortete er in gebrochenem Volarianisch. »Aber ich habe … eine Botschaft für diesen Graugekleideten.«

»Freien Volarianer«, verbesserte ich ihn, ehe ich in die Sprache der Königslande wechselte. »Die graue Kleidung deutet eher auf den wirtschaftlichen als auf den gesellschaftlichen Status hin.«

»Ah, da habt Ihr selbstverständlich recht, Euer Lordschaft.« Er trat zur Seite und bedeutete mir, meinen Weg über den Kai zu der langen Reihe von meldeneischen Kriegsgaleeren und Handelsseglern fortzusetzen. Unser Schiff lag, wie es sich gehörte, ganz außen vertäut.

»Bruder Harlicks Geschenk?«, fragte er und deutete mit dem Kinn auf meine Tasche.

»So ist es. Fünfzehn der ältesten Bücher der Großen Bibliothek. Jene, die mir in der kurzen Zeit, die ich im Archiv des Bruders verweilen durfte, besonders nützlich erschienen.« Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass der Bibliothekar mir meine Bitte abschlagen würde. Stattdessen hatte er freundlich genickt und einen seiner Untergebenen angeherrscht, die entsprechenden Schriftrollen von den Wagen seiner fahrbaren Bibliothek zu holen. Ich wusste, dass Bruder Harlicks scheinbarer Gleichmut angesichts dieses Diebstahls zumindest teilweise von seiner Gabe herrührte; schließlich konnte er jederzeit neue Niederschriften anfertigen. Und dabei musste er sich nicht länger verstecken: Die Notwendigkeit, derlei Dinge im Verborgenen zu tun, war verschwunden. Jetzt, da das Dunkle, wie sie es nannten, kein Geheimnis mehr war und in der Öffentlichkeit erörtert wurde, konnten die Begabten ihre Fähigkeiten ohne Furcht vor Folter oder Hinrichtung einsetzen. Zumindest theoretisch. Ich sah Angst – und Neid – in den Gesichtern derer, die über kein besonderes Talent verfügten, und fragte mich, ob die Begabten nicht besser im Schatten geblieben wären. Doch konnten Schatten dem Feuer des Krieges trotzen?

»Glaubt Ihr wirklich, dass Ihr darin einen Hinweis auf ihn finden werdet?«, fragte Al Sorna, als wir zum Schiff gingen. »Auf den Verbündeten?«

»Ein derart verderbtes und mächtiges Geschöpf hinterlässt zwangsläufig Spuren«, antwortete ich. »Historiker sind Jäger, Euer Lordschaft. Im Dickicht von Briefwechseln und Memoiren suchen wir nach Zeichen, stellen unserer Beute auf der Fährte der Erinnerung nach. Ich erwarte nicht, einen vollständigen, unverfälschten Bericht über dieses Ding zu finden – sei es nun Tier, Mensch oder etwas anderes. Dennoch muss es Hinweise hinterlassen haben, und ich beabsichtige, es aufzuspüren.«

»Dann nehmt Euch in Acht, denn ich glaube nicht, dass Eure Nachforschungen unbemerkt bleiben werden.«

»Eure ebenso wenig.« Ich hielt inne und betrachtete sein Profil. Er sah besorgt aus. Wo ist seine Gewissheit geblieben?, dachte ich. Bei unseren früheren Begegnungen war sie eine seiner lästigsten Eigenschaften gewesen – diese unerbittliche, unerschütterliche Gewissheit. Jetzt war er nur ein grimmiger, sorgengeplagter Mann, den die Aussicht auf bevorstehendes Ungemach belastete.

»Die Hauptstadt zu erobern wird nicht leicht werden«, sagte ich. »Am Klügsten wäre es, wenn Ihr und Eure Leute bis zum Frühling hierbleibt und neue Kräfte sammelt.«

»Klugheit und Krieg gehen selten Hand in Hand, Euer Lordschaft. Und Ihr habt wahrscheinlich recht damit, dass der Verbündete alles sieht.«

»Warum also …?«

»Wir können nicht einfach hier sitzen und auf seinen nächsten Schachzug warten. Ebenso wenig wie Euer Kaiser sich darauf verlassen kann, dass der Verbündete ihn unbehelligt lässt.«

»Ich weiß ganz genau, welche Nachricht ich dem Kaiser zu überbringen habe.« Der Lederbeutel mit der versiegelten Schriftrolle, den ich um den Hals trug, wog schwer – schwerer noch als die Büchertasche, deren Gewicht ein Vielfaches betrug. Nichts weiter als Tinte, Papier und Wachs, dachte ich. Und doch könnte es den Ausschlag dafür geben, dass Millionen in den Krieg geschickt werden.

Vor dem Schiff angekommen, blieben wir stehen. Es handelte sich um ein breites, meldeneisches Handelsschiff, das noch Spuren der Schlacht bei den Zähnen aufwies: Die Planken waren rußverschmiert, Klingen und Pfeilspitzen hatten Narben in der Reling hinterlassen, und die eingerollten Segel waren geflickt. Mein Blick wanderte zu der kurvigen Galionsfigur, die – obwohl ihr fast die komplette untere Gesichtshälfte fehlte – nach wie vor leicht zu erkennen war. Am Ende des Stegs stand der Kapitän, die dicken Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht finster und mir nur allzu vertraut.

»Hattet Ihr zufällig etwas mit der Auswahl dieses Schiffes zu tun, Euer Lordschaft?«, fragte ich Al Sorna.

Seine Augen funkelten belustigt, und er zuckte mit den Schultern. »Reiner Zufall, das kann ich Euch versichern.«

Seufzend stellte ich fest, dass in meinem Herzen kein Platz für weitere Feindseligkeit war. Dann wandte ich mich zu Fornella um und wies auf das Schiff. »Ehrenwerte Bürgerin. Ich komme gleich nach.«

Ich sah, wie Al Sornas Blick ihr folgte, als sie mit ihrer üblichen, jahrhundertelang einstudierten Anmut über den Steg an Bord schritt. »Ganz...